tag:blogger.com,1999:blog-80306276063737522952024-03-13T07:36:18.324+01:00it's a hard knock lifeRalf Fischerhttp://www.blogger.com/profile/09644548521979938571noreply@blogger.comBlogger220125tag:blogger.com,1999:blog-8030627606373752295.post-3218527130770463332023-01-17T17:35:00.005+01:002023-01-23T16:58:22.723+01:00Schniegli Normali. Rap in der DDR<p style="margin-bottom: 0cm; text-align: left;">Dank US-amerikanischer Radiosender und westdeutscher
Fernsehsendungen schwappten die neuesten Klänge aus den Vereinigten
Staaten Mitte der 80er Jahre auch in den besonders gut abgeschirmten
östlichen Teil Deutschlands. Die von einem staatlichen
Konformitätsdruck gebeutelte Jugend in der DDR gelangte beinahe
gleichzeitig mit ihren Brüdern und Schwestern im Westen an die
ersten popkulturellen Produkte der neuen Musikrichtung.<br /><br />Jedoch
galt die Betätigung als Sprüher oder Rapper für die Staatsmacht
als äußerst suspekt. Nur beim Breakdance wich die harsche Reaktion
des Obrigkeitsstaats in den ersten Jahren schnell einer integrativen
Einbindung als Tanzkunst in das enge Korsett der staatlichen
Kulturproduktion und die zentral koordinierte Jugendarbeit.
Rebellisch und gleichzeitig konformistisch war Hip-Hop in der DDR ein
Jugendphänomen, welches die Sehnsucht nach Freiheit ebenso zum
Ausdruck brachte wie die unglaubliche Kreativität der vom Westen
abgeschirmten Bevölkerung.
</p>
<p style="margin-bottom: 0cm; text-align: left;">Wie selbstverständlich waren die
amerikanischen Implikationen des Glücksversprechens mit der
Sehnsucht nach einer Flucht in den Westen gekoppelt, konnten sich
öffentlich aber nur im Rahmen der staatlich verordneten und
überwachten Freizeitgestaltung ausdrücken. Dieser Widerspruch wurde
von den staatlichen Organen nur durch die Erzählung, wonach Hip-Hop
ein Ausdruck der unterdrückten schwarzen Massen in den USA sei,
halbwegs übertüncht.<br /><br />Die Darstellung der Armenviertel in den
US-amerikanischen Großstädten in Filmen wie „Wildstyle“ und
„Beatstreet“ schreckten aber nicht, wie von der Parteiführung
geplant, die Jugend ab, vielmehr faszinierte sie die bunten
Turnschuhen wie die individuelle Freiheit der Darstellenden
gleichermaßen.<br /><br />Der freie Journalist Ralf Fischer spannt in
seinem Vortrag einen Bogen von den popkulturellen Anfängen des Raps
in der DDR über die Diskrepanz zwischen rebellischem und
konformistischem Jugendphänomen bis hin zu den ersten Begegnungen
zwischen ost- und westdeutschen Vertretern der Subkultur.<br /></p><p style="margin-bottom: 0cm;"><br /><br />Termine:<br /><br /><b>4. März</b> 2023 / 20 Uhr / Druckluft <b>Oberhausen<br />9. März </b>2023 / 20 Uhr<b> /</b><span><b> </b>Bajszel <b>Berlin<br /><br /><br /></b><br /></span></p>
Ralf Fischerhttp://www.blogger.com/profile/09644548521979938571noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-8030627606373752295.post-83742099443095145442022-06-08T12:20:00.007+02:002022-10-24T22:59:34.846+02:00Täter statt Opfer<h2><b>D</b>ie Logik des Deutschraps in Romanform: »Nullerjahre« von Hendrik Bolz</h2>
<p align="JUSTIFY"><span class="ft"><font size="1"><b>Ralf Fischer / Neues Deutschland </b></font></span></p>
<p align="JUSTIFY">Im Konkurrenzkampf der marktabhängigen Kulturproduzenten waren in den
letzten beiden Jahren Musiker klar im Nachteil. Die unzähligen Absagen
von Konzertterminen in der Pandemie schmälerten ihre Einkünfte enorm,
weshalb nicht wenige auf die Idee kamen, mit der Veröffentlichung eines
Buches diese Verluste finanziell zumindest etwas auszugleichen. So auch Hendrik Bolz, seines Zeichens unter dem Namen Testo Rapper der 2010 gegründeten Gruppe Zugezogen Maskulin. Der 1988 in Leipzig geborene Musiker legt nun mit »Nullerjahre« seinen Debütroman vor.<br /><br />In dem über 300-seitigen Werk soll es um die Schwierigkeiten eines
Heranwachsenden in einem Stralsunder Plattenbauviertel gehen. Das
verspricht zumindest der Klappentext. »<i>Vom Austeilen und
Auf-die-Fresse-Kriegen: eine Nachwendejugend in Mecklenburg-Vorpommern</i>«,
wirbt der Verlag. So kann man es auch nennen. Wie im Rap-Business
üblich, wird die leicht delinquente Herkunft von Bolz zu einer
vermarktbaren Identität verschmolzen. Herausgekommen ist eine eher
unverdauliche Lektüre, gespickt mit unzähligen Verbalinjurien.<br /><br />Als pubertierender Gymnasiast im Stralsunder Neubauviertel Knieper West
aufgewachsen, gehörte Bolz zu jenen aufbegehrenden Jugendlichen, die den
als »<i>Opfer</i>« identifizierten Menschen in ihrer Umgebung das Leben
ständig zur Hölle machten. Das Weltbild ist so groß wie eine
Zigarettenschachtel. Der Hass auf alles, was nicht dem heteronormativen
Ideal entspricht, ist größer als der gesamte Planet Erde. Ein jeder ist
ein Spießer, der nicht authentisch asozial ist. Wer seine Aggressionen
auch nur halbwegs unter Kontrolle hat, gilt als willkommene Zielscheibe.
Der Stolz des Protagonisten basiert darauf, die reaktionären Texte
seiner Idole Böhse Onkelz und Bushido auswendig zu können.<span></span></p><a name='more'></a><div style="text-align: justify;">Exzessive Beschreibungen von Drogen-Depressionen und pubertärem
Weltscherz dürfen selbstverständlich nicht fehlen. Der Gymnasiast Bolz
bedient sich einer Legendenbildung ähnlich wie sein Vorbild Bushido.
Eine halbwegs behütete Jugend wird dann schnell zu einer harten
umgedichtet. Läppische Erlebnisse aus Ferienlagern mutieren dann auch
schon mal zu einer Horror-Nachtwanderung. Ein Musiker »<i>aus einer
progressiven Rapgruppe</i>« verkauft hier seine Pubertät in einem
provinziellen Problemviertel in Buch- statt Reimform.<br /><br />Als er Jugendlicher ist, wird Deutschrap von patriarchalen Mackern
überrannt, die sich als erfolgreiche Gangster aus dem Ghetto
inszenieren. Deren Musik hören und Hakenkreuze schmieren war in den
Nullerjahren ein zumindest im Osten der Republik weitverbreitetes
Phänomen. Bolz versucht sich in seinem Roman als getrieben von den
äußeren Umständen zu beschreiben, doch vieles bleibt auf der Strecke. So
verliert er kein einziges Wort über sein Elternhaus, womöglich hätte
dann die kaputte Welt etwas zu viel bürgerliche Tünche abbekommen.
</div><p style="text-align: justify;"></p><p style="text-align: justify;">Autobiografische Romane von deutschsprachigen Rappern müssen aus
Identitäts-gründen extrem dirty sein. Deshalb ist die Bolzsche Erzählung
altbekannt, nur das Szenario drumherum variiert etwas. Als Gymnasiast
eifert er seinen popkulturellen Helden nach. Drogen nehmen, ständig neu
auserkorene Opfer terrorisieren und ja keine Gefühle außer dem Hass auf
alles Nicht-Männliche zulassen. Das ist neoliberale
Wohlstandverwahrlosung. Wer will so etwas lesen?</p><p style="text-align: justify;">Die Darstellung der angeblichen Ausweglosigkeit in den ostdeutschen Tiefebenen passt jedoch nur zu gut in diese Zeit. Gemeinsam mit Neonazis als
Jugendlicher regelmäßig zu saufen als »<i>aufwachsen unter Nazis</i>« zu
verbrämen, ist genau der heiße Shit, den der Literaturbetrieb gerade dem
Publikum anzudrehen versucht. Ähnlich wie in dem Roman »Wir waren wie
Brüder« des »Taz«-Redakteurs Daniel Schulz werden die Jugendlichen, die
einst mit den rechtsradikalen Tätern kumpelhaft verkehrten, zu armen
Opfern der schlimmen Umstände auf dem Gebiet der ehemaligen DDR
stilisiert.</p>
<p style="text-align: justify;">Die eher beiläufig im Roman abgehandelten gesellschaftlichen
Entwicklungen, sollen gewissermaßen als Entschuldigung für das eigene
Verhalten herhalten. Sie sind Teil eines unmöglichen Spagats: Einerseits
die ständig postulierte Widerstandskraft als Kompensation der Angst vor
dem Verlust des Gefühls männlicher Souveränität, wie es die rappenden
Vorbilder nicht nur in Reimform zelebrieren, andererseits das Bedürfnis,
als progressiver Künstler von der breiten Öffentlichkeit wahrgenommen
und akzeptiert zu werden. <br /><br />Dass ausgerechnet jener Moment, in dem diese
beiden gegensätzlichen Welten in Form seiner alten Clique und dem neuen
Berliner Umfeld am Ende von »Nullerjahre« aufeinandertreffen, nicht
weiter thematisiert wird, sondern dass stattdessen die Erzählung beinahe
wie abgehackt endet, ist Ausdruck des Dilemmas.</p>
<p style="text-align: justify;">Es bleibt also alles wie gehabt: Wo Deutschrap aufhört, fängt Literatur überhaupt erst an.</p>
<p style="text-align: justify;"><i>Hendrik Bolz: Nullerjahre. Jugend in blühenden Landschaften. Kiepenheuer & Witsch, 336 S., geb., 20 €</i>.</p>Ralf Fischerhttp://www.blogger.com/profile/09644548521979938571noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-8030627606373752295.post-3703086637087474872021-12-29T10:13:00.008+01:002022-04-11T16:59:41.301+02:00Revolution oder lieber abhauen?<h2><b>Das Videospiel des Jahres ist »Road 96«, bei
dem man selbst entscheidet: Flucht oder Regierung stürzen</b></h2>
<p align="JUSTIFY"><span class="ft"><font size="1"><b>Ralf Fischer / Neues Deutschland </b></font></span></p>
<p align="JUSTIFY">Bei der diesjährigen internationalen
Preisverleihung für die Videospiele des Jahres, den Games Awards, im
Dezember räumte neben den üblichen Verdächtigen aus der Branche
das Spiel »It Takes Two« des schwedischen Entwicklungsstudios
Hazelight Studios viele der zu vergebenen Preise ab. Das Game,
welches sich hervorragend für den kooperativen Mehrspielermodus
eignet, ist aber nicht der einzige Vertreter aus dem
Independent-Bereich in diesem Jahr, der Lobpreisungen verdient hat.
</p>
<p align="JUSTIFY">Das Spiel »Road 96«, herausgegeben von dem
französischen Studio DigixArt, schaffte es nicht einmal in die
engere Wahl bei den diesjährigen Game Awards, gehört aber zu den
besten Spielen des Jahres. Allein der Soundtrack des prozeduralen
Roadtrips hätte es verdient, mit Auszeichnungen nur so überhäuft
zu werden. Atmosphärisch ist man als Spieler im letzten Jahrzehnt
des letzten Jahrtausends gefangen. Es gilt als entlaufener Teeanger
das fiktive Land Petria zu verlassen.
</p>
<p align="JUSTIFY">Als Ausreißer mangelt es an allem. Weder mit
ausreichend Essen oder Trinken ausgestattet, noch ein
Fortbewegungsmittel jenseits der zwei eigenen Beine zur Verfügung
und auf der Flucht vor den fiesen Schergen einer Beinahe-Diktatur.
Das ist das Setting, in dem der Spieler startet.
<span></span></p><a name='more'></a><p></p>
<p align="JUSTIFY">Die politische Situation im Lande erscheint eingangs
äußerst undurchsichtig. Es sind zwar Wahlen angesetzt, aber nach
einem terroristischen Anschlag regiert der Präsident Tyrak mit einer
ungeahnten Machtfülle. Die Grenzen in Richtung Norden sind
abgeriegelt, renitente Teenager werden in Arbeitslager verbracht und
die Medien wurden auf Linie gebracht. Nun liegt es am Spieler, mit
dieser schwierigen Situation umzugehen. Von der gelungenen
Grenzüberquerung über die Wahlniederlage Tyraks bis hin zur
Revolution ist alles möglich. Der eigene Tod inklusive.
</p>
<p align="JUSTIFY">Die jeweiligen persönlichen Entscheidungen während
des Abenteuers determinieren letztlich den Ausgang der Geschichte. In
Gesprächen können die gut in Szene gesetzten Charaktere, welche man
während des Roadtrips kennenlernt, dazu gebracht werden, die
Zustände im Land zu verändern oder einem bei der Flucht zu helfen.
So verknüpft sich das eigene Schicksal mit fortlaufender Story immer
weiter mit den politischen Entwicklungen in Petria. Dieser Effekt
wird dadurch verstärkt, dass selbst ein Scheitern des
Fluchtversuches nicht das Ende des Spiels bedeutet.
</p>
<p align="JUSTIFY">Schwankend zwischen der Herzlichkeit neu gewonnener
Bekanntschaften und der harten Realität in Petria – aufgegriffene
Jugendliche werden schon mal von den Sicherheitskräften eiskalt
erschossen – stolpert der Spieler immer wieder aufs Neue durch die
fiktive Welt. Das düstere Szenario wird untermalt durch eine
bezaubernde Grafik, die die kleineren Mängel des Spiels mehr als
übertüncht. Und die Jagd nach den unzähligen Geheimnissen im
Herrschaftsgebiet von Tyrak motiviert auch nach mehreren
Fehlschlägen, es dann doch noch einmal mit der Revolution zu
versuchen. (Gamer hört die Signale!)<br /><br />
</p><p align="JUSTIFY">»Road 96«: DigixArt. Bis zum 5. Januar für 14,96
€ auf Steam, sonst 19,96 €.</p>
<p align="JUSTIFY">
</p>
Ralf Fischerhttp://www.blogger.com/profile/09644548521979938571noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-8030627606373752295.post-37141263123899647012021-12-22T11:10:00.005+01:002022-10-24T22:54:28.543+02:00Ballern für Palästina<h2><b>Eine brasilianische Spielefirma greift in den
Nahostkonflikt ein – mit allen Klischees</b><br /><br /><span style="font-weight: normal;"><span class="ft"><font size="1">Ralf Fischer / Neues Deutschland</font></span></span></h2><p style="text-align: justify;">Um die friedlichen Absichten der palästinensischen
Befreiungsbewegung einer politisch interessierten Öffentlichkeit
näherzubringen, plant die in Brasilien beheimatete Firma Nidal Nijm
Games die Veröffentlichung eines Ego-Shooters, in dem die Feinde
ohne viel Federlesens aus dem Leben geschossen werden. Diplomatische
Optionen sind in dem Game »Fursan al-Aqsa: The Knights of the
Al-Aqsa Mosque« ausgeschlossen. Spielziel ist es, mit Messer,
Maschinenpistole und Panzer den überall als israelisch markierten
Feind gänzlich auszumerzen.
</p>
<p style="text-align: justify;">Skurrilerweise behaupten die Herausgeber, das Spiel
solle mit den vorherrschenden Stereotypen über den Nahen Osten
brechen. Dabei rekurrieren Story und Bildsprache auf genau jene
altbekannten Mythen bewaffneter palästinensischer Gruppen. Hier die
aus Gründen der Selbstverteidigung handelnden heldenhaften
palästinensischen Freiheitskämpfer, die sich lediglich zur Wehr
setzen. Auf der anderen Seite die blutrünstigen Israelis, die noch
nicht einmal Kinder verschonen. Zwischentöne sucht man vergeblich.
</p>
<p style="text-align: justify;">Im Spiel wird die Glorifizierung des bewaffneten
Widerstandes als unausweichlicher Akt der Notwehr gleich zu Beginn
äußerst dramatisch eingeführt. Der Hauptprotagonist der Geschichte
ist der Medizinstudent Ahmed al-Falastini, der zufällig in die Fänge
der israelischen Sicherheitsbehörden gerät und trotz erwiesener
Unschuld im Gefängnis brutal gefoltert wird.
</p>
<p style="text-align: justify;">Statt als Arzt nach der Entlassung das Leid der
Menschen zu lindern, entschließt sich al-Falastini, das Werk einer
terroristischen Gruppierung zu vollenden. Schließlich hat er nichts
mehr zu verlieren, die Eltern kamen während seiner Haft bei einer
israelischen Bombardierung ums Leben. So tragisch wie klischeehaft
kommt der einstige Pazifist zum Terrorismus. Und die Propaganda zum
Gamer.
</p><div style="text-align: justify;">
Anders als die Story ist die Grafik keine
propagandistische Herausforderung. Wer als Freund der gepflegten
Ballerei dem palästinensischen Pixelfasching länger als drei
Minuten frönt, der muss sich entweder schlechten Geschmack oder
ideologische Motivation vorwerfen lassen. Weder Gameplay noch Sound
können sich mit vergleichbaren Spielen messen. Zumindest nach
derzeitigem Stand. Bisher hat Nidal Nijm Games lediglich eine
Demoversion des Spiels auf der Steam, der wichtigsten
Onlineverkaufsplattform für Videospiele, veröffentlicht. Eine
Vollversion soll in Bälde folgen.
</div>Ralf Fischerhttp://www.blogger.com/profile/09644548521979938571noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-8030627606373752295.post-70942856403439942172021-11-04T15:45:00.005+01:002022-10-24T23:02:23.327+02:00Runde 27, Auftritt Moses<h2><b>D</b>as Computerspiel »Civilization« bekommt endlich Konkurrenz - aber kann Geschichte ein Spiel sein?</h2><p align="JUSTIFY"><span class="ft"><font size="1"><b>Ralf Fischer / Neues Deutschland </b></font></span></p>
<p align="JUSTIFY">Die Freunde von Globalstrategien zum Nachspielen wurden dieses Jahr
gleich mit zwei bemerkenswerten Nischenprodukten außer der Reihe
beschenkt. Nur selten bekommen diese Spezialspiele in dem weit über 100
Milliarden umsetzenden Computerspiel-Business große Aufmerksamkeit.
Einzige Ausnahme bildet der unumstrittene Marktführer »Civilization«.
Doch in diesem Jahr erhielt der seit 30 Jahren allein seine Runden
drehende Branchenprimus mit der Veröffentlichung von »Old World« und
»Humankind« mächtig Konkurrenz.<br /><br />Mit 33 Millionen verkauften Exemplaren gilt das einst von Sid Meier
gegründete Franchise »Civilization« als Vorbild und Urform für alle
historisch angelegten rundenbasierten Strategiespiele, ob auf PC oder
Konsole. Die Entwicklung der Menschheit von der Jungsteinzeit bis ins
Weltraumzeitalter ist für immer neue Spielergenerationen eine
willkommene Herausforderung. Für die Konkurrenz ist das Segen und Fluch
zugleich. Einerseits gibt es viele Kritikpunkte. Während die historisch
Interessierten die fehlende Flexibilität bemängeln, fällt es
Casualgamern nicht gerade leicht, einen Einstieg in das Spiel zu finden.
Andererseits gibt es derart viele Spielmechaniken, die dem Game eine
Spieltiefe verleihen, die ihresgleichen sucht. <span></span></p><a name='more'></a><div style="text-align: justify;">Zwei Entwicklerteams, deren Voraussetzungen kaum unterschiedlicher
hätten sein können, hatten es sich in den Kopf gesetzt, dem Game-Titan
den Kampf anzusagen. Mit dem kleinen US-amerikanischen Entwicklerstudio
Mohawk Games, gegründet von Soren Johnson, dem Lead Designer des vierten
Teils von »Civilization«, und den in Paris angesiedelten Amplitude
Studios, die von dem großen Publisher Sega aufgekauft wurden, war die
Ausgangslage klar umrissen.<br /><br />Die einen hatten mit Johnson einen erfahrenen Entwickler von
Globalstrategie-Spielen (auch 4X-Strategie genannt) im Team, aber kaum
finanziellen Spielraum. In Frankreich dagegen waren die Entwickler zwar
mit den notwendigen Mitteln ausgestattet, jedoch mangelte es dort an
Expertise unter den Mitarbeitern.<br /><br />In der jeweiligen Spielerfahrung spiegelt sich das wider. Das unter
dem Namen »Humankind« veröffentlichte Videogame der Amplitude Studios
beeindruckt mit einer wunderschönen Grafik, innovativen Ideen, wie die
wechselnden Kulturen, dynamisch generierten Events auf den Karten und
einer im Gegensatz zu »Civilization« weit verbesserten Kampfmechanik. Es
scheitert jedoch an der historischen Atmosphäre und dem fehlenden
Wiederspielwert. Hat man einmal den Wettlauf der Zivilisationen
gewonnen, ist die Motivation, es noch einmal zu versuchen, recht gering.
</div><p style="text-align: justify;"></p><p style="text-align: justify;">Die acht in den jeweiligen Zeitalterstufen zur Auswahl stehenden
Kulturen sind unaus-gewogen und die immer wiederkehrenden Events im
Verlauf der Menschheits-geschichte ermüden auf Dauer. Strategische
Entscheidungen haben kaum Auswirkungen und die lieblos
zusammengeklöppelte Storyline hält den Spieler auch nicht lange bei der
Stange.</p>
<p style="text-align: justify;">In diesem Bereich ist das neu erschienene »Old World« von Mohawk
Games der Konkurrenz weit voraus. Das Spiel beschränkt sich zwar auf die
Antike, behandelt aber diese Epoche umfassend. Elemente aus
»Civilization« und dem Mittelalterspiel »Crusader King« wurden zu einem
komplexen, äußerst stimmigen Spielerlebnis verbunden.</p>
<p style="text-align: justify;">Anders als gewohnt regieren hier Spieler nicht als
Herrscher über Jahrtausende hinweg. Alle Oberhäupter sind
sterblich und die Erben jedes Mal ein bisschen weniger dumm. Es gibt ihn
also doch, den Fortschritt. Das darauf aufgebaute Rollenspiel erhöht
den Wiederspielwert enorm. Die Variabilität des Spielerlebnisses wird
durch die am Anfang der Runde aufpoppenden Zufallsereignisse noch weiter
erhöht. Nur zu oft durchkreuzen sie einen der über mehrere Runden
penibel ausgetüftelten Pläne.</p>
<p style="text-align: justify;">Welche Religion sich in einem Reich, beziehungsweise Territorium
gründet und ob diese dann auch die vorherrschende Staatsreligion wird,
das entscheidet zu einem großen Teil der Zufall. Wenn dir das Glück hold
ist, erscheint der Religionsstifter Moses schon in Runde 27 in einer
deiner Städte. Dass sich aber alle im Reich lebenden Adligen der neuen
Glaubensrichtung anschließen, kann man getrost vergessen, ebenso wie die
Hoffnung auf dauerhaften Frieden. Zwietracht ist vorprogrammiert.</p>
<p style="text-align: justify;">Das Team um Soren Johnson setzt viele Ideen um, auf die Fans der
bisher sechsteiligen Spielereihe »Civilization« seit Jahren sehnlichst
gewartet haben. »Old World« bietet vergleichsweise mehr Realismus und
eine große Zahl an spielbaren Varianten. Die implementierte
Spielmechanik, wonach die Bewegungen aller Einheiten begrenzt sind, kann
für dieses Metier als bahnbrechend bezeichnet werden. In den Bereichen
Diplomatie, Wirtschaft und Städtebau bietet das Spiel ausreichend
Komplexität, um den Spielern einen lang anhaltenden Spielspaß zu
garantieren.</p>
<p style="text-align: justify;">Das größte Problem aller rundenbasierten Globalstrategiespiele
umschifft »Old World« mit seiner Beschränkung auf das Zeitalter der
Antike: wie soll die kapitalistische Moderne dargestellt,
beziehungsweise gespielt werden? An diesem Problem ist bislang noch
jedes Spiel dieser Kategorie, einschließlich »Humankind« gescheitert,
weil die Durchspielbarkeit politische Eindimensionalität impliziert.
Während die Auswirkungen des Kolonialismus zumindest in einigen Spielen
eine kleine Nebenrolle spielen dürfen, selten in kritischer Manier, wird
der nationalsozialistische Massenmord an den europäischen Juden bisher
in jedem Spiel dieses Genres gänzlich ausgeblendet.</p>
<p style="text-align: justify;">In vielen 4x-Strategie-Spielen, wie auch »Humankind«, gibt es die
Möglichkeit, zwischen fortschrittlichen und reaktionären
Regierungspolitiken auszuwählen. Selten muss ein Spieler mit ernsthaften
Konsequenzen rechnen. Wer hingegen mit der Natur über die Jahrhunderte
Schindluder treibt, kann noch vor Spielende den Untergang der gesamten
Welt erleben. Die Wahl einer faschistischen Doktrin hat dagegen keine
rein negativen Auswirkungen. Als allgemeine Begründung für diese
Leerstelle wird gern die Floskel »Es handelt sich ja schließlich nur um
ein Videospiel.« bemüht. Die Antwort darauf kann aber nur lauten:
Geschichte ist kein Game.</p>
<p><i>»Humankind« (Amplitude Studios), ab 49,99 €), »Old World« (Mohawk Games), 32,99 €.</i></p><p></p>Ralf Fischerhttp://www.blogger.com/profile/09644548521979938571noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-8030627606373752295.post-17918365791244861702021-07-09T13:00:00.007+02:002022-10-24T22:33:22.414+02:00 Im Sande verlaufen<p style="text-align: justify;">Die Influencerin Nika Irani warf im Juni auf Instagram dem Rapper Samra
vor, sie vergewaltigt zu haben. Der Musiker wies die Anschuldigungen
öffentlich zurück. In einem Statement teilte Samra mit, dass er
„<i>niemanden vergewaltigt</i>“ habe, „<i>weder die Person, die mich dessen
beschuldigt, noch andere Menschen</i>“. Das Label Universal Music Germany
verkündete nach dem Bekanntwerden der Vorwürfe, seine Zusammenarbeit mit
dem Musiker vorerst ruhen zu lassen. Daraufhin erreichten den Rapper
zahlreiche Solidaritätsadressen, hauptsächlich von seinen männlichen
Kollegen aus dem Business.<br />
<br />Die Auseinandersetzung mit dem Thema sexualisierte Gewalt in einem
solchen Ausmaß ist ein Novum in der Subkultur. Nika Irani erhielt
zumindest teilweise Unterstützung aus Szenekreisen. So solidarisierten
sich auch die bekannten Rapperinnen Elif und Shirin David mit ihr. In
einschlägigen Szenemagazinen sah man sich gezwungen, mit dem Thema zu
beschäftigen. Der Tenor war dabei sachlich, teilweise wurde mit Kritik
an der eigenen Klientel nicht gespart. Und mit Samra, der bürgerlich
Hussein Akkouche heißt, musste erstmals einer der kommerziell
erfolgreichsten Rapper in Deutschland mit ernsthaften Konsequenzen
innerhalb der eigenen Reihen rechnen.<span></span></p><a name='more'></a><div style="text-align: justify;">Schnell hatte sich eine Initiative gefunden, die die Auseinandersetzung
mit dem Thema forcierte und unter dem Hashtag „#deutschrapmetoo“
Betroffene auffordert, ihre Erfahrungen mit sexualisierter Gewalt im
Deutschrap zu melden. Jedoch in dem Augenblick als die Debatte die
bürgerlichen Feuilletons erreichte, kam es bereits zur Resignation in
den sozialen Netzwerken „<i>Die ganze #deutschrapmetoo Bewegung und
Vorwürfe sind relativ im Sande verlaufen</i>“, schreibt ein User auf
Twitter. „<i>Es juckt original niemanden mehr, niemand redet nachhaltig
darüber außer zwei Wochen Empörung</i>“, konstatiert er weiter. Mit seiner
Enttäuschung über das abflachende Interesse steht er nicht allein.<br /><br />
Die Gründe dafür sind vielfältig. Ein Punkt ist die derzeit kursierende
Analyse, wonach Sexismus kein spezifisches Rap-Problem sei, sondern ein
„<i>gesamtgesellschaftliches Problem</i>“. Diese Aussage tätigte nicht nur das
Kollektiv, welches hinter dem Hashtag #deutschrapmetoo steht, im
Interview mit der taz, sondern auch die Bildungsreferentin von Anne
Frank, Nava Zarabian, benutzte beinahe wortgleich diese Phrase im
Gespräch mit dem Onlinemagazin der Zeit. Abwehrmechanismen gegen die
Feststellung, wonach deutschsprachiger Rap womöglich ein größeres
Sexismusproblem hat als andere Musikrichtungen, wurden jahrelang
eingeübt und auch diesmal wieder routiniert abgespult.<br /><br />
„<i>Wenn mit dem Finger auf Deutschrap gezeigt wird, steckt da oft eine
Intention dahinter</i>“, raunt die Musikwissenschaftlerin Zarabian. Welche
dies genau sein soll, lässt sie im Dunkeln. Aber die Nebelkerze verfängt
auf den ersten Blick. Denn selbstverständlich stellt sich die Frage,
weshalb ausgerechnet im Rap sexualisierte Gewalt derart thematisiert
wird. Die Antwort wird den Liebhabern der adaptierten Subkultur nicht
gefallen. „<i>Es gibt Sexismus überall – in unserer Politik, der
Gesellschaft und in anderen Musik-Genres. Deutschrap ist allerdings ein
Genre, das diesen Sexismus zelebriert</i>“, erklärte die Moderatorin Salwa
Houmsi gegenüber dem Spiegel.<br /><br />
Die musikalische Aufwertung des Mannes in einer sich massiv verändernden
kapitalistischen Gesellschaft, in der eben nicht mehr automatisch alle
Machtpositionen kampflos den Männern überlassen werden, manifestiert
sich nirgendwo stärker als im deutschsprachigen Rap. Die Abwertung von
Frauen als ständig verfügbares sexuelles Objekt wird garniert mit dem
Hass auf Schwule, Metrosexuelle und alle anderen vom männlichen Ideal
abweichende Lebensformen. In dieser geballten Form finden sich solche
misogynen Hasstiraden und Vergewaltigungsphantasien nirgendwo.<br /><br />
Der in der Debatte immer wieder auftauchende Verweis auf Sexismus in der
Rockmusik oder im Heavy Metal dient nicht der besseren Einordnung des
Problems, sondern allein als Abwehr gegen die Erkenntnis, Anhänger einer
Musikrichtung zu sein, die reaktionär geworden ist. Ähnlich wie bei der
Rockmusik, die einst als progressiv galt, geht spätestens mit dem
Aufstieg hin zum Mainstream eine Veränderung einher. Allein die
Tatsache, dass deutsche Rechtsextremisten wie selbstverständlich – und
wie einst den Rock – Rapmusik als Ausdrucksmittel für ihre Propaganda
nach jahrzehntelanger Hetze gegen die 'Musik der Schwarzen' nutzen,
sollte zum radikalen Umdenken anregen.<br /><br />
Die Tatsache, dass Rap jenseits der Nischen heutzutage größtenteils
reaktionär ist, können sich jene, die diese Subkultur als die ihre
betrachten, nicht eingestehen. Eine Auswertung deutschsprachiger
Raptexte durch den Spiegel brachte erstaunliche Ergebnisse. Seit zwanzig
Jahren sind bestimmte sexistische Schlüsselwörter in jedem zehnten
veröffentlichten Song zu finden. Von 2002 bis 2019 nutzten zwischen 18
bis 30 Prozent der Lieder explizit sexistische Begriffe. Dass die einst
als progressiv missverstandene Musikrichtung seit über zwei Jahrzehnten
genau jener Transmissionsriemen ist, mittels dessen die Abwehrhaltung
gegenüber gesellschaftlichen Veränderungen gestärkt wird, ignorieren sie
einfach gekonnt. Die Unterschiede zwischen dem aktuellen Stand der
gesellschaftlichen Debatte und dem Output deutscher Rapper könnten nicht
eklatanter sein. Das zu erkennen, braucht es keine große Kenntnis der
Szene.<br /><br />
Das Kollektiv hinter dem Hashtag 'deutschrapmetoo' bestreitet dies
jedoch in einem Interview mit der taz. Die aus anderen Kontexten
altbekannte szenetypische Abwehrhaltung wird auch hier angewandt. Es ist
von „<i>Außenstehenden</i>“ die Rede, die das Thema Sexismus im Deutschrap
ansprechen würden. Selbst dagegen attestiert man sich einen
„<i>differenzierten Blick auf die Szene</i>“. Solche Aussagen dienen entweder
dazu, das eigene Standing in der Subkultur nicht zu gefährden oder die
Hingabe zur einst auserkorenen Lieblingsmusik nicht zu verlieren. Es
wird jedoch das Gegenteil von dem bewirkt, was sich die Initiatoren der
Kampagne auf die Fahnen geschrieben haben.<br /><br />
Völlig abstrus wird es dann, wenn – wie Nava Zarabian es versucht – die
Kritik am deutschsprachigen Rap als rassistisch abgebügelt wird. Ihr
Hinweis, wonach Deutschrap als diverser Raum gilt, „<i>in dem
marginalisierte Menschen eine Stimme finden</i>“, ist genauso richtig wie
falsch. Als marginalisierte Menschen, die dringend einer Stimme
bedürfen, sehen sich nicht nur Migranten, sondern auch Querdenker,
Neonazis, Islamisten und Männerrechtsaktivisten. Die Tatsache, dass
diese nicht erst gestern die Musikform Rap übernommen haben, sollte
eigentlich auch der Bildungsreferentin bekannt sein.<br /><br />
Der von ihr geäußerte Vorwurf der Externalisierung eigener Problemen
trifft also einen Punkt. Genauso wie sich der Mainstream genüsslich dem
Thema Sexismus im Rap hingibt, verweisen die etwas Schlaueren unter den
Rapfans auf die Probleme der Mehrheitsgesellschaft in Bezug auf
sexualisierte Gewalt. Beide Seiten behalten dabei Recht. Niemals aber
wird so der derzeitige Status Quo ins Wanken geraten. Stattdessen gibt
es zwei Wochen lang Empörung, in neun Monaten wieder Songs von Samra,
vertrieben von Universal, und auch sonst bleibt alles beim Alten.</div>
<p></p><span><!--more--></span><span><!--more--></span><span><!--more--></span><span><!--more--></span><span><!--more--></span><span><!--more--></span>Ralf Fischerhttp://www.blogger.com/profile/09644548521979938571noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-8030627606373752295.post-69205845241151162332021-06-01T20:04:00.003+02:002022-10-24T22:35:03.336+02:00Wolfgang Benz: Zu Gast bei Freunden. <p style="text-align: justify;">In einer <a href="https://www.forumdialog.org/events/palaestinensische-erinnerung-an-die-nakba-und-deren-wirkung-auf-die-dritte-generation/" target="_blank">Online-Veranstaltung</a> Ende März diesen Jahres behandelte das
Forum Dialog die mentalen Folgen des israelischen Unabhängigkeitskrieges
auf junge palästinensische Akademiker als Thema. An dem Gespräch mit
dem Titel „<i>Palästinensische Erinnerung an die 'Nakba' und deren Wirkung
auf die dritte Generation</i>“ nahm neben der Historikerin Katharina
Kretzschmar auch der emeritierte Professor Wolfgang Benz teil. Diese
Konstellation war bei weitem kein Zufall. Kretzschmar promovierte in
Geschichte bei Wolfgang Benz und Nina Baur an der Technischen
Universität zu Berlin. Ihr Forschungsschwerpunkt war neben
Erinnerungsformen und -prozessen die Oral History mit Fokus auf die
deutsche Zeitgeschichte und den Nahen Osten. <span></span></p><a name='more'></a><div style="text-align: justify;">Die beiden Wissenschaftler plauderten in dem Format über die Erinnerung
als Auftrag der Eltern. In ihrem knapp einstündigen Dialog zitierten sie
zustimmend als sakrosankte Kronzeugen sich genau dieser verweigernde
Palästinenser und deren Anklage gegen die Deutschen wegen ihrer allzu
israelsolidarischen Haltung. Obwohl Historiker wie Benny Morris längst
nachgewiesen haben, dass arabische Führer die Bevölkerung 1948 zur
Flucht aufgefordert hatten und Berichte über Massaker häufig in die Welt
gesetzt wurden, um das eigene militärische Versagen zu verschleiern,
übernahmen die beiden deutschen Historiker unhinterfragt den Mythos der
Nakba.
<br /></div>
<br /><p></p><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEiJCc5yNIWmapM8nlNc7Bvi8zyLfkWGdUwn2_1W3kXmYAIItAq12xL_gRomr7V4un9SJlihT3pisRMr3tKEu1q_6WBzfD5_3Wx8WT8qlIzi6kGm_1xzGaqjMgUQSNc5FeXrqcZhN1exxbEE/s1170/Screenshot_2021-06-01+Pal%25C3%25A4stinensische+Erinnerung+an+die+%25E2%2580%259ENakba%25E2%2580%259D+und+deren+Wirkung+auf+die+dritte+Generation+Forum+Dialog.png" style="margin-left: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="729" data-original-width="1170" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEiJCc5yNIWmapM8nlNc7Bvi8zyLfkWGdUwn2_1W3kXmYAIItAq12xL_gRomr7V4un9SJlihT3pisRMr3tKEu1q_6WBzfD5_3Wx8WT8qlIzi6kGm_1xzGaqjMgUQSNc5FeXrqcZhN1exxbEE/s320/Screenshot_2021-06-01+Pal%25C3%25A4stinensische+Erinnerung+an+die+%25E2%2580%259ENakba%25E2%2580%259D+und+deren+Wirkung+auf+die+dritte+Generation+Forum+Dialog.png" width="320" /></a> </div><p></p><div style="text-align: justify;">Dieses Narrativ ist für Benz genauso wie Kretzschmar Ausgangspunkt eines
Erinnerung stiftenden Delegationsauftrages für junge Palästinenser, vor
allem jene, die im Ausland beziehungsweise in Israel leben. Zur
Identitätskonstruktion fehle ihnen nicht nur die Zugehörigkeit zum
palästinensischen Kollektiv, sondern auch ein klar definiertes
Feindbild. Widerspruch gegen diese ahistorischen Erörterungen mussten
weder Kretzschmar noch Benz erwarten. Man befand sich schließlich unter
Freunden.<br /><br />Für das Forum Dialog referierte Wolfgang Benz, der sich selbst als
Vorurteilsforscher sieht, schon einmal vor anderthalb Jahren zum Thema
„<i>Islamfeindlichkeit in Deutschland</i>“. Dass sich die Veranstalter offen zu
dem islamistischen Prediger Fethullah Gülen, dessen Organisationen bis
2013 eng an der Seite des türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip
Erdoğan wirkten, bekennen, störte Benz bisher nicht. <br /><br />Seine Mutmaßung,
wonach es Analogien zwischen dem Judenhass des letzten Jahrhunderts und
dem heutigen Islamhass gäbe, wird im Milieu der islamistischen Rechten
begierig aufgenommen. Bereits im November 2010 wurde das deutlich, als
er in seiner Funktion als Leiter des Zentrums für
Antisemitismusforschung an der Technischen Universität Berlin zu diesem
Thema dem islamistischen Internetportal Muslim-Markt ein Interview gab.</div>Ralf Fischerhttp://www.blogger.com/profile/09644548521979938571noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-8030627606373752295.post-51476352897763327172020-10-27T17:43:00.011+01:002022-10-24T23:04:04.771+02:00Ohne Mühe<div><div style="text-align: justify;">Der
von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) neu berufene Unabhängigen Expertenkreis
Muslimfeindlichkeit (UEM) wurde in der breiten Öffentlichkeit als
notwendiger erster Schritt in die richtige Richtung begrüßt. Die
Einrichtung des Gremiums ist laut Bundesinnenministerium „<i>eine
Reaktion auf rassistische und muslimfeindliche Vorfälle sowie
terroristische Anschläge bzw. Anschlagsplanungen der vergangenen
Monate</i>“. Die Bundesregierung will mit der Installierung des Kreises
zeigen, dass sie die wachsenden Sorgen und Ängste von Menschen ernst
nimmt, die von muslimfeindlichem Hass, Anfeindungen und Übergriffen
betroffen sind.</div><p style="margin-bottom: 0cm; text-align: justify;">Insgesamt zwölf Mitglieder wurden im
vergangenen Monat offiziell in den Kreis ernannt. Dabei soll es sich
laut Bundesinnenministerium um Expertinnen und Experten aus
Wissenschaft und Praxis, die eine breite fachliche Expertise zu
Aspekten und Auswirkungen und der Prävention von Muslimfeindlichkeit
in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen repräsentieren,
handeln. Unter anderem wurden Saba-Nur Cheema von der Bildungsstätte
Anne Frank, Prof. Dr. Iman Attia von der Alice Salomon Hochschule
Berlin und Dr. Yasemin Shooman vom Deutschen Zentrum für
Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) berufen. Vor allem aber
die Ernennung von Nina Mühe (CLAIM) in das Gremium rief jedoch
größere Kritik hervor. <span></span></p><a name='more'></a><br /></div><div style="text-align: justify;">„<i>Die Claim Allianz ist durchsetzt
mit fragwürdigen Organisationen, einige davon aus dem
Aktionsgeflecht der Muslimbruderschaft. Wer dort verantwortlich tätig
ist, möchte neben der Muslimfeindlichkeit auch die sogenannte
Islamfeindlichkeit zu einer Form von Extremismus umdeuten</i>“, erklärt
die <a href="https://vunv1863.wordpress.com/">Islamismus-Expertin Sigrid Herrmann-Marschall</a>. Die Sozialdemokratin, befürchtet, dass die Personalie
Mühe darauf hindeutet, dass sich im Gremium eine Strömung
konstituieren könnte, die nicht zwischen Ideologiekritik und
Menschenfeindlichkeit unterscheidet.<br /></div><p style="margin-bottom: 0cm; text-align: justify;">Mühe gilt als
hervorragend innerhalb der Zivilgesellschaft vernetzt. Als
Projektleiterin ist sie das Aushängeschild von CLAIM - Allianz gegen
Islam- und Muslimfeindlichkeit und im Themenbereich „Muslimen in
Deutschland und Europa“ als Stichwortgeberin über die
Landesgrenzen hinaus prägend. So ist sie als Diversity Trainerin im
„Belieforama“-Programm zu Religiöser Vielfalt und
Antidiskriminierung der Organisation Ceji in Brüssel aktiv und
arbeitete an dem Projekt ‚Alternative Voices on Integration’ des
Institute of Race Relations in London mit. Von 2010 bis 2013 war sie
als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Europa Universität
Viadrina für das EU-Forschungsprojekt „ACCEPT Pluralism“ tätig.</p>
<p style="margin-bottom: 0cm; text-align: justify;">Die Ethnologin Mühe war aber auch
in dem vom Berliner Verfassungsschutz beobachteten Verein Inssan
aktiv. Der Inlandsgeheimdienst zählte Inssan zu einer Reihe von
Vereinen die zur Islamischen Gemeinschaft in Deutschland (IGD), der
mitgliederstärkste Organisation von Anhängern der
Muslimbruderschaft in Deutschland, enge Verbindungen hält. Die
Hintergründe des Vereins recherchierte der Deutschland-Korrespondent
des New Yorker Wall Street Journals und Pulitzer-Preisträger Ian
Johnson. „<i>Nach unseren Recherchen müssen wir davon ausgehen, dass
Inssan das Ziel verfolgt, eine konservative, antiintegrative Form des
Islams zu fördern, die mit der Islamauffassung der
Muslimbruderschaft übereinstimmt</i>“, erklärte Johnson schon 2008 <a href="https://www.tagesspiegel.de/berlin/islamismus-charlottenburger-moscheeprojekt-im-zwielicht/1212542.html">gegenüber dem Tagesspiegel</a>.<br /><br />Um
organisatorische und inhaltliche Verbindungen zu verschleiern,
veranstalten die Aktivisten aus dem Aktionsgeflecht der Muslimbrüder
ein veritables Versteckspiel. Mühe, die auch als Projektleiterin der
Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus das Modellprojekt
„Akteure der Jugendbildung stärken – Jugendliche vor
Radikalisierung schützen“ leitete, lies 2006 kurz vor ihrem Marsch durch die Institutionen verbreiten,
dass sie eine „<i>ehemalige Mitarbeiterin von Inssan e.V.</i>“
<a href="http://muslimische-stimmen.de/dossiers/dossier-single/article/mit-muslimen-etwas-bewegen/">sei</a>.<br /><br />Konterkariert wurde ihre Aussage kurz darauf in dem Buch
„<span lang="de-DE">Kulturelle Anpassungsleistungen muslimischer
Jugendlicher in Deutschland unter Wahrung der religiösen Identität“
von Barbara John (CDU). Die ehemalige Ausländerbeauftragte des
Berliner Senats verweist in ihrer Publikation auf die Ergebnisse
„<i>einer schriftlichen Befragung der Autorin vom Juni 2007</i>“. Als Interviewpartner gibt die Christdemokratin „<i>Chaban Salih und Nina
Mühe</i>“ an, die sie als „<i>Mitglieder im Verein Inssan</i>“ <a href="https://link.springer.com/chapter/10.1007%2F978-3-531-90917-2_7">ausweist</a>. </span><br /></p><p style="margin-bottom: 0cm; text-align: left;"><span lang="de-DE"><br /></span></p><table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEg789v5ztU8x16X7TGemupeAruknkUJoKzbjeuTczodTijPEi7uDlhna-r80f9yEfTrzK60oPZu2pdpvtQ0XHer0wGDMgKN2seXjeuO2wFf3jasUdTaKB3Rz8HK6tUqunW-fRoaJ-YaFONk/s688/Screenshot_2020-10-22+Kulturelle+Anpassungsleistungen+muslimischer+Jugendlicher+in+Deutschland+unter+Wahrung+der+religi%25C3%25B6sen%255B...%255D.png" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="141" data-original-width="688" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEg789v5ztU8x16X7TGemupeAruknkUJoKzbjeuTczodTijPEi7uDlhna-r80f9yEfTrzK60oPZu2pdpvtQ0XHer0wGDMgKN2seXjeuO2wFf3jasUdTaKB3Rz8HK6tUqunW-fRoaJ-YaFONk/s320/Screenshot_2020-10-22+Kulturelle+Anpassungsleistungen+muslimischer+Jugendlicher+in+Deutschland+unter+Wahrung+der+religi%25C3%25B6sen%255B...%255D.png" width="320" /></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;">Screenshot aus "<span lang="de-DE">Kulturelle Anpassungsleistungen muslimischer
Jugendlicher in Deutschland unter Wahrung der religiösen Identität" von Barbara John</span><br /><br /></td></tr></tbody></table><div style="text-align: justify;">„<i>Das nun vermehrt Frauen aus dem
Aktionsgeflecht der Muslimbrüder in den Fokus der Öffentlichkeit
gerückt werden ist keine deutsche Spezifika</i>“, erklärt Christian Mors von der <a href="https://www.instagram.com/magazintapis/">Zeitschrift tapis</a>. Diese Strategie käme vor allem in
westlichen Ländern zum Einsatz. „<i>Prominent werden Testimonials wie
Mühe platziert um in der westlichen Welt als Ansprechpartner und
offizieller Repräsentant der muslimischen Gemeinschaft Einfluss auf
die Politik zu nehmen</i>“. Die Tatsache, dass es die Ethnologin Mühe
nun in den Unabhängigen Expertenkreis Muslimfeindlichkeit geschafft
hat, verdeutlicht laut Mors die erfolgreiche Wühlarbeit der letzten
Jahrzehnte durch Akteure aus dem Umfeld der Muslimbruderschaft.
</div><p></p>Ralf Fischerhttp://www.blogger.com/profile/09644548521979938571noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-8030627606373752295.post-44319401551671801252020-07-23T16:12:00.001+02:002022-10-24T23:14:45.110+02:00Hessische Zustände<h2><b>D</b>er Rapper Haftbefehl schießt sich auf einem Provinzbahnhof selbst ins Bein - Ein Dramolett</h2><p align="JUSTIFY"><span class="ft"><font size="1"><b>Ralf Fischer / Neues Deutschland </b></font></span></p>
<p align="JUSTIFY">Ein Schuss, ein Schrei und ein Anruf bei der Polizei. Am vergangenen
Freitag lief es nur mäßig für den Rapper Haftbefehl. Unter
»<i>Drogeneinfluss</i>« soll sich der 34-Jährige mit einer Schusswaffe eine
schwere, aber nicht lebensbedrohliche Verletzung zugezogen haben. Seinem
Bad-Boy-Image getreu, verweigerte »Hafti« die Zusammenarbeit mit den
herbeigerufenen Polizeikräften. Die genaueren Umstände des Vorfalles
sind deshalb ungeklärt. Durchsuchungen in einer Bar und dem Wohnsitz des
Rappers konnten nicht zur Klärung des Vorfalls beitragen.<br /><br />Drogen, Waffen und Blut. Das Missgeschick des Aykut Anhan, wie
Haftbefehl bürgerlich heißt, war ein gefundenes Fressen für die lokalen
Medien. Lustvoll titelte die »Hessenschau«: »<i>Rapper Haftbefehl schießt
sich selbst ins Bein.</i>« Zum Glück ließ man nicht den Praktikanten, wie
sonst üblich zu dieser Uhrzeit, den Titel auswählen, sonst wären die
Worte »<i>Knie</i>« und »<i>Schuss</i>« in einer semantischen Dichte gefallen, die das
Elend des Lokaljournalismus perfekt illustriert und dessen Zustand als
Zombie des Informationsaustausches nur allzu deutlich gemacht hätte.</p><p style="text-align: justify;">Wo das Elend am größten ist, werfen schlechte Nachrichten bekanntlich
die größten Schatten. Die Online-Ausgabe der »Offenbacher Post« richtete
einen Ticker ein, in dem die aktuellsten Neuigkeiten rund um den
bekanntesten Sohn der Stadt veröffentlicht wurden. Ein Spannungsbogen
wird dabei schmerzlich vermisst. Moritz von Uslar hatte noch einen Monat
zuvor für die »Zeit« »<i>Deutschlands populärstem Gangster-Rapper</i>« in der
Stadt seine Aufwartung gemacht. Selbstverständlich war es
hochnotpeinlich. Man traf sich im Industriepark. Niemand, der noch
halbwegs bei Verstand ist, möchte in Offenbach tot über dem Zaun hängen.<br /><br />»<i>Frankfurt am Main. Die Bankenstadt - Die Wolkenkratzermetropole, die
Kriminalitätshauptstadt</i>«, so klingt eine Liebeserklärung an einen
Sehnsuchtsort für Gangster und Rapper. Blamabel für Anhan: Die
Schussverletzung hat er sich nicht im Frankfurter Bahnhofsviertel,
sondern am Bahnhof in Babenhausen zugefügt. Hier betreibt der
selbsternannte Babo seit Weihnachten 2015 eine Sisha-Bar. Das Umland des
Ortes wird laut Wikipedia zum Großteil ackerbaulich genutzt. Um die
Stadt herum verteilen sich mehrere Kiesgruben. Keine Wolkenkratzer weit
und breit. Nirgendwo sind Banken, die es sich lohnt zu überfallen. Die
Kriminalitätshauptstadt könnte wahrlich nicht weiter entfernt sein.<br /><br />Derweil verrichtet die »Offenbacher Post« ihr Tagewerk. Im Ticker wird
spekuliert, »<i>ob es sich bei dieser Aktion des Rappers gar um eine
Promo-Aktion</i>« für sein neuestes Werk »Das Weisse Album« handelt. Eine
journalistische Bankrotterklärung. Haftbefehl ist ein Meister der
Selbstvermarktung. Sein Vermögen wird auf 1,5 Millionen Euro geschätzt.
Mit »DWA« erzielte er vor einem Monat seine erste Nummer eins in den
deutschen Hip-Hop-Charts als Solokünstler. Musikalisch ist das Album
über dem Durchschnitt anzusiedeln, aber dank der sich ständig
wiederholenden »<i>Herabwürdigung von Armen, Schwachen und Frauen</i>«, wie
Jakob Biazza in der »Süddeutschen Zeitung« zu Recht anmerkt, wahrlich
kein Ohrenschmaus. Der Rapper verschwende »<i>sein Potenzial an
Kapitalismus-Hörigkeit</i>«, konstatiert Biazza.<br /><br />Die »Offenbacher Post« hat einen anderen Standpunkt. Nachzulesen im
Ticker. Wegen »<i>seiner großen Heimatverbundenheit</i>« und weil der Rapper
schließlich einer sei, »<i>der es geschafft hat, erfolgreich zu sein</i>«, wäre
im Zuge der Kolonialismus-Debatte eine Petition, die Bismarckstraße in
Offenbach nach Haftbefehl umzubenennen, sogar auf Zuspruch im Rathaus
gestoßen. Dies solle »<i>Migrant*innen zeigen, dass sie auch erfolgreich
sein können</i>«. Die Trauben in der Stadt an der hessischen Apfelwein- und
Obstwiesenroute hängen offenbar ziemlich tief.<br /><br />Das Ende des Nachrichtenaufkommens zur tragischen Selbstverletzung des
Aykut Anhan steht sinnbildlich für den Stand der Integration von
hessischen Lokaljournalisten in eine Einwanderungsgesellschaft wie die
hiesige. Den von Haftbefehl aus dem Krankenhaus gesendeten Tweet
»<i>Hamdullah mir geht’s gut!</i>« übersetzt die Redaktion wohlmeinend für
jenen Teil der Landbevölkerung, der zumindest einen Internetanschluss
hat: »<i>Hamdullah ist arabisch und bedeutet ›Gott sei Dank‹.</i>« Ich schwöre,
in diesem Bundesland hat nicht nur die Polizei ein strukturelles
Problem.</p>Ralf Fischerhttp://www.blogger.com/profile/09644548521979938571noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-8030627606373752295.post-9089547182672094552020-06-23T16:53:00.006+02:002020-06-23T22:08:23.528+02:00Dem Fernsehen beim Sterben zu sehen. Teil fünf.<h3>
<span style="font-size: medium;"><b>Eine alphabetische Reise durch eine lineare Welt</b></span></h3><div><br /></div>
<div>
<b>E - Ein starkes Team</b></div>
<b><br /></b>
Polizisten sind Deutschlands ganzer
Stolz. Ihre Darstellung in der Popkultur ist dementsprechend. Akkurat
angezogen, spießig bis unter die Achseln und moralisch einwandfrei
ermitteln Beamte im Fernsehen gegen kriminelle Kanaken. Ein ganz
besonders verdorbenes Beispiel ist die Serie „Ein starkes Team“.
Neben der schon im Titel mitschwingenden Verbrüderung zwischen Ost
und West durfte als weitere Konzession gegenüber dem dummen Rest in
der seit 1994 laufenden Produktion ein ostdeutscher Prolet als
Kommissar mitspielen. Ein williger Ost-Schimanksi als Ersatz für den
in der Zone nostalgisch verklärten Polizeiruf.<br />
<br />
<div style="margin-bottom: 0cm;">
Das als
Wiedervereinigungskrimi konzipierte Drama aus der gefühlten
Weltstadt sollte als moralische Erbauung für sich als abgehängt
fühlende Menschen mit ostdeutschem Migrationshintergrund fungieren.
Aber es war wie in der Politik: Gespart wurde an den menschlichen
Arbeitskraftbehältern wie Autoren, Schauspielern und Producern, nicht an Vorurteilen. Die Drehbücher sind mit einer eingebauten
Klischeeachterbahn versehen, an deren Ende zielgenau der italienische
Mafioso oder der osteuropäische Schläger als einzig plausible
Täter in Frage kommen.<br /><br />Die amateurhaften Kamerafahrten, in
denen die Hauptstadt wie eine heruntergekommene Kleinstadt im
Ruhrpott daherkommt, konterkarieren den Plot, der nach den Sternen zu
greifen versucht. Für CSI Berlin bräuchte es aber nicht nur eine
bessere Ausleuchtung, Dialoge, die nicht gestanzt daherkommen und
gescheite Autoren, sondern zuerst einmal eine Idee von künstlerischer
Freiheit. Intellektuell, wie auch ästhetisch.<span style="font-size: medium;"></span></div>
Ralf Fischerhttp://www.blogger.com/profile/09644548521979938571noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-8030627606373752295.post-20864840330486368802020-06-16T18:49:00.003+02:002020-06-24T17:17:29.623+02:00Dem Fernsehen beim Sterben zu sehen. Teil vier.<h3>
<span style="font-size: medium;"><b>Eine alphabetische Reise durch eine lineare Welt</b></span></h3>
<div>
<b><br /></b></div>
<div>
<b>D - Dinnerdate</b></div>
<b><br /></b>
Das lineares Fernsehen stirbt nicht allein
wegen der Konkurrenz durch die Streaminganbieter aus, sondern weil
die deutschen Programmmacher nichts weiter als angelernte Diebe sind.
Ideen für neue Formate kupfern sie bei den britischen oder
amerikanischen Kollegen ab. Was dort drüben Erfolg hat, so die
Maxime, wird auch hier sein Publikum finden. Das führt zumindest
dazu, dass viele Sendungen grundsolide produziert sind und nicht
völlig am Geschmack des Mainstreams vorbeigehen. Aber das klappt
nicht immer, siehe Dinnerdate.
<div>
<br /></div>
<div>
Den Verantwortlichen, die diese
Mischung aus Koch- und Kuppelshow ins Programm gehievt haben, sollte
umgehend die Pension gestrichen werden. Das wäre immer noch besser
als sie wegen schweren Menschenrechtsverletzungen vor den Gerichtshof
in Den Haag zu zerren. Die der Sendung zugrunde liegende Idee, dass
Liebe bekanntlich durch den Magen geht, wird konterkariert durch die
lieblose Umsetzung des Formates. Der Kitsch-Karneval wird weder dem
Begehren der Teilnehmer nach einer gemeinsamen Zukunft mit einem
neuen Partner gerecht, noch unterhält er die Zuschauer. Nach
mehrmaliger Ansicht überkommt einem das ungute Gefühl, dass diese
Sendung ein Experiment am lebenden Objekt ist und den Teilnehmern zu
raten wäre, den Gang vor Gericht dem ersten Gang des Gerichtes
vorzuziehen.
<br /><br />Hier geht es weiter zum <a href="https://ralffischer.blogspot.com/2020/06/dem-fernsehen-beim-sterben-zu-sehen_23.html">fünften Teil...</a><br /></div>
Ralf Fischerhttp://www.blogger.com/profile/09644548521979938571noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-8030627606373752295.post-85002052766931916562020-06-09T12:23:00.003+02:002020-06-16T18:53:46.562+02:00Dem Fernsehen beim Sterben zu sehen. Teil drei.
<h3><font size="4"><b>Eine alphabetische Reise durch eine lineare Welt</b></font></h3><p style="margin-bottom: 0cm;"><b>C - Corona-Comedy-TV</b><br /><br />Als wäre
das ständige Aufeinanderhocken der gesamten Sippe in Quarantäne
nicht schon unerträglich, dürfen nun Comedysänger Mark Forster
oder Schlagercomedians wie Luke Mockdrige und Klaas Heufer Umlauf das
Not-und-Elend-Programm gestalten. Von ihren Wohnzimmern aus
langweilen sie ihr Publikum mit „interaktiven Shows“, gegen die
„Terrance und Phillip“ als gehobene Erwachsenenunterhaltung daher
kommt. C-Prominente, die über ihr Privatleben jedes noch so
belanglose Detail bereitwillig preisgeben, gibt es schon im Internet
wie einst Pornographie in einer gut sortierten Videothek. Die
Androhung zwischen den Werbeblöcken vermehrt solche
Billigproduktionen zu platzieren, wird den Untergang des linearen
Fernsehen nur noch beschleunigen.</p><p style="margin-bottom: 0cm;">Selbst bei Ausschaltung der
zweitgrößten Konkurrenz, The Real World, gelingt es den
Programmmachern nicht wirklich, die vergraulten Zuschauer
zurückzugewinnen. Es ist nicht wie mit der organisierten
Kriminalität, wenn diese ihre Konkurrenz ausschaltet, geht der
Absatz durch die Decke. Durch die Ausgangssperre wird vielen
ehemaligen TV-Junkies überhaupt erst klar, wie knapp sie einem
qualvollen Tod durch Langeweile entronnen sind. Wer ernsthaft mit den
Löwen über die Situation der Freiberufler diskutiert, der sieht
offensichtlich in seinem Leben keinerlei Sinn mehr. Hier ist dringend
Hilfe nötig, keine Häme. Just saying.
<br /><br />Hier geht es weiter zum <a href="https://ralffischer.blogspot.com/2020/06/dem-fernsehen-beim-sterben-zu-sehen_16.html">vierten Teil...</a></p>Ralf Fischerhttp://www.blogger.com/profile/09644548521979938571noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-8030627606373752295.post-6677831089770801702020-06-02T10:32:00.004+02:002020-06-10T16:01:37.513+02:00Dem Fernsehen beim Sterben zu sehen. Teil zwei.<h3><font size="4"><b>Eine alphabetische Reise durch eine lineare Welt</b></font></h3><div><br /></div><div><b>B – Bares für Rares</b></div><br /><div><p style="margin-bottom: 0cm;">Die traditionelle Fachsendung für
Schnauzbartträger und Dackelliebhaber ist ein fester Bestandteil des
Rund-um-sorglos-Paketes im Nachmittagsprogramm des ZDF. Hier ist zwar
nicht die Welt, aber zumindest noch Deutschland in Ordnung. Auf
diesem Sendeplatz können sich die neuen Biedermeier von dem Plunder,
den ihnen ihre Verwandten vererbten, geräuschvoll und medienwirksam
trennen. Erstaunlicherweise schaut die gut betuchte Rentnerschaft
gern dabei zu, wie ihre Kinder und Enkel mit den mühevoll über die
Zeit geretteten Antiquitäten zum Teil noch vor ihrem Ableben
hausieren gehen oder die auf dem Dachboden gefundene Beutekunst zu
Asche machen.<br /><br />Wenn dann bei Bares für Rares die achtzig Jahre
alte Brosche, ein unschätzbares Familienerbstück, welches einst die
Großmutter vom Großvater geschenkt bekam, nachdem dieser sie so
tapfer in Frankreich erbeutete, von den Enkel völlig ungeniert vor
aller Augen zu Geld gemacht wird, blamiert sich zumindest die
hierzulande gern geschwungene Rede von der Tradition. Der
Verwendungszweck des erbeuteten Geldes ist dann auch so schnöde, wie
die Verkäufer selbst. Dieses soll dann zumeist für die Reparatur
des Eigenheims, die Aufbesserung der Urlaubskasse oder das zehnte
Semester der Enkeltochter herhalten. Anstatt das
Kommunikationsstudium endgültig zu stornieren, wird das mit
Brillanten besetzte Schmuckstück bereitwillig den fünf von der
Pfandstelle in den Rachen geworfen. Unter Wert, in jeglicher
Hinsicht.<br /><br />Hier geht es weiter zum <a href="https://ralffischer.blogspot.com/2020/06/dem-fernsehen-beim-sterben-zu-sehen_9.html">dritten Teil...</a><br /></p></div>Ralf Fischerhttp://www.blogger.com/profile/09644548521979938571noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-8030627606373752295.post-57435011798243668652020-05-26T17:51:00.003+02:002020-06-04T19:54:29.590+02:00Dem Fernsehen beim Sterben zu sehen. Teil eins.<h2>
</h2>
<h3>
<font size="4"><b>Eine alphabetische Reise durch eine lineare Welt<br /></b></font><br />
</h3>
<div style="margin-bottom: 0cm;">
<b>A – Aktenzeichen XYZ
ungelöst</b><br /><br />Beinahe unfassbar: Das visuell neu aufgehübschte,
inhaltlich aber in den 50er Jahren hängen gebliebene Gruselkabinett
ist immer noch fester Bestandteil des öffentlich-rechtlichen
Fernsehprogramms. Mit dem Charme eines Oberscharführers moderiert
Rudi Cerne im Abendprogramm diesen monatlich gesendeten Aufruf zur
Denunziation, der die Bevölkerung so bereitwillig nach dem Telefon
greifen lässt, wie sonst nur Teleshoppingkanäle.<br /><br />
</div>
<div style="margin-bottom: 0cm;">
Während statistisch die Kriminalität
sinkt, lässt die Sendung den Zuschauer mit dem Gefühl zurück, dass
jeder noch so kurze Urlaub zum zwangsläufigen Verlust des gesamten
Hab und Gutes führen muss oder an jeder Ecke ein gemeingefährlicher
Meuchelmörder nur darauf wartet, dem eigenen Leben ein qualvolles
Ende zu bereiten. Die neuesten Ziele der Fernsehfahndung werden in
Einspielern illustriert, in denen Laiendarsteller mühsam versuchen
Authentizität vorzugaukeln. Ein Sujet, dass beim Fernsehpublikum den
Effekt des Schreckens nur noch verstärkt.<br /><br />Solche
Strafverfolgungs-TV-Formate lösen entsprechend eher Panik im Hubraum
der Gesellschaft aus, als dass sie zur Ergreifung der gesuchten
Kriminellen führen. Trotzdem finden sich in den dritten Programmen
eine Reihe weiterer Sendungen mit Namen wie Täter – Opfer –
Polizei, bei deren Namensgebung schon mehr kriminelle Energie von
Nöten war als bei einem Einbruch in das Bode-Museum.<br /><br />Hier geht es weiter zum <a href="https://ralffischer.blogspot.com/2020/06/dem-fernsehen-beim-sterben-zu-sehen.html">zweiten Teil...</a><br /></div>
<div style="margin-bottom: 0cm;">
<br /></div>
<h2>
<br /></h2>
Ralf Fischerhttp://www.blogger.com/profile/09644548521979938571noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-8030627606373752295.post-91018457076731851792019-11-11T10:32:00.025+01:002022-04-12T15:25:27.096+02:00Was wollen die Juden überhaupt noch?<h2>Interview mit Pierre-Alexander Richard,
Politikwissenschaftler aus Potsdam, über die Rückübertragung von
Grundstücken der Jüdischen Landarbeit GmbH an die Jewish Claims
Conference (JCC) in Südbrandenburg.</h2><div data-blogger-escaped-style="margin-bottom: 0cm;" style="margin-bottom: 0cm;"><p></p><p style="margin-bottom: 0cm;">RF: <b>Anfang September hat in der
Auseinandersetzung um die Rückübertragung von Grundstücken der
Jüdischen Landarbeit GmbH an die Jewish Claims Conference (JCC) im
Cottbuser Ortsteil Groß Gaglow die Schlichtung unter dem ehemaligen
Präsidenten des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg, Jürgen
Kipp, begonnen. Sie haben sich mit dem Streit um die Restitution in
Ihrer Bachelorarbeit auseinandergesetzt. Weshalb siedelten Juden 1930
im südlichen Teil von Brandenburg und nicht in Palästina?</b><br /><br />P-A.R.: <i>Der ansteigende Antisemitismus der 20er
Jahre vor allem in den ländlichen Gebieten im Osten des Deutschen
Reiches, wie zum Beispiel Ostpreußen und Pommern, war die
ausschlaggebende Motivation hinter der Idee nach Brandenburg zu
ziehen. Die meisten Siedler waren Veteranen des 1.
Weltkrieges, teilweise hoch dekoriert. Sie wollten unter Beweis
stellen, dass Juden Landwirtschaft betreiben können. Bei dem Projekt
handelte es sich um ein antizionistisches Projekt. Für die Siedler
war es von höchster Wichtigkeit, in Deutschland zu bleiben und
andere Juden auszubilden. damit diese in Deutschland Ackerland
bewirtschaften können. <span></span></i></p><a name='more'></a><b><br /><br />Das Land wurde im Juli 1930 erworben
und die Einweihungsfeier fand im Juni 1931 statt. Die ersten Siedler
zogen direkt nach dem Kauf der Grundstücke im Juli 1930 nach Groß
Gaglow. Wer finanzierte das Projekt?</b><p></p></div><div data-blogger-escaped-style="margin-bottom: 0cm;" style="margin-bottom: 0cm;"><p style="margin-bottom: 0cm;"><i>Die Siedlung wurde vom Reichsbund
Jüdischer Frontsoldaten, den Jüdischen Gemeinden Berlin, Breslau,
Bonn, München und einigen jüdischen Unternehmern finanziert.
Interessenten wurden mittels Annoncen in jüdischen Zeitungen und dem
Zentralorgan des Reichsbundes Jüdischer Frontsoldaten „Der Schild“
gesucht.</i><b><br /><br />Wie viele Familien siedelten sich in
Groß-Gaglow an?</b><i><br /></i></p><p style="margin-bottom: 0cm;"><i>Die genaue Anzahl der Familien ist
heute schwer zu ermitteln. Mindestens waren es 29 Familien. Hinzu
kommen noch Auszubildende, die bei den Familien untergebracht waren.
Da die meisten Familien Kinder hatten, können wir von ca. 100
Personen ausgehen, die dauerhaft in der Siedlung wohnten.</i><b><br /><br />Nach der Machtübernahme durch die
NSDAP schielten einige Deutsche auf die Grundstücke ihrer jüdische
Nachbarn. Wann und wie wurde die Jüdische Landarbeit GmbH enteignet?
Wem wurden die Grundstücke übertragen?</b><i><br /></i></p><p style="margin-bottom: 0cm;"><i>Die Enteignung erfolgte im Mai 1935.
Die lokale NSDAP marschierte in der Siedlung ein und gab den
Bewohnern 2 Tage, um die Siedlung zu verlassen. Es durfte nur das
mitgenommen werden, was auf einen Karren passte. Die Viehbestände
mussten auch zurückgelassen werden. Die Siedlung wurde dann
einer Treuhandgesellschaft übergeben, welche damit beauftragt wurde,
neue „arische Siedler“ zu finden. Die Grundstücke wurden damals
unter Wert verkauft. Viele Käufer erlebten durch diesen Kauf einen
wahren sozialen Aufstieg. Vom ungelernten Hilfsarbeiter zum Gärtner
oder Landwirt mit eigenem Haus, Land und Vieh. Viele der arischen
Neusiedler waren Mitglieder der NSDAP oder der lokalen SA.</i></p></div><br /><div data-blogger-escaped-style="margin-bottom: 0cm;" style="margin-bottom: 0cm;"><b>Wie entschied das Bundesamt für
Zentrale Dienste und Offene Vermögensfragen über die ersten
Restitutionsanträge?</b><i><br /><br />Zur Situation in Groß-Gaglow muss man
wissen, dass es sich nicht um 29 Grundstücke handelt, sondern wie in
Deutschland üblich, um Grundstücksflure. Von diesen Fluren gibt es
auf dem ehemaligen Gelände der GmbH über 100 Stück. Gerade einmal
um die 10 Stück wurden mit Restitutionen oder kleinen Zahlungen
entschädigt. Alle anderen Restitutionsanträge wurden abgelehnt.
Entweder weil es nach dem Krieg einen Besitzerwechsel gab oder weil
das Gericht die Besitzansprüche der ehemaligen Bewohner nicht als
gänzlich geklärt ansah.</i></div><div data-blogger-escaped-style="margin-bottom: 0cm;" style="margin-bottom: 0cm;"><p style="margin-bottom: 0cm;"><b>Wie reagierten die heutigen Anwohner
von Groß-Gaglow auf die Restitutionsansprüche durch die Jewish
Claims Conference?</b></p><b>
</b></div><div data-blogger-escaped-style="margin-bottom: 0cm;" style="margin-bottom: 0cm;"><p>
</p><p style="margin-bottom: 0cm;"><i>Von Seiten der heutigen Bewohner gibt
es keinerlei Wille, sich positiv mit den Restitutionsansprüchen
auseinanderzusetzen. Ein Angebot, auf Lebenszeit in den Häusern
weiter zu wohnen, wurde abgelehnt. Der JCC wird nicht einmal als
legitimer Verhandlungspartner angesehen.</i><br /><br /><b>Sie selbst gerieten in das Visier der
Anwohner. Was haben Sie bei Ihren Aufenthalten vor Ort erlebt?
</b><br /><i><br />Während einer Demonstration unter dem
Namen „Keine Rückübertragung ehemaliger jüdischer Grundstücke
in Groß Gaglow an die Claims Conference (JCC) fiel von einer der
Betroffenen der Satz: „Was wollen die Juden überhaupt noch, es
gibt doch eh keinem mehr dem man etwas zurückgeben könnte.“ Mir selbst wurde von derselben Person,
die heute noch Ortsvorsteher ist, per Email mit einer fiktiven
Identitätsfestellungsklage bei der Polizei gedroht, nachdem ich an
der Demonstration teilgenommen hatte und mich ganz eindeutig mit
meinem Namen als Forscher identifiziert hatte.</i><br /><br /><b>Wenn überhaupt wird häufig sehr
wohlwollend in der lokalen Presse über das Schicksal der heutigen
Bewohner berichtet. Was ist Ihr Eindruck bezüglich der
Außenwahrnehmung des Falles?</b><br /><br /><i>Sowohl die lokalen Medien wie auch der
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) und Brandenburgs
Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) zitieren aus den ihnen vom
Ortsvorsteher zur Verfügung gestellten Dokumenten und sprechen ihre
Solidarität mit den heutigen 'Opfern' aus. Nur selten, in
Nebensätzen, wird über die jüdischen Opfer gesprochen und adäquat
an sie erinnert.
</i></p></div><div data-blogger-escaped-style="margin-bottom: 0cm;" style="margin-bottom: 0cm;"><p></p></div><div data-blogger-escaped-style="margin-bottom: 0cm;" style="margin-bottom: 0cm;"><p><b>Vielen Dank für das Gespräch.</b></p></div>Ralf Fischerhttp://www.blogger.com/profile/09644548521979938571noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-8030627606373752295.post-60891869497478855622015-11-26T13:37:00.003+01:002020-05-27T02:36:51.655+02:00Das Geplapper der Checker<div class="body-wrapper col-xs-12 col-md-10 col-md-offset-1 col-xl-8 col-xl-offset-2">
<div class="row_bak">
<span class="ft">
<p></p></span><h2>Ein Blick in die sozialen Medien zeigt, dass viele deutsche Rapper den
Feind genau kennen. Es gibt sogar Spekulationen, Bushido sei über die
Anschläge in Paris informiert gewesen.<br /></h2><span class="ft"><p><font size="1"><b>Ralf Fischer / Jungle World</b></font><br /><br />Während viele HipHop-Musiker ihre Anteilnahmen zum Ausdruck
brachten und die Anschläge in Paris verurteilten, gaben sich die
üblichen Verdächtigen der deutschen Rap-Szene eher zynisch oder
verstiegen sich gleich in Verschwörungstheorien.<br />
<br />»Mein tiefstes Beileid an die Angehörigen der Opfer in Paris. Es erfüllt
mich mit Wut und Trauer, zu sehen, wie kaputt unsere Welt ist«, schrieb
der als Kind nach Deutschland geflohene Azad. Cro twitterte das Wort
»Trauer«, Prinz Pi »liberté, égalité, fraternité« und Sido die
französische Nationalflagge. Viele weitere deutschsprachige Rapper
nutzten das Hashtag #prayforparis, um ihre Anteilnahme in den sozialen
Netzwerken auszudrücken. Zum Beispiel Animus aus Heidelberg und Nazar
aus Wien, die beide einen iranischen Migrationshintergrund haben.<br /><br />
Das weitverbreitete Hashtag wurde aber auch benutzt, um eine verdrehte
Sicht der Dinge zu präsentieren: »100 Tote und 260 Verletzte in Paris am
gestrigen Abend, Allah yehamiken inshallah (soll Gott ihren Seelen
gnädig sein) und jedem Hundesohn sein Leben nehmen, der dafür
verantwortlich ist, und gerechte Strafe erfahren lassen, inshallah!!! By
the way … in Afrika sterben jede Stunde … 100 Menschen an Hunger … In
Kurdistan werden 100 Leute pro Tag exekutiert vor laufender Handykamera.
In Palästina wissen 100 Leute pro Quadratmeter nicht, mit was sie im
Ramadan ihr Fasten brechen und essen Kieselsteine. Aber ey … was weiß
ich schon«, postete der zum Islam konvertierte Ruhrpott-Rapper
Manuellsen. Der 36jährige steht in enger Verbindung zum türkischen
Chapter der Hells Angels.<br />
<br />Größere Aufmerksamkeit wurde nur Bushido zuteil, der sich als
Tabubrecher inszenierte. »Hab erstmal schnell meinen Paris-Pullover
ausgezogen«, schrieb er auf Twitter. Gemeint war wohl der Pullover, mit
dem er sich nach dem Attentat auf Charlie Hebdo Ende Januar
präsentierte. Auch diesmal ließ der Shitstorm nicht auf sich warten.
Sogar der private Fernsehsender Pro Sieben reagierte umgehend mit einem
Kommentar: »Herr @Bushido, du widerst uns an.«<br /><br />
<b>Im Internet kursiert das Gerücht, Bushido sei über die Anschläge zuvor
informiert gewesen.</b> Begründet wird die Spekulation mit einer Textzeile
aus »Brot brechen«, seinem jüngsten Video. Bushidos Mitmusiker Shindy
rappt dort: »Im November ist alles vorbei wie Oktoberfest/im November
wie Chanukkah/dieses Jahr trag ich Camouflage«. Im Video sieht man
Bushido an einem mit Kufiyas dekorierten Tisch sitzen, bewaffnete Männer
stehen vermummt im Hintergrund. Irgendwann zeigt Bushido den erhobenen
Zeigefinger, ein Symbol der Terroristen des sogenannten Islamischen
Staats. Fler stellte einmal mehr unter Beweis, dass ihm die genretypische
Doppelbödigkeit nicht liegt. Kurz nach den Anschlägen twitterte er:
»Joko und Klaas hoffentlich in Paris«. Auf die ablehnende Reaktion eines
Followers reagierte der Berliner ungehalten: »Kauf mal bitte nie wieder
meine CDs!!!« <br /><br />Kool Savas, der selbsternannte King of Rap, äußerte sich auf Facebook
mit einer ausführlichen Bemerkung. Zuerst drückt er seine Hoffnung aus,
dass »wir alle schlau genug« sind, »aus diesen widerlichen,
menschenfeindlichen Hinrichtungen kein Anti-Islam-, Anti-Einwanderungs-,
Anti-Flüchtlings-Ding zu machen«. Doch was folgt, ist eine
Aneinanderreihung altbekannter Ressentiments: »Unsere wahren Feinde sind
die Rüstungsindustrie und jene, die von Krieg und Leid profitieren. Es
spielt für diese Menschen keine Rolle, ob Kinder sterben, ob Familien
zerstört werden, und ob sie einem jegliche Lebensgrundlagen nehmen,
solange die nächste Waffenladung bezahlt ist.« Kool Savas ist sich
sicher: »Ob am Ende 100 oder 100 Millionen Zivilisten und Soldaten ihr
Leben lassen«, habe keine »Bedeutung, solange jemand seine perversen
Ziele langfristig umsetzen kann«. Wer dieser jemand ist, weiß Savas
genau: »Eine Elite, die ganze Länder, Staaten und Kontinente wie zum
Beispiel Afrika ausbluten lässt, die Regierungen in Schulden stürzt, um
ihnen dann untilgbare Kredite zu verkaufen, hat niemals unser Wohl im
Sinn.« Auf die Reaktion eines Fans, der sein Idol darum bat, doch »bitte
kein Illuminaten-Geblubber« von sich zu geben, antwortete der Rapper,
sein Kommentar sei »nicht mal im Ansatz ’ne Verschwörungstheorie«.<br />
<br /><b>»Es ist so ekelhaft, den Islam dafür verantwortlich zu machen</b>, da in
diesen Ländern fast nur Muslime sterben bei Anschlägen. Die Drahtzieher
sind sicher keine Muslime, sondern ganz andere Länder, ihr wisst genau,
welche ich meine«, springt der Rapper Sinan-G dem vermeintlichen King of
Rap auf Facebook bei. Beide Posts erhielten über 10 000 Likes. Weil das
bloße Raunen über den wahren Feind auf Dauer unbefriedigend ist, werden
einige Protagonisten der Szene schnell konkreter. »Nachdem
3000 Amerikaner durch ihre eigene Regierung geopfert wurden, um einen
Krieg gegen die globale Freiheit zu rechtfertigen, kann man davon
ausgehen, dass nach Paris ähnliche Züge auf dem Schachbrett folgen
werden«, analysiert der Rapper B-Lash messerscharf und teilt ein Video
von Ken Jebsen zum Thema. »Die USA gehören zu den größten Terroristen
dieser Welt (…) Wer Waffen herstellt und verkauft, gehört genauso
bestraft. Das ist echter Terror«, legt Sinan-G in seinem
Kommentarbereich nach. Auch Tage nach dem Anschlag postete der 28jährige
immer wieder mehr oder weniger ernstgemeinte Anklagen gegen den
amerikanischen Weltfeind.<br /><br />
Wirklich überrascht hat nur die Reaktion des Berliner Rappers Bass
Sultan Hengzt. »Ich freu’ mich schon richtig krass auf die
Verschwörungstheoretiker … Nicht!« twitterte er.<span class="ft"></span></p></span></div></div>Ralf Fischerhttp://www.blogger.com/profile/09644548521979938571noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-8030627606373752295.post-32443120268976381012015-11-05T02:14:00.008+01:002020-05-27T02:19:57.586+02:00Für Volk, Reich und Palästina<h2>Die umtriebige rechtsextreme Chemnitzer Ultra-Gruppierung NS-Boys ist
Teil eines Netzwerks, zu dem auch Cottbuser, Leipziger und Züricher
Kameraden gehören. <br /><br /></h2><div><font class="ft"><font data-blogger-escaped-style="font-size: xx-small;" size="1"><b>Ralf Fischer / Jungle World</b></font></font></div><div><br /><span class="ft">Verpixeltes Gesicht, Anglermütze auf dem Kopf und zwei
Trommelstöcke in der Hand. So präsentierte sich in den sozialen
Netzwerken ein Mitglied der rechtsextremen Chemnitzer Ultragruppierung
New Society (NS-Boys) beim Spiel Energie Cottbus gegen Wehen Wiesbaden
am 12. Spieltag in der Dritten Liga. Neben der Zaunfahne der
Energie-Ultras vom Preußen-Kartell hängt eine neue Zaunfahne der NS-Boys
mit dem altbekannten Konterfei eines Hitlerjungen aus den dreißiger
Jahren. Das ist eigentlich ein Verstoß gegen die Regeln der Ultras. Es
gilt als ungeschriebenes Gesetz, dass ein Fanclub der einmal seine
Zaunfahne verloren hat, sich auflösen muss. Doch die NS-Boys sind
weiterhin aktiv.<br /><br />
Zum Verlust der Zaunfahne kam es bei einer Hausdurchsuchung. Im Frühjahr
2014 erließ das sächsische Innenministerium ein Vereinsverbot gegen die
Nationalen Sozialisten Chemnitz (NSC). Bei einer Razzia im Vereinsheim
der Rechtsextremisten wurden zahlreiche Beweismittel sichergestellt,
unter anderem die Fahne der NS-Boys. Doch weder das Vereinsverbot gegen
die Nationalen Sozialisten noch das Stadionverbot aus dem Jahre 2006
gegen die NS-Boys sowie einige ihrer Mitglieder zeigten Wirkung.
Spielberichte und Fotos ihrer Zaunfahne, die auf ihrem Blog sowie in den
sozialen Netzwerken gepostet wurden, zeugen von unzähligen Ausflügen
und Stadionbesuchen der vergangenen Jahre. Die in ihren Heimstadien
verbotenen Fangruppierungen besuchen häufig Auswärtsspiele der eigenen
Mannschaft und Spiele jener Vereine, mit deren Fans sie freundschaftlich
verbunden sind. Im Falle der Chemnitzer NS-Boys sind das zumindest zwei
Vereine, Energie Cottbus und Grasshopper Zürich.<br /><br />
<b>Engen Kontakt haben die Chemnitzer in Cottbus den Fangruppierungen</b>
Inferno Cottbus, WK13 Boys, Collectivo Bianco Rosso 02 sowie dem
Preußen-Kartell und in Zürich zu den Blue White Bulldogs. Die personelle
Verbindung zwischen diesen Gruppen ist die Grundlage für eine
bemwerkenswerte grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen deutschen
und schweizerischen Neonazis. Am 15. Februar 2014 marschierten rund 80
Neonazis aus beiden Ländern im schweizerischen Solothurn zu einer
unangemeldeten Demonstartion auf. Sie trugen bei dem nächtlichen Umzug
Fackeln und vermummten sich mit weißen Theatermasken. »Asylanten raus«
stand auf dem Fronttransparent und in einem dazugehörigen Video war zu
sehen, wie einer der Demonstranten einen Zettel mit der Aufschrift
»Freiheit« über das Straßenschild in der Judengasse klebte. Im Internet
jubelten deutsche Neonazis: »Unsterbliche marschieren durch Judengasse«.<br /><br />
Bekannt geworden mit dieser Aktionsform ist die 2012 vom
brandenburgischen Innenministerium verbotene »Widerstandsbewegung in
Südbrandenburg«. Im Rahmen der Verbotsverfügung kam ans Licht, dass die
Behörden den Capo von Inferno Cottbus 1999, William Puder, der
»Widerstandsbewegung« zurechnen. Darüber hinaus hatten Razzien in
Cottbus und Chemnitz ergeben, dass die sogenannten Unsterblichen aus
Deutschland seit einiger Zeit Kontakte nach Zürich pflegen. Ihren Hass
auf Juden zeigen die Chemnitzer Fußballfans gern auch im Stadion.
Während des Gaza-Krieges im vergangenen Jahr demonstrierten sie ihre
Parteinahme eindeutig. Beim Auswärtsspiel des Chemnitzer FC gegen
Fortuna Köln im August hing neben der Reichskriegsflagge und ihrer
Zaunfahne auch die palästinensische Fahne.<br /><br />
Als Feinde betrachten die Cottbuser und Chemnitzer Kameraden
hauptsächlich die Vereine Dynamo Dresden, Erzgebirge Aue und Babelsberg
03 sowie deren Anhänger. Die entsprechenden Spiele sind perfekte
Anlässe, um dem Hass freien Lauf zu lassen. Anfang des Jahres
veröffentlichten die NS-Boys in den sozialen Netzwerken eine
Bildmontage. Sie zeigt den Auswärtsblock von Dynamo Dresden, in den die
Flagge Israels hineinmontiert ist. Außerdem wurde der Schriftzug »Ultras
Dynamo« auf einem Banner durch »Juden Dynamo« ersetzt und eine
antisemitische Karikatur eingearbeitet. Vor dem Spiel Erzgebirge Aue
gegen Dynamo Dresden sprühten Chemnitzer Fans 2013 den Schriftzug »Juden
SGD« mit einem Davidstern zur Begrüßung der anreisenden Fans. Höhepunkt
in den letzten Jahren war aber ein Banner des Cottbuser Anhangs. Beim
Landespokalhalbfinale zwischen Babelsberg 03 und Energie Cottbus in
Potsdam hing ein kleines Transparent mit der Aufschrift: »ZCKN, ZGNR
& JDN« (Szenecode für »Zecken, Zigeuner & Juden«) im
Auswärtsblock.<br /><br />
Den Hass auf Linke und Antifaschisten zelebrieren die Chemnitzer Fans
gerne in der Öffentlichkeit. So verunglimpfen sie in den sozialen
Netzwerken den inhaftierten Antifaschisten und Bremer Ultra Valentin,
der am 19. April einen rechten Hooligan verprügelt haben soll. Das in
Chemnitz gesprühte Graffiti »Fuck Valentin« wurde auf der Facebook-Seite
der NS-Boys zusammen mit einem großen CFC-Bombing hochgeladen, das
durch die Sprüche »Nur der CFC – Alle nach DD« sowie mit einem »Fuck
Antifa« komplettiert wurde. <br /><br /><b>Die tiefe Verwurzelung der NS-Boys in der
ostdeutschen Neonaziszene</b> zeigte darüber hinaus eine Solidaritätsaktion
für den als Unterstützer des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU)
angeklagten Neonazi Ralf Wohlleben. Beim letzten Heimspiel der Saison
2014/15 des Chemnitzer FC gegen die SG Sonnenhof Großaspach
beabsichtigten sie, eine Tapete mit der Aufschrift »Komme was da wolle –
Dich kriegen sie nicht klein« im Block zu präsentieren. Da dies nicht
möglich war, wurde nach dem Spiel mit rund 40 Personen ein Mobfoto
geschossen und später in den sozialen Medien verbreitet. Schon im
Dezember vorigen Jahres nutzten die NS-Boys ihre Facebook-Präsenz für
einen Gruß an den inhaftierten Neonazi: »Trotz vieler Beamter (an dieser
Stelle einen besonderen Gruß an ›Wolle‹) gab es eine kleine
Pyroeinlage.« Dass die NS-Boys alle Themen des Neonazismus bedienen, zeigte ein
Posting am 5. März anlässlich des Jahrestages der Bombardierung von
Chemnitz durch die Alliierten: »Den alliierten Mördern kein Vergeben und
kein Vergessen für das, was sie unserem Volk angetan haben!!!« Die
bisher alljährlich stattfindende Demonstration der Freie Nationalisten
zum Thema fiel zwar aus, stattdessen aber laufen lokale
Rechtsextremisten bei den Aufmärschen des Pegida-Ablegers in Chemnitz
mit. <br /><br />Das sächsische Innenministerium zählte bei Cegida regelmäßig rund
zehn »New Society«-Mitglieder. So »tauchen bekannte Szene-Angehörige bei
den verschiedenen Formen von Anti-Asyl-Protesten auf. Sie sind mehrfach
bei Veranstaltungen von ›Chemnitz stellt sich quer‹ bzw. ›Chemnitz
wehrt sich‹ und bei öffentlichen Auftritten von Cegida/Erzgida beteiligt
gewesen«, bestätigt auch das Kulturbüro Sachsen. Das Cottbus-Chemnitzer
Netzwerk fährt zusammen mit Gleichgesinnten auch zu Länderspielen der
deutschen Nationalmannschaft, ungeachtet der Tatsache, dass da
mittlerweile Spieler mit beispielsweise türkischem Migrationshintergrund
das Adlertrikot tragen. Hauptsache Schland.</span></div>Ralf Fischerhttp://www.blogger.com/profile/09644548521979938571noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-8030627606373752295.post-65675851306208709522015-03-26T09:30:00.021+01:002020-05-27T02:24:21.911+02:00Wie ein Gallier<h2>
Xavier Naidoo versteht sich als »Wahrheitsfinder«, der durchschaut hat,
welche Mächte die Welt beherrschen. Mit Verschwörungstheorien will
er nichts zu tun haben.</h2>
<h3>
</h3>
<br />
<span class="ft"><span style="font-size: x-small;"><b>Ralf Fischer / Jungle World</b></span><br /><br />Normalerweise führt ein Auftritt vor NPD-Anhängern,
Verschwörungstheoretikern und Antisemiten, wie ihn der Soulsänger Xavier
Naidoo im vergangenen Herbst vor dem Reichstag hingelegt hat,
schnurstracks in die gesellschaftliche Isolation. Nicht so bei dem
43jährigen. Nach einigen harschen Kritiken in verschiedenen Zeitungen
und der obligatorischen Distanzierung der Mannheimer Lokalpolitik legte
sich der Sturm der Entrüstung schnell wieder. Der Privatsender Vox
teilte Anfang dieses Jahres mit, dass er eine zweite Staffel der Show
»Sing meinen Song« mit dem prominenten Mannheimer als Gastgeber
produziert. Als Grund für die weitere Zusammenarbeit gab der Sender an,
dass Naidoo sich von den Vorwürfen distanziert habe. »Von daher gibt es
für uns keinen Anlass, unsere Pläne mit ihm zu ändern.«<br /><br />
Sehr schnell stellte sich die Distanzierung des Sängers jedoch als
Lippenbekenntnis heraus. In einem fünfseitigen Interview erklärt der
ehemalige Dozent der Mannheimer Popakademie Anfang März gegenüber dem
Magazin Stern, warum er nicht glaube, dass der 11. September 2001 »so
abgelaufen ist, wie es in den Medien und von der Politik dargestellt
wurde«. Außerdem beklagt sich Naidoo erneut darüber, dass »Deutschland
kein souveränes Land« sei, weil »die Amerikaner uns überwachen« dürften.
»Der Historiker Prof. Dr. Josef Foschepoth ist den geheimen
Vereinbarungen zwischen den Amerikanern und der Bundesregierung
nachgegangen. Sie existieren wirklich«, raunte er ganz geheimnisvoll.
Und der Stern druckte es ab.<br />
<br /><b>Naidoo spult in diesem Interview das gesamte Programm</b> all seiner
bekannten Verschwörungstheorien ab. Über die Finanzkrise habe er Jahre
zuvor Bescheid gewusst, aus seiner Sicht hätte Deutschland »niemals in
dieser Krise stecken müssen«, weil Naidoo bereits 2005 im Song »Abgrund«
prophetisch darauf hingewiesen habe. Aber die Politik hatte versäumt,
auf den Mannheimer Wahrsager zu hören. Gerne geriert er sich als der
große Freiheitskämpfer. Auf die Frage, wieso er im Song »Raus aus dem
Reichstag« die jüdische Bankiersfamilie Rothschild als »Füchse«
bezeichnet, antwortet er, dass man »gerade als Künstler die Dinge beim
Namen nennen« müsse, »wenn Leute weiter ihre Machenschaften treiben«. Er
sieht sich keineswegs als »Verschwörungstheoretiker«, sondern bevorzugt
lieber die Bezeichnung »Wahrheitsfinder« und beschreibt sein Innenleben
als das eines trotzigen Kindes: »Und wenn mir jemand sagt, das darf man
nicht sagen, dann mache ich es wahrscheinlich erst recht.«<br /><br />
Der ehemalige Chefredakteur von Rap.de, Marcus Staiger, bezeichnete
Naidoo bereits vor einigen Jahren als christlichen Fundamentalisten,
dessen gesamtes Werk die Beschwörung »einer gewissen
Highlander-Romantik, eines völkischen Heroismus, in dem unentwegt einer
aufsteht, einer sich erhebt, eine messianische Lichtgestalt, der eine,
der von der Vorsehung Auserwählte, der die Massen mitreißt und in die
Schlacht führt und am Ende das Dunkle vernichtet«, durchziehe. Im
Interview mit dem Stern bestätigt Naidoo dies einmal mehr. So wusste er
frühzeitig, dass »es aufgrund der überwiegend russischstämmigen
Bevölkerung in der Ostukraine zu Schwierigkeiten kommen« könne. Er
halluziniert sich als David, der »immer gegen die Großen« kämpft, egal
ob es sich dabei um »Obama oder die Rockefellers« oder ganz allgemein um
»Menschen mit Macht« handelt. Ob Horst Köhler, »die katholische Kirche,
die Politiker, die Banker«, niemand ist vor dem Mannheimer Künstler
»mit dem Gespür für manche Dinge« sicher.<br /><br />
Die Empörung in der Öffentlichkeit hält sich in Grenzen. 1999 gab Naidoo
dem Musikexpress ein aufschlussreiches Interview. Neben allerhand
religiösem Erweckungsnonsens antwortet er auf die Frage, ob ein
Amerikaner weniger wert sei als ein Mannheimer: »Natürlich nicht. Aber
ich muss als erstes sagen: Bevor ihr uns diktiert, was wir zu tun haben,
hört erst mal auf, uns mit eurer Musik zuzuscheißen. Alles ist
amerikanisiert. Da muss ich doch wie ein Gallier dagegen angehen, gegen
diese blinde Verherrlichung Amerikas. Gegen die Art, wie Amerika mit der
Welt umgeht. Keine Demut, keine Achtung. Ich bin stolz, ein Deutscher
zu sein. Und als Schwarzer kann ich das ohne irgendwelche Hintergedanken
sagen.«<br /><br />
Manisch bezieht er sich auf krude Weltuntergangsphantasien, in denen es
beinahe immer um die USA geht. So habe er »konkret aus der Bibel«
herausgelesen, dass Amerika untergehe. Aber »nicht nur Amerika. Auch
Frankfurt ist Babylon, London und Tokio. Babylon ist überall. Aber
Amerika und Tokio sind ganz oben auf der Abschussliste.« Seine
grenzenlose Abneigung richtete sich aber nicht nur gegen die Amerikaner.
Bevor er »irgendwelchen Tieren oder Ausländern Gutes tue«, lässt sich
Naidoo zitieren, »agiere ich lieber für Mannheim«. Er bezeichnete sich
damals als »ein Rassist ohne Ansehen der Hautfarbe«. Und schließlich
verstieg er sich zu der Aussage: »Ich bin nicht mehr Rassist, als jeder
Japaner das auch ist.«<br /><br />
<b>Antiamerikanismus ist keine Ausnahmeerscheinung</b> in diesem musikalischen
Genre, sondern unter deutschsprachigen Rappern und Soulsängern
verbreitet. Programmatisch steht dafür die EP »Gotting« von Absolute
Beginner aus dem Jahre 1993. Damals beklagten sich die Hamburger in
ihrem Song »Dies ist nicht Amerika« darüber, dass in deutschen Städten
»die dunkle Seite des US-Lebensstandards als Ideal« übernommen werde.
Sie sahen »Imitation hier überall« und riefen ihre Mitstreiter aus der
deutschen Rapszene dazu auf, »nicht in die USA, sondern nach Europa« zu
schauen und bitte ja »kein Gehabe und Gelaber von da drüben« zu klauen.
Jan Delay und Denyo waren damals noch nicht volljährig und es mag ihnen
vor allem um die »Gangsterscheiße« gegangen sein, die in ihren Augen von
deutschen Rappern übernommen wurde. Aber es stand auch »die Frage im
Raum, US-Kultur übernehmen oder eine eigene baun« – worunter man sich
eine »Mischkultur« vorstellte. Und im Refrain wiederholte sich dann
immer wieder die Punchline: »Dies ist nicht Amerika!«<br /><br />
Im selben Jahr, als Xavier Naidoo mit dem Musikexpress sprach,
veröffentlichte der Soulsänger Max Herre mit seiner Band Freundeskreis
das Album »Esperanto«. Nicht ganz leicht zu verstehen, aber umso
aussagekräftiger zwischen den Zeilen, textete er damals im Lied
»Revolution der Bärte«: »Das Pentagramm kreuzt den pentagonschen
Masterplan, aus den Weiten Kasachstans bis in die Höhen des Golan
erklingt die Stimme der Massen righteous wie Rasta-Chants, Philister
müssen gehen, sie ham’ zu lange abgesahnt, nehmt Ministern die Diäten,
dass sie fasten wie an Ramadan, bald werden Köpfe rollen, weil jetzt
andere an die Töpfe wollen, auch aus dem Vollen schöpfen wollen, ihr’n
Tribut nicht falschen Götzen zollen, weil der Tanz ums goldene Kalb
nicht ungescholten bleibt.«<br /><br />
Die Inszenierung als deutsche Rapper beziehungsweise Soulsänger, die
zwar eine amerikanische Subkultur adaptieren, aber sich genau davon
distanzieren, endet nicht selten in deutschnationalen Parolen. So rappt
das multiethnische Berliner Quartett Zyklon Beatz gegen »MCs, die mit
peinlichen Amibeats prollen«, und propagiert dagegen den Dreiklang
»deutsche Frauen, deutscher Rap, deutsches Bier«.</span>Ralf Fischerhttp://www.blogger.com/profile/09644548521979938571noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-8030627606373752295.post-25875702862103544032014-07-24T12:16:00.002+02:002020-05-27T02:04:06.916+02:00»Marina, wie blöd bist du eigentlich!« <h2>Die Facebook-Seiten einiger Deutschrapper verbreiten eine brisante Mischung aus Pop, Promotion und antiisraelischer Propaganda.<br /></h2><div><br /></div><div><font size="1"><b>Ralf Fischer / Jungle World</b></font><br /><div class="row_bak">
<span class="ft">
<p>Seit Tagen ergeht Massiv sich auf Facebook in Hasstiraden
gegen Israel, aber manchem Fan reicht das noch immer nicht. »Du Hund,
was du bist«, schreibt ein erboster Facebook-User dem deutschen Rapper
mit palästinensischem Migrationshintergrund ins virtuelle Stammbuch,
»teil mal lieber was von dein Lande, du Jude, was du bist«, schimpft er,
weil Massiv seit gefühlten zehn Postings nichts mehr über Gaza, sondern
nur über sein neues Album geschrieben hat. Dabei gelingt es Massiv
geschickt, Pop, Promotion und Propaganda zu verbinden. Seit Beginn der
israelischen Militäroperation verbreitet Wasim Taha, wie der Rapper mit
bürgerlichem Namen heißt, seine Sicht auf den Konflikt. »Gaza ist das
dicht besiedelte Gebiet der Welt, jede Bombe fällt auf unschuldige
Zivilisten und wird immer wieder billig gerechtfertigt, dass es eine
gezielte Terroristen-Tötung sei. Diese drei verschwundenen Kinder auf
Israels Seite sind selbst Soldaten gewesen und haben sich selbst immer
mit gefangenen palästinensischen Jugendlichen fotografieren lassen in
dreckigen Posen!!!!«<br /><br />
<b>Erst einmal so richtig in Rage</b>, bringt er seinen Followern weitere
unumstößliche Fakten nahe: »Frauen werden an ihren Haaren durch die
Straße gezogen, Kinder werden verschleppt, systematisch werden seit
Jahren die Straßen gesäubert in einem Warschauer Ghetto 2.0.
Stacheldraht, Stromzäune, Mauern, so hoch, dass man den Himmel nicht
sehen kann.« Dem Publikum gefällt die alte Platte mit dem Sprung, 28 123
Personen liken den Beitrag von Massiv. Einwände, dass diese
Behauptungen nicht mit den Tatsachen übereinstimmen, werden glattweg
abgewiesen: »Almans müssen mal wieder ihren unnötigen falschen Senf dazu
geben, weil sie keine Ahnung von dem haben.«<br /><br />
Das zu dem Beitrag gehörende Bild soll einen israelischen Soldaten
zeigen, der mit seinem Stiefel einem palästinensischen Kleinkind auf den
Brustkorb tritt; in der rechten Hand eine AK47. Der Hinweis einiger
Kommentatoren, dass die israelische Armee solche veralteten
Maschinengewehre russischer Bauart nicht verwendet, wird nicht eben
logisch beantwortet: »Halt dein Maul, du Depp, wenn du keine Ahnung
hast, dann lass es lieber!!! Es geht ums Prinzip!!!«<br /><br />
Mit dieser verbalen Strategie – Kraftmeierei und Überlegenheitsgestus
durch gefühlten Wissensvorsprung – wird Kritik an der eigenen Position
verhindert. Das entbehrt nicht einmal einer gewissen Logik: Wenn alle
Nachrichten, alle Fotos und Videos von »den Zionisten« manipuliert sind,
dann bleibt einem nichts, als an die eigenen Bilder zu glauben. Aus
Prinzip. Deshalb stört der Vorwurf nicht, dass es sich bei den Bildern
um eine Fälschung handelt. Die Wahrheit wird ja bekanntlich auf allen
Kanälen unterdrückt: »Ob Fake-Bild oder nicht, diese Situationen gibt es
wirklich!!!« Wer nicht daran glaubt, dass die Palästinenser Opfer der
zionistischen Aggressoren sind, kann nur ein Ungläubiger sein. Es ist
wie eine religiöse Offenbarung. »Das Bild spielt keine Rolle, ihr
Lutschers«, kommentiert ein User, ein anderer sekundiert und greift eine
noch skeptische Userin an: »Marina, wie blöd bist du eigentlich, denkst
du es, hängt vom Bild ab!!«<br /><br />
<b>Der Einbruch der Realität wird mit allen Mitteln abgewehrt.</b> So zum
Beispiel, wenn es um den islamistischen Terror geht: »Ihr behinderten
Spackos, Al-qaida bzw. Terroristen sind eine Erfindung der Amis.«
Muslime werden als prinzipiell friedlich wahrgenommen; diese Projektion
führt letztlich zur völligen Verkehrung der Geschichte: »Bis jetzt haben
muslimische Länder keinen einzigen Krieg angefangen. Die diese Kriege
angefangen haben, sind Christen, Juden und weiß der Geier«. Das bedeutet
auch: »Die Isis sind bezahlte Krieger, die alles andere als Muslime
sind.«<br /><br />
Das Wissen um die wahren Feinde wird zum wichtigsten Motiv der
Facebook-Glaubensgemeinschaft. »Die wirklichen Terroristen sitzen
überall auf der Welt und lachen euch aus, da ihr diesen Mist auch
glaubt«, ist eine verklausulierte Version antiamerikanischer und
antiisraelischer Propaganda. Wer aus seinem Herzen keine Mördergrube
macht, schreibt frei heraus: »Verfickte Israelis!!! Elendig sollen sie
verrecken« oder: »Free Palästina. Weg mit Israel!« Doch wie im Battlerap
gibt es noch eine weitere Steigerungsform, in diesem Fall, die offene,
völlig ungenierte nationalsozialistische Vernichtungsdrohung:
»Scheißjuden, euer Vater, der Adolf, wusste ganz genau, was ihr braucht«
beziehungsweise: »Schade, dass Hitler nicht alle Juden vernichtet hat.«<br /><br />
Die spezifisch deutsche Variante des derzeitigen Furors versucht sich an
netten Ratschlägen: »Dann machs doch wie Deso Dogg und unterstütze
deine Brüder und Schwestern statt hier große Reden zu schwingen«, sucht
sich ein User konstruktiv in die Debatte einzubringen. Andere pendeln
aufgeregt zwischen ihren rassistischen und antisemitischen Ressentiments
hin und her. »Alle regen sich auf über die Deutschen, wenn sie was
gegen Juden haben … werden sofort als Nazis beschimpft, aber so, wie ich
das sehe und lese bei manchen, die nicht deutsch sind … meine Fresse
... da sind wir ja garnet so schlimm … ihr seid wesentlich schlimmer!!!«
lässt sich ein User aus, um dann gleich mit einer Ansage weiter zu
machen: »Aber kommt bloß nich her, wenn ihr ne Unterkunft braucht und
euch nur durchschnorrt«.<br /><br />
Nicht nur auf der Facebook-Seite von Massiv toben sich die Judenhasser
aus. Die Follower des Rappers Eko Fresh fordern ihr Idol auf, dass er
ein Lied produzieren solle »wegen dem Zeug in den Ländern, wo die
Amerikaner und Israelis Krieg führen«. Die Rapper Bushido und Fard
mobilisieren ihre Anhänger zu antiisraelischen Kundgebungen und
Demonstrationen. Der Renner in Deutschrapkreisen ist jedoch ein Video,
in dem sich der ehemalige Radiomoderator und Veranstalter der
Montagsdemos, Ken Jebsen, und die auf die Verbreitung antizionistischer
Propaganda spezialisierten Evelyn Hecht-Galinski gemeinsam in der
Diffamierung Israels üben.</p>
<p><font size="1">Die zitierten Facebook-Beiträge wurden behutsam orthographisch bearbeitet.</font></p>
</span>
</div></div>Ralf Fischerhttp://www.blogger.com/profile/09644548521979938571noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-8030627606373752295.post-59025152087922084572014-06-24T09:30:00.000+02:002014-06-24T09:30:00.049+02:00Festhalten woran?<h2>
Platz zwei soll nicht vergeben sein: Die Gruppe C im Prophetendiskurs<br /><br /><span style="font-size: xx-small;"> Ralf Fischer / Junge Welt</span></h2>
<br />Griechenlands Kapitän Konstantinos Katsouranis hatte am vergangenen
Donnerstag einen kurzen Arbeitstag. Nach 38 Minuten des Spiels gegen
Japan flog der Mittelfeldspieler mit Gelb-Rot vom Platz. Nach dem
Unentschieden droht den Hellenen das dritte Vorrunden-Aus bei der
dritten WM-Teilnahme. Der Katzenjammer ist groß, sollte man meinen. Dem
ist aber nicht so. »Ohne die rote Karte hätten wir gewinnen können.
Japan war in der zweiten Halbzeit dominierend, aber wir haben uns
gewehrt«, analysiert Griechenlands Nationaltrainer Fernando Santos das
bisher schlechteste Spiel in der Gruppe C. Nur auf den positiven Einfluß
bewußtseinserweiternder Drogen ist seine Zuversicht noch zurückführen:
»Hinter Kolumbien ist der zweite Platz noch nicht vergeben.«<br />
<br />
Möglicherweise steckt die FIFA dahinter. Ein lang gehegter Traum aller
durchgeknallten Junkies: Eventuell wurde das Leitungswasser mit Drogen
verunreinigt. Denn auch die fernöstlichen Kicker, die in Überzahl nicht
gegen die spielerisch limitierten Griechen gewinnen konnten, gehen
überzogen selbstbewußt ins letzte Gruppenspiel: »Wir werden nur unseren
Stil spielen. Obwohl wir bislang nicht die erhofften Ergebnisse geholt
haben, halten wir an dem fest, woran wir glauben«, erklärte der
enttäuschende offensive Mittelfeldmann Shinji Kagawa von Manchester
United. Festhalten woran? fragt sich der ohne Not ins Elend gestürzte
Zuschauer, der sich noch zu gut an den völlig uninspirierten
Mitternachtskick erinnern kann.<br />
<br />
Größenwahn und Realitatsverlust durch Drogen? Dem Kenner der Materie
drängt sich ein Verdacht auf: Koks ist im Spiel! Und wenn wir schon bei
Klischees sind, steht Kolumbien oben auf der Liste der Verdächtigen. Wie
in der Tabelle. Zu verdanken haben das die Südamerikaner ihrem Sieg
gegen die Elfenbeinküste. Bei dem gefühlten Heimspiel ließ sich sogar
der wiedergewählte kolumbianische Präsident Juan Manuel Santos blicken.
Er sah eine muntere Partie, in der sich die Elfenbeinküste zu keinem
Zeitpunkt aufgab. Deutlich wurde, daß der Zauber von Didier Drogba
längst nicht mehr so wirkungsvoll ist wie früher. Als Trainer Sabri
Lamouchi den Stürmer nach einer Stunde ins Spiel brachte, köpfte
ausgerechnet der ihm zugeordnete Gegenspieler Rodríguez nach einer Ecke
zur Führung ein.<br />
<br />
Zwar schoß Gervinho kurz vor Schluß noch den Anschlußtreffer für die
Ivorer, doch als Sieger ging Kolumbien vom Feld. Surprise! Die
Kokainkicker qualifizierten sich wohl mit Hilfe des Hauptexportschlagers
ihres Landes frühzeitig für die Endrunde. Ich habe gestern all meine
Ersparnisse zum Buchmacher getragen. Wenn Kolumbien nicht Weltmeister
wird, bin ich offiziell bankrott. Aber was soll da schon schiefgehen?<br />
<br />
Wie geht’s aus? Kolumbien – Japan 1:1, Elfenbeinküste – Griechenland 2:1Ralf Fischerhttp://www.blogger.com/profile/09644548521979938571noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-8030627606373752295.post-9279959170992166492014-06-19T16:00:00.000+02:002014-06-19T16:05:04.167+02:00Traumwandlerische Unsicherheit<h2>
Der Glaube an das Schicksal. Die Gruppe C im Prophetendiskurs<br /><br /> <span style="font-size: xx-small;">Ralf Fischer / Junge Welt</span></h2>
<br />Mein ambitioniertes Projekt als kongenialer Fußballprophet endete schon
in der ersten Runde. Mit einer faustdicken Niederlage, tatsächlich sogar
zwei faustdicken Niederlagen. Weder die griechischen Piraten noch die
japanischen Samurai waren willens, meine in sie gesetzten Erwartungen zu
erfüllen. Im Gegenteil, die Griechen kapitulierten schon nach wenigen
Minuten, während wenigstens die Japaner in der ersten Halbzeit noch den
Anschein erweckten, daß die Elfenbeinküste möglicherweise als Verlierer
den Platz verlassen würde. Doch Didier Drogba drehte das Spiel. Seine
Einwechslung brachte die Japaner auf die Verliererstraße. Dort erst
einmal angelangt, machten es sich die fernöstlichen Kicker gemütlich.<br />
<br />
Mit traumwandlerischer Unsicherheit spazierten die Griechen 90 Minuten
hinweg über den Platz, ihnen bleibt jetzt nur noch das Spiel um Platz
drei in der Vorrundengruppe gegen Japan, damit sie nicht frühzeitig und
mit Schimpf und Schande nach Hause fahren müssen. Für die Zuschauer
dieses Spiels prognostiziere ich ein veritables Zugunglück. Eigentlich
will man es nicht, muß aber trotzdem ständig hinsehen. Not gegen Elend,
altersmüde Griechen treffen auf überforderte Japaner. Wenn der
Schiedsrichter nicht das Salz in der Suppe ausmacht, dann wird es
richtig häßlich. Keine der beiden Mannschaften kann es sich leisten zu
verlieren. Aber bisher haben weder die Japaner noch die Griechen
nachgewiesen, daß sie bei dieser WM auch nur ein Spiel gewinnen wollen.<br />
<br />
Die kolumbianischen Spieler wirken dagegen äußerst motiviert. Das
Schicksal von Andrés Escobar möchte kein Nationalspieler teilen. Der
Abwehrspieler wurde nach einem Eigentor bei der Fußballweltmeisterschaft
1994 von einem Bodyguard und Fahrer mächtiger Drogenbosse erschossen.
Aktuell berichten kolumbianische Medien, daß ein ELN-Guerillero namens
»Mocho« seine Fußballbesessenheit mit einigen Jahren Freiheitsentzug
bezahlen wird. »Der Kämpfer installierte in seinem Versteck eine Antenne
mit Kabelanschluß und organisierte Verpflegung sowie alkoholische
Getränke, um die WM zu verfolgen«, weiß Wolf-Dieter Vogel in der taz zu
berichten. Das Verhalten seines Chefs empörte dessen unorthodoxen
Bodyguard derart, daß dieser ihn bei den Behörden denunzierte. Kurz
darauf wurde »Mocho« festgenommen.<br />
<br />
Für die Elfenbeinküste wird der Einzug in die Endrunde gewiß kein
Spaziergang. Wenn das Team seine Nervenschwäche abstellt und mit einem
Drogba in Topform ist aber alles möglich. Der alternde Stürmerstar
entpuppte sich im ersten Gruppenspiel als Lebensversicherung der
Westafrikaner. »Ich glaube sehr an das Schicksal. Das alles ist schon
lange vorher geschrieben worden«, verkündet der 36jährige Spieler von
Galatasaray Istanbul selbstsicher. Leider haben weder er noch der
Fußballgott mir voher verraten, welche Ergebnisse das Schicksal konkret
im Auge hat. Im Diskurs der Fußballpropheten bin ich eher ein
Federgewicht. Nur ein letzter Tip von mir: Egal was Sie tun, passen Sie
verdammt noch mal auf ihren Bodyguard auf!<br />
<br />
Wie geht’s aus? GRN-JAP 0:0, KOL-CIV 2:1Ralf Fischerhttp://www.blogger.com/profile/09644548521979938571noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-8030627606373752295.post-13431338870399003462014-06-14T19:00:00.000+02:002020-05-27T01:54:16.110+02:00Wo man nur kann<h2>
Prophetendiskurs: Wundertüte mit Weltmeister: Gruppe C <br /><br /><span style="font-size: xx-small;">Ralf Fischer / Junge Welt</span></h2>
<br />
Die leichtbekleidete Losfee meinte es gut: Bei der WM verspricht die
Gruppe C die größte Spannung. Kein Titelanwärter, kein Geheimtip, alle
vier Mannschaften – Japan, Elfenbeinküste, Kolumbien und Griechenland –
spielen in derselben Liga. Das Fallobst ist in anderen Gruppen gelandet.
Alle vier Nationen können sich berechtigte Hoffnungen auf den Einzug in
die K.o.-Runde machen. Zu beachten ist aber: Wenn Geld wirklich Tore
schießt, sieht es schlecht aus für die Griechen. Ihre Prämien würden
ohnehin in den Staatskassen landen, ohne diese merklich aufzufüllen.
Selbstverständlich demokratisch legitimiert.<br />
<br />
Kolumbien wird Weltmeister, ungekennzeichnetes Schwarzgeld ist
schließlich in FIFA-Kreisen äußerst begehrt. Und Kolumbiens Koksbarone
lieben die Schweiz als Ort der Verschwiegenheit genauso wie die Herren
des internationalen Fußballs. Man kennt sich, man mag sich, man hilft
sich aus, wo man nur kann.<br />
<br />
Nichtsdestotrotz stehen die Kolumbianer ohne ihren verletzten
Stürmerstar Falcao vor größeren Problemen. Sie müssen ihr Spiel gegen
defensiv gut eingestellte Gegner aufziehen, gleich im ersten
Gruppenspiel sind das die Griechen. Wer dieses Spiel gewinnt, hat die
Tür zur K.o.-Runde sperrangelweit aufgestoßen. Der Matchplan der
Hellenen ist dabei so einfach wie genial: Aus einer gutorganisierten
Abwehr werden die »To Piratiko« gezielte Nadelstiche setzen und nicht
nur die Geduld ihres Gegners auf die Probe stellen. Letztendlich werden
die mäßig begabten Fußballarbeiter sich durchsetzen und vor allem
deutsche Fußballkommentatoren an den Rand der Verzweiflung bringen.<br />
<br />
Im zweiten Gruppenspiel trifft die Elfenbeinküste auf hochmotivierte
Japaner. Könnte spannend werden, meinen Sie? Möglicherweise. Doch
letztendlich wird selbst die »talentierteste afrikanische Elf« (11
Freunde) die im Pokemonflieger angereisten »Samurai Blue« nicht
aufhalten können. Zur Freude der großen japanischen Gemeinde in
Brasilien.<span style="font-weight: normal;"> </span><br />
<br />
<span style="font-weight: normal;">Wie geht’s aus? Kolumbien–Griechenland 0:1, Elfenbeinküste–Japan 1:3</span>Ralf Fischerhttp://www.blogger.com/profile/09644548521979938571noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-8030627606373752295.post-32709037227562914712014-06-05T20:00:00.000+02:002014-06-14T19:49:26.559+02:00Knapp verfehlt ist auch vorbei<h2>
Der Bedeutungsverlust der NPD schlägt sich auch in Stimmverlusten nieder. Das zeigen die jüngsten Europa- und Kommunalwahlen. <br /><br /><span style="font-size: xx-small;">Ralf Fischer / Jungle World</span></h2>
<br />
Udo Voigt, der Spitzenkandidat der NPD, zieht in das zukünftige
Europäische Parlament ein. Das ändert jedoch nichts daran, dass das
Wahlergebnis für die Partei enttäuschend ist. Anstatt der angestrebten
2,5 Prozent der Stimmen erhielt sie nur knapp ein Prozent. Voigt hofft
zwar, dass sich durch den geglückten Einzug »die Stellung der NPD
innerhalb Europas« verbessert und die »Kontakte zu anderen nationalen
Kräften innerhalb der EU« ausgebaut werden können. Ob er damit den
Bedeutungsverlust der NPD angesichts der Stimmengewinne der Alternative
für Deutschland (AfD) hierzulande aufhalten kann, ist stark zu
bezweifeln. Ganz im Gegensatz zu den darniederliegenden »Republikanern«
(0,4 Prozent) und der erstmals bundesweit angetretenen Partei »Pro NRW«
(0,2 Prozent) erhielten die Nationalkonservativen bei ihrem ersten
Antritt zur Europawahl sieben Prozent der Stimmen.<br />
<b><br />Dafür verliefen die Kommunalwahlen</b> für die AfD eher
mittelmäßig. Im größten Flächenland, Nordrhein-Westfalen, erhielt sie
nur 2,5 Prozent der Stimmen, in Sachsen hingegen insgesamt 5,4 Prozent,
in den Görlitzer Kreistag zieht die Partei sogar mit 7,9 Prozent ein.
Vor allem in der Grenzregion zu Polen gaben ihr viele Wähler ihre
Stimme. So kam die AfD bei der Wahl zur Stadtverordnetenversammlung in
Frankfurt/Oder auf 11,6 Prozent. Bereits kurz nach der Wahl kündigten
Vertreter der CDU und Frankfurts parteiloser Oberbürgermeister Martin
Wilke an, das Gespräch mit den Vertretern der AfD zu suchen. Mit acht
Prozent schnitt die Partei auch in Vorpommern gut ab.<br />
<br />
Mit solchen Ergebnissen kann die NPD nicht aufwarten. Bundesweit
musste sie bei den Kommunalwahlen insgesamt eine herbe Niederlage
einstecken. »Pro NRW« überholte bei den Wahlen zu den Vertretungen der
Landkreise und kreisfreien Städte in Nordrhein-Westfalen mit 0,5 Prozent
der Stimmen die NPD, die nur 0,2 Prozent erhielt. In Duisburg erhielt
»Pro NRW« auf Anhieb vier Sitze, während die NPD nur auf einen Sitz
kommt. Insgesamt verringerte sich die Zahl der Mandate der NPD in dem
Bundesland von 25 auf 16. In Mecklenburg-Vorpommern ist die Partei nur
noch mit 17 statt 26 Mitgliedern in den sechs Kreistagen und im Stadtrat
von Rostock vertreten. Dabei wählte in den Gegenden, in denen die NPD
größere Zustimmung fand, auch eine größere Zahl von Bürgern die AfD.<br />
<br />
Doch trotz aller Misserfolge gibt es einen Ort, wo ein großer Teil
der Wähler unverbrüchlich zur NPD steht: Reinhardtsdorf-Schöna in der
Sächsischen Schweiz. Dort erzielte die Partei bei den Gemeinderatswahlen
mit 20,5 Prozent der Stimmen ihr bestes Ergebnis in Sachsen. In dem
Bundesland gelang es der Partei, das Ergebnis der vorangegangenen
Kommunalwahlen zu halten. Im Ortsteil Zobes der Gemeinde Neuensalz im
Vogtland wählten 18 Prozent die NPD. In dem Dorf, in dem die Jungen
Nationaldemokraten vergangenes Jahr ihren »Sachsentag« mit einem
Rechtsrock-Konzert feierten, kandidierte eine Krankenschwester für die
NPD, die nun in den Gemeinderat einzieht. »Mit einem landesweiten
Ergebnis von 4,6 Prozent bei den Kreistagswahlen wurde das Wahlziel in
Höhe von mindestens fünf Prozent knapp verfehlt«, sagte der sächsische
NPD-Landesvorsitzende Holger Szymanski. »Trotzdem ist es eine akzeptable
Ausgangsbasis«, fügte er mit Blick auf die anstehenden Landtagswahlen
in drei Monaten hinzu.<br />
<br />
In den beiden benachbarten Bundesländern Brandenburg und Thüringen,
in denen in diesem Jahr ebenfalls Landtagswahlen stattfinden, erhielt
die NPD beinahe doppelt so viele kommunale Mandate wie in den
vorangegangenen Wahlen, 58 in Thüringen, 49 in Brandenburg. Für die
größte Überraschung sorgten die Gemeinderatswahlen in Urnshausen im
Wartburgkreis. Dort erzielte die NPD ein Ergebnis von 19,5 Prozent, der
NPD-Landesgeschäftsführer Tobias Kammler zieht in den Gemeinderat ein.
Einen Stimmenzuwachs konnte auch der NPD-Verband in Eisenach
verzeichnen, wo die Partei bereits seit 2009 mit Fraktionsstatus im
Stadtrat sitzt. Hier gewann sie einen weiteren, dritten Sitz hinzu und
verbesserte ihr Ergebnis von 5,0 Prozent auf 7,4 Prozent.<br />
<b><br />In Brandenburg stehen lokale Zugewinne herben Verlusten gegenüber.</b>
In den Landkreisen Spree-Neiße, Oberspreewald-Lausitz und Oder-Spree
erreichte die Partei über vier Prozent, während sie in den größeren
Städten wie Potsdam, Frankfurt/Oder und Brandenburg an der Havel erst
gar nicht angetreten war. In Cottbus büßte die NPD einen von bisher zwei
Sitzen ein. Dagegen gewann sie Mandate dort hinzu, wo 2008 noch die DVU
erfolgreich war, so etwa im Landkreis Barnim und Teltow-Fläming. In
vier Kreistage zog die NPD neu ein: in Elbe-Elster, Märkisch-Oderland,
Oberspreewald-Lausitz und Potsdam-Mittelmark. Insgesamt ist sie damit in
zwölf Landkreisen und einer kreisfreien Stadt parlamentarisch
vertreten.<br />
<br />
Zur Feier des Einzugs in den Kreistag Potsdam-Mittelmark lud die
Partei nach Bad Belzig ein. Der vorbestrafte Neonazi Pascal Stolle,
Kandidat der NPD bei der Kommunalwahl, stellte dafür sein Privatgelände
zur Verfügung. Zunächst lud Stolle auch den Fotojournalisten Hardy
Krüger ein, damit dieser auf der Wahlparty fotografieren könne, wie die
Potsdamer Neuesten Nachrichten berichteten. Doch auf die Frage, ob die
Erlaubnis für das Privatgelände gelte, reagierte der Neonazi ungehalten.
Erst redete er sich in Rage, dann schlug er Krüger. Zwei
Staatsschutzbeamte kamen dem Journalisten zu Hilfe, der Fotograf blieb
unverletzt.<br />
<br />
Eine eigentümliche Art zu feiern hatten auch Nazis in Dortmund.
»Deutschland den Deutschen, Ausländer raus« – unter dieser Parolen
versuchten zwei Dutzend Anhänger der Partei »Die Rechte«, am Abend der
Kommunalwahlen das Rathaus zu stürmen. Mitglieder unterschiedlicher
Parteien, die sich diesem Sturm entgegenstellten, wurden mit
Pfefferspray und Glasflaschen attackiert. Anführer der Rechtsextremen
war der Hooligan Siegfried Borchardt, der als Spitzenkandidat der
»Rechten« einen Sitz im Stadtparlament erhielt. Die Beamten vom
Staatsschutz waren zwar vor Ort, aber offenbar nicht auf eine derartige
Attacke vorbereitet. Insgesamt wurden zehn Personen bei dem Angriff
verletzt.<br />
<br />
<b>Neben dem Mandat im Stadtparlament ist die »Die Rechte«</b>
künftig in vier Bezirksversammlungen in Dortmund vertreten. Darüber
hinaus gewann die Partei in Hamm einen Sitz im Stadtrat. Im
baden-württembergischen Mannheim wurde ebenfalls ein mehrfach
vorbestrafter Hooligan in den Gemeinderat gewählt. Der NPD-Kandidat
Christian Hehl, früher Leibwächter des ehemaligen Parteivorsitzenden
Holger Apfel, verdankt 3 545 Wählern seinen Einzug in das Parlament.Ralf Fischerhttp://www.blogger.com/profile/09644548521979938571noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-8030627606373752295.post-2849647347833957572014-05-28T20:00:00.000+02:002014-06-14T19:49:36.597+02:00In die Auschüsse<h2>
Die politische Aufarbeitung der Morde und Anschläge des NSU ging bisher
schleppend voran. Neue Untersuchungsausschüsse sollen das ändern. <br /><br /><span style="font-size: xx-small;">Ralf Fischer / Jungle World</span></h2>
<br />
Zwischen den Nebenklägern im NSU-Prozess gibt es Streit. Die
Meinungsverschiedenheiten entzünden sich an der Frage, ob das
Gerichtsverfahren in München auch die politische Aufarbeitung des
NSU-Skandals gewährleisten oder nur die Funktion eines herkömmlichen
Strafprozesses erfüllen soll. Die Rechtsanwälte der Opfer diskutieren
darüber seit Monaten. Mehrere Anwälte hatten im Mai einen umfangreichen
Beweisantrag gestellt. Sie wollten unter anderem den früheren V-Mann des
brandenburgischen Verfassungsschutzes mit dem Decknamen »Piatto« als
Zeugen hören. So sollten die Versäumnisse der Verfassungsschutzbehörden
vor Gericht zur Sprache gebracht werden. Dagegen wehrten sich jedoch
fünf andere Anwälte von Nebenklägern. In einer gemeinsamen
Presserklärung regten sie neue Untersuchungsausschüsse zum NSU an,
sprachen sich zugleich aber für eine Beschränkung des Strafprozesses auf
die juristischen Fragen aus, dieser könne nicht die notwendige
politische Aufklärungsarbeit leisten.<br />
<b><br />Die bisher mangelhafte Aufklärung,</b> gerade was die Rolle von
V-Männern im Umfeld des NSU angeht, beschäftigt nun auch das
Parlamentarische Kontrollgremium, das mit der Kontrolle der deutschen
Geheimdienste betraut ist. Mitte Mai mussten der Präsident des
Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV), Hans-Georg Maaßen, und
Generalbundesanwalt Harald Range wegen des Todes des V-Mannes »Corelli«
(Jungle World 18/14) ausführlich über mögliche Zusammenhänge mit der
Mordserie des NSU berichten. Für die Fortsetzung der Beratungen wurde
einstimmig beschlossen, umfangreiche Aktenbestände des BfV zu den
V-Leuten »Corelli« und »Tarif« anzufordern. Der Informant mit dem
Decknamen »Tarif« hatte dem Verfassungsschutz schon 1998 einen Hinweis
zu den untergetauchten Neonazis gegeben, zwei Jahre, bevor die Mordserie
begann. Die Akte zu »Tarif« war im Jahr 2011 in einer heftig
kritisierten Schredderaktion des Geheimdienstes vernichtet worden.<br />
<br />
Nach Recherchen der Süddeutschen Zeitung sind Ermittler des
Bundeskriminalamts (BKA) auf einen weiteren ehemaligen V-Mann aufmerksam
geworden. »Primus« wurde 1992 angeworben und spähte mindestens ein
Jahrzehnt lang die rechtsextreme Szene aus. Im Oktober 2010 vernichtete
das BfV seine Akte. »Er kannte viele Leute aus dem Umfeld des NSU«,
berichten die beiden Journalisten Hans Leyendecker und Tanjev Schultz in
der Süddeutschen Zeitung. Außerdem habe er in Zwickau gewohnt, wo sich
das Trio jahrelang versteckt hielt. Der Polizei gegenüber gab der
Spitzel an, die drei mutmaßlichen Mitglieder des NSU nicht gekannt zu
haben. Das BfV hält sich in der Sache dezent zurück. Eine erste
Erkenntnisanfrage des BKA zu dem ehemaligen V-Mann beantwortete das BfV
nicht. Nur altbekannte Details und wenig aussagekräftige Informationen
übermittelten die Verfassungsschützer ihren Kollegen. Andere Anfragen
wurden mit dem Verweis auf die Löschung der Akte zur Person abgewiesen.
Ein Austausch von Informationen kam erst zustande, nachdem Ermittler des
BKA »Primus« selbst befragt hatten. Die Verfassungsschützer bestätigten
eine Angabe ihrer ehemaligen Quelle und fragten das BKA wenig
zurückhaltend nach dem gesamten Vernehmungsprotokoll. »Zu allen
Kernfragen dieses Falles hatten die Verfassungsschützer nichts
beizutragen«, stellen Leyendecker und Schultz in ihrem Artikel fest.<br />
<b><br />Das skandalöse Vorgehen der Behörden,</b> vor allem der
undurchsichtige Umgang des Inlandgeheimdiensts mit seinen V-Leuten,
lässt Abgeordnete der SPD, der »Linken« und sogar der CDU mittlerweile
darüber nachdenken, ob ein zweiter Untersuchungsausschuss im Bundestag
nötig ist, der sich mit den offen gebliebenen Fragen zur Rolle der
Geheimdienste im NSU-Komplex befassen soll. »Wir glauben nicht, dass der
NSU aus nur drei Personen mit einem kleinen Helferkreis bestand«, sagte
die Sozialdemokratin Eva Högl kürzlich auf einer Podiumsdiskussion in
Schwäbisch Hall ausdrücklich auch im Namen von Petra Pau (Linkspartei)
und Clemens Binninger (CDU). Sie habe das Gefühl, »viele Hintergründe,
Fragen und Zusammenhänge werden nicht weiter ermittelt und auch im
Prozess in München nicht ausreichend erörtert«, zitierten Zeitungen die
SPD-Politikerin.<br />
<br />
In Hessen hat der Landtag auf Antrag der SPD die Einsetzung eines
parlamentarischen Untersuchungsausschusses zur Mordserie des NSU
beschlossen. Linkspartei und SPD, also die Oppositionsparteien, stimmten
geschlossen für den Antrag, für dessen Annahme bereits ein Fünftel der
Stimmen im Landtag genügt hätte. Der Untersuchungsausschuss soll vor
allem die Rolle des ehemaligen Innenministers und derzeitigen
Ministerpräsidenten Volker Bouffier (CDU) klären. Als »nicht
zielführend« für die weitere Aufklärung kritisierten hingegen
Abgeordnete der CDU, der Grünen und der FDP die Einrichtung des
Ausschusses. Die hessischen Grünen hätten statt eines
Untersuchungsausschusses die Bildung einer »Expertenkommission«
bevorzugt.<br />
<br />
Der mangelnde Aufklärungswille, wie ihn nicht nur die hessische
Landesregierung zeigt, nährt Verschwörungstheorien. Im Münchener
NSU-Prozess wurde Mitte Mai zumindest eine solche Theorie entkräftet.
Die Aussage eines Rechtsmediziners widerspricht der Vermutung, Uwe
Mundlos und Uwe Böhnhardt seien erschossen worden, um eine Verwicklung
von Behörden in den Fall zu verschleiern. Seiner Aussage zufolge war an
der Herbeiführung des Todes der beiden Männer keine dritte Person
beteiligt.<br />
<b><br />Böhnhardt habe eine »erhebliche Deformierung des ganzen Kopfes«,</b>
»Gesichtsaufreißungen« sowie »eine typische Einschussverletzung und
eine 20 Zentimeter große Aufreißung des Kopfes« aufgewiesen. »Der Schuss
verlief schräg durch den Kopf und wie eine Explosion von innen«, sagte
der Rechtsmediziner. Durch den Schuss traten eine »sofortige
Handlungsunfähigkeit« und der Tod ein. Bei Mundlos konnten erst beim
Öffnen des Mundes Schmauchspuren gefunden werden. Er schob sich der
Obduktion zufolge das Gewehr in den Mund und drückte ab. Das Resultat
sei »eine sehr starke Zerstörung des Kopfes« gewesen. Auch Mundlos sei
sofort tot gewesen. Das Feuer im Wohnmobil der Männer habe schnell
gelöscht werden können, so dass beide Leichen nur vereinzelt Brandspuren
aufgewiesen hätten. Spuren, die auf die Gegenwart Dritter hindeuten,
seien nicht gefunden worden, sagte der Rechtsmediziner. Aussagen wie
diese lassen zwar womöglich einige Verschwörungstheorien verpuffen, von
einer lückenlosen Aufklärung ist man jedoch immer noch sehr weit
entfernt – nach den Untersuchungsausschüssen ist vor den
Untersuchungsausschüssen.Ralf Fischerhttp://www.blogger.com/profile/09644548521979938571noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-8030627606373752295.post-50076906955563944852014-05-22T20:00:00.000+02:002014-06-14T19:49:52.713+02:00Mehr als ein Imageproblem<h2>
Seit über drei Monaten sind Asylbewerber im ostsächsischen Hoyerswerda
untergebracht. Stadt und Bürger wollten sich nach dem Pogrom von 1991
als gute Gastgeber präsentieren. Mit mäßigem Erfolg. <br /><br /><span style="font-size: xx-small;">Ralf Fischer / Jungle World</span></h2>
<br />
Noch bevor die ersten Asylbewerber in der Stadt überhaupt ihr
Quartier bezogen, gründeten Vertreter von Stadt, Kirche und
Zivilgesellschaft ein Netzwerk, das sich zum Ziel gesetzt hat, die
Neuankömmlinge mit Solidaritätsaktionen und Freizeitangeboten zu
unterstützen. Für Bürgermeister Stefan Skora (CDU) war dies ein guter
Anfang. In einem öffentlichen Forum insistierte er darauf, dass nur ein
»breites Bürgerbündnis« in der Lage sei, für eine angenehme
Willkommenskultur in Hoyerswerda zu sorgen. Seiner Einschätzung nach
seien ein Drittel der Bürger für das Heim, einem Drittel sei es egal,
ein Drittel sei dagegen. Ziel seiner Politik sei es, »dass die strikten
Gegner keine Deutungshoheit erlangen«. »Ein bisschen Restangst« bleibe
trotzdem, sagte Skora der Taz.<br />
<br />
Zwei Tage nachdem die ersten Bewohner in die Flüchtlingsunterkunft
eingezogen waren, ereignete sich tatsächlich der erste rassistisch
motivierte Übergriff am helllichten Tag mitten auf dem Markplatz. Das
Opfer war ein Marokkaner, der gerade in der Stadt unterwegs war. Ein
männlicher Fahrradfahrer verpasste dem Asylbewerber im Vorbeifahren
einen Schlag auf den Hinterkopf, kehrte dann noch einmal zurück und
schlug ihm in die Nierengegend. Geistesgegenwärtig fotografierte der
Nordafrikaner mit seinem Handy den Täter, so dass die Polizei den
Angreifer kurze Zeit später identifizieren konnte. Der Staatsschutz
ermittelt.<br />
<b><br />Am folgenden Tag rief das Netzwerk »Hoyerswerda hilft mit Herz«</b>
zu einer Solidaritätskundgebung auf, bei der sich etwa 60 Menschen vor
dem Flüchtlingsheim versammelten. Auf der Kundgebung berichtete der
angegriffene Marokkaner, dass die Polizei ihn nach dem Angriff nicht ins
Krankenhaus gebracht habe. Somit wurde ihm keine medizinische Hilfe
zuteil, entsprechend kann er auch kein ärztliches Attest für den Angriff
vorweisen. Im Gespräch mit dem Webportal netz-gegen-nazis.de berichtete
er, in den zwei Monaten zuvor, in denen er in der Erstaufnahmestelle in
Chemnitz untergebracht wurde, sei das Leben besser gewesen. In
Hoyerswerda dagegen fehlten Freizeitangebote. Auch die Verständigung
falle schwer. Einen Kaffee zu bestellen, ist für Flüchtlinge in der
ostsächsischen Kleinstadt nicht einfach.<br />
<br />
Eine Gruppe Pakistaner berichtete auf der Kundgebung, dass an den
Abenden immer wieder Autos vor dem Heim hielten, deren Insassen
»Ausländer raus!« riefen. Aber vor allem in der Stadt kommt es immer
wieder zu rassistischen Drohungen, Beleidigungen und sogar Übergriffen.
Mohsin Rehman aus Pakistan berichtete, dass eine Gruppe kahlköpfiger
Neonazis auf offener Straße bedrohlich auf ihn gezeigt habe, weshalb er
nicht mehr allein aus dem Heim gehe, erst recht nicht am Abend. Zwei
Frauen erstatteten Anzeige, weil sie von »jungen deutschen Männern«
bedroht worden waren. Diese hatten eine Libyerin mit dem Auto bedrängt
und waren auf dem Bürgersteig auf sie zugefahren, als sie gerade ihren
Kinderwagen zum Einkaufscenter schob. Die Frau hatte ein Kopftuch
getragen.<br />
<b><br />Eine wirkungsvolle Drohkulisse dient der Etablierung einer No-Go-Area.</b>
Dies ist das erklärte Ziel der ostsächsischen Neonazis. Dazu braucht es
meistens keine konkrete Gewaltanwendung, ernst zu nehmende Drohungen
reichen oft schon aus. So berichtete Muhammad Afzal Spiegel Online, dass
ein Auto mit drei Insassen dicht an ihm vorbeigefahren sei, einer der
Männer habe währenddessen mit seiner Hand angedeutet, ihm den Kopf
abzuschneiden. »Das hat mir Angst gemacht«, so Afzal. Eine Syrerin wurde
ebenfalls von einem Autofahrer bespuckt und beschimpft. Ein 28jähriger
Tunesier wurde vor einem Geschäft angepöbelt und angespuckt.
Vorausgegangen war der Attacke eine Auseinandersetzung in einem
Supermarkt.<br />
<br />
Die alltägliche Ablehnung hat einige Bewohner der
Flüchtlingsunterkunft im April dazu bewogen, sich in einem offenen Brief
an die Bevölkerung von Hoyerswerda zu wenden. Darin entschuldigen sie
sich für ihre mangelnden Deutschkenntnisse und bedanken sich zugleich
für die bisherige Unterstützung. Am Herzen liege ihnen vor allem ihre
Sicherheit, besonders die ihres Nachwuchses. Sie bitten darum, dass
»unsere Kinder keine Angst mehr auf dem Schulweg haben müssen« und »die
Mütter sich nach den letzten Übergriffen wieder allein zum Einkaufen
trauen« können.<br />
<b><br />Zwei Tage nach der Veröffentlichung des offenen Briefs kam es zu einem ersten direkten Angriff</b>
auf die Flüchtlingsunterkunft, in der rund 85 Erwachsene und 32 Kinder
untergebracht sind. Um drei Uhr nachts versuchte ein 25jähriger mit
einem Hammer eine Fensterscheibe im ersten Stock zu zertrümmern. Das
Sicherheitsglas hielt, trotzdem fielen tellergroße Scherben auf das
Kopfende eines Bettes, das sich hinter dem Fenster befand. Und obwohl
das Polizeirevier in unmittelbarer Nähe zum Wohnheim liegt, traf die
erste Streife erst 20 Minuten nach dem Notruf ein. Die Bewohner
flüchteten vor die Tür ihrer Unterkunft, der Angreifer verschwand.
»Vielleicht war es ja auch bloß der Osterhase, der ein paar nette
Überraschungen bringen wollte«, höhnten die Betreiber der lokalen »Nein
zum Heim«-Facebookseite. Die Initiative, die der NPD nahestehen soll,
hat im Internet über 2 300 Fans. Das Netzwerk »Hoyerswerda hilft mit
Herz« kommt dagegen gerade einmal auf 249 Unterstützer.<br />
<br />
Bei den Befürwortern der Flüchtlingsunterkunft ist das Gefühl
entstanden, dass die Neonazis machen können, was sie wollen. Mathias
Buchner von der Initiative »Pogrom 91« sieht den »Bürgermeister und die
Ordnungsbehörden in der Pflicht«, endlich den Schutz der Heimbewohner zu
gewährleisten. Gerade weil die jüngsten Ereignisse zeigten, dass »es
trotz der zu begrüßenden Arbeit der Bürgerinitiative ›Hoyerswerda hilft
mit Herz‹ viele Menschen in der Stadt gibt, die den Geflüchteten
ablehnend gegenüberstehen und auch nicht davor zurückschrecken, sie
anzugreifen«, gelte es, den sächsischen Innenminister Markus Ulbig (CDU)
daran zu erinnern, dass es Aufgabe der Polizei sei, »die Menschen in
Sachsen zu schützen«. Zum Schutz der Flüchtlinge fordern die
Antifa-Aktivisten von »Pogrom 91«, die Familien schnellstmöglich
dezentral unterzubringen.<br />
<br />
Skora treibt dagegen die Sorge um, dass die rassistisch motivierten
Übergriffe einiger weniger »uns alle in der Öffentlichkeit«
diskreditierten. Im Internet bedient er das Stereotyp, wonach
»Medienvertreter« gern von ihren regionalen Problemen ablenkten, indem
sie mit dem Finger auf Hoyerswerda zeigten. Pathetisch beendet er sein
Statement mit dem Slogan eines jeden Heimatschützers: »Unsere
Heimatstadt und ihre Menschen haben das nicht verdient.«Ralf Fischerhttp://www.blogger.com/profile/09644548521979938571noreply@blogger.com0