Dienstag, 2. November 2004

Was man merkt

Kunst und Kommerz: In Berlin fand am Wochenende »Pictoplasma« statt – die erste internationale Konferenz über Characters in Trickfilm, Comic und anderswo

Ralf Fischer / Junge Welt

Man kann sie sich kaum merken, die Zehntausenden Figuren und Characters in Trickfilm, Comic, Spielzeugland oder Graffitiwelt. In unseren Breitengraden denken wir recht häufig an die drei glorreichen Paare Lolek und Bolek, Asterix und Obelix oder Tim und Struppi. Variante: die Handpuppe Barbie. Bei denen wissen alle Bescheid, denn sie gehören schon lange zum alten Eisen. Die Konkurrenz ist ebenso massiv und so vielfältig.

Character-Design will etwas Spezielles sein, sogar Kunst. Weder richtig Kommerz noch Non-Profit-orientiert. Auch nicht festgelegt auf das Material. Es kann Stoffpuppe, Animation oder nur Aufkleber oder Streetart sein, eben alles oder nichts. Fast jeder kann mitmachen. Selbst einen Character designen und den dann fast völlig frei umsetzen. Die sehen dann so ähnlich aus wie die vom alten Eisen. Nur haben sich die technischen Möglichkeiten in den letzten Jahren komplett geändert.

Character-Design versucht, selbstbewußt zwischen den beiden unversöhnlichen Polen Kunst und Kommerz eine Mittelposition einzunehmen. Das ist dann trotzdem sehr exklusiv. So wurde »Pictoplasma«, die erste internationale Konferenz zum Thema, die am Wochenende in Berlin stattfand, gefördert von der Kulturstiftung des Bundes, der Schweizer Kultustiftung, dem British Council, dem japanischen Kulturinstitut und von Popzeitungen wie Spex, Style und De:BUG. Es kamen bekannte Streetartaktivisten, Kunststudenten, junge Unternehmer, Künstler und Journalisten. Manche wurden gefeiert wie Popstars: Autogramme und persönliche Zeichnungen, anzufertigen in Menschentrauben, lang anhaltender Applaus für ihre Videoanimationen, alles inklusive im Kino International und dem Cafe Moskau schräg gegenüber in Berlin-Mitte.

Dem Publikum sind geschichtliche Anekdoten zu den Event-Gebäuden nicht wichtig. Kein Grund, Tausende Kilometer Flug zurückzulegen. Die meisten sind zwischen 25 und 35 Jahre alt, modisch gekleidet, weltgewandt. Sie verlangen nach Kunst. Die gezeigten Animationen von Künstlerkollektiven, Einzelpersonen und Character-Design-Firmen waren sehr vielfältig. Durchweg gewitzt, mal bombastisch animiert, dann wieder schlichter, aber nicht unbedingt schlechter und immer sehr schnell, von einem zum nächsten, nicht endlos bunt. Am Freitag hielt die Präsentation der Produktionsfirma der virtuellen Band Gorillas aus England das Publikum in Atem.

Am Samstag demonstrierte unter anderem die holländische Crew The London Police ihre großartigen schwarz-weißen Characters, teilweise live gezeichnet. Einer führt ein, die anderen beiden führten eine Show zwischen Variete, Kabarett und Kunst. Staunen und lachen. Mit ein paar schnellen Handbewegungen ist ein Character von London Police auf einen Gegenstand nach Wahl verewigt, die japanische Firma FuFuri braucht dagegen ein Jahr, um einen Character komplett zu designen. Im bunten Mangastil entwerfen sie Characters, um sie später gewinnbringend zu vermarkten. Zum Beispiel das »Girl Power Manifesto«: Alles grell, alles bunt, alles von und für Girls. In Japan gibt es von ihnen gestaltete T-Shirts, Taschen, Puppen, Zahnbürsten, Videospiel usw., die Zukunft soll auch Lizenzprodukte außerhalb Japans bald auf den Markt bringen.

Der Unterschied ist, daß man die Kunstwerke der London Police und der vielen anderen Aktivisten überall in der Stadt nicht umsonst, aber kostenlos betrachten kann.Es gibt Streetartaktivisten, die die Straßen zupflastern und gleichzeitig versuchen, in Galerien zu verkaufen. Wovon soll man leben? Solche Diskussionen wurden kaum geführt. Der Eintrittspreis zu dieser Veranstaltung betrug 100 Euro.

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