Der Rapper Haftbefehl schießt sich auf einem Provinzbahnhof selbst ins Bein - Ein Dramolett
Ralf Fischer / Neues Deutschland
Ein Schuss, ein Schrei und ein Anruf bei der Polizei. Am vergangenen
Freitag lief es nur mäßig für den Rapper Haftbefehl. Unter
»Drogeneinfluss« soll sich der 34-Jährige mit einer Schusswaffe eine
schwere, aber nicht lebensbedrohliche Verletzung zugezogen haben. Seinem
Bad-Boy-Image getreu, verweigerte »Hafti« die Zusammenarbeit mit den
herbeigerufenen Polizeikräften. Die genaueren Umstände des Vorfalles
sind deshalb ungeklärt. Durchsuchungen in einer Bar und dem Wohnsitz des
Rappers konnten nicht zur Klärung des Vorfalls beitragen.
Drogen, Waffen und Blut. Das Missgeschick des Aykut Anhan, wie
Haftbefehl bürgerlich heißt, war ein gefundenes Fressen für die lokalen
Medien. Lustvoll titelte die »Hessenschau«: »Rapper Haftbefehl schießt
sich selbst ins Bein.« Zum Glück ließ man nicht den Praktikanten, wie
sonst üblich zu dieser Uhrzeit, den Titel auswählen, sonst wären die
Worte »Knie« und »Schuss« in einer semantischen Dichte gefallen, die das
Elend des Lokaljournalismus perfekt illustriert und dessen Zustand als
Zombie des Informationsaustausches nur allzu deutlich gemacht hätte.
Wo das Elend am größten ist, werfen schlechte Nachrichten bekanntlich
die größten Schatten. Die Online-Ausgabe der »Offenbacher Post« richtete
einen Ticker ein, in dem die aktuellsten Neuigkeiten rund um den
bekanntesten Sohn der Stadt veröffentlicht wurden. Ein Spannungsbogen
wird dabei schmerzlich vermisst. Moritz von Uslar hatte noch einen Monat
zuvor für die »Zeit« »Deutschlands populärstem Gangster-Rapper« in der
Stadt seine Aufwartung gemacht. Selbstverständlich war es
hochnotpeinlich. Man traf sich im Industriepark. Niemand, der noch
halbwegs bei Verstand ist, möchte in Offenbach tot über dem Zaun hängen.
»Frankfurt am Main. Die Bankenstadt - Die Wolkenkratzermetropole, die
Kriminalitätshauptstadt«, so klingt eine Liebeserklärung an einen
Sehnsuchtsort für Gangster und Rapper. Blamabel für Anhan: Die
Schussverletzung hat er sich nicht im Frankfurter Bahnhofsviertel,
sondern am Bahnhof in Babenhausen zugefügt. Hier betreibt der
selbsternannte Babo seit Weihnachten 2015 eine Sisha-Bar. Das Umland des
Ortes wird laut Wikipedia zum Großteil ackerbaulich genutzt. Um die
Stadt herum verteilen sich mehrere Kiesgruben. Keine Wolkenkratzer weit
und breit. Nirgendwo sind Banken, die es sich lohnt zu überfallen. Die
Kriminalitätshauptstadt könnte wahrlich nicht weiter entfernt sein.
Derweil verrichtet die »Offenbacher Post« ihr Tagewerk. Im Ticker wird
spekuliert, »ob es sich bei dieser Aktion des Rappers gar um eine
Promo-Aktion« für sein neuestes Werk »Das Weisse Album« handelt. Eine
journalistische Bankrotterklärung. Haftbefehl ist ein Meister der
Selbstvermarktung. Sein Vermögen wird auf 1,5 Millionen Euro geschätzt.
Mit »DWA« erzielte er vor einem Monat seine erste Nummer eins in den
deutschen Hip-Hop-Charts als Solokünstler. Musikalisch ist das Album
über dem Durchschnitt anzusiedeln, aber dank der sich ständig
wiederholenden »Herabwürdigung von Armen, Schwachen und Frauen«, wie
Jakob Biazza in der »Süddeutschen Zeitung« zu Recht anmerkt, wahrlich
kein Ohrenschmaus. Der Rapper verschwende »sein Potenzial an
Kapitalismus-Hörigkeit«, konstatiert Biazza.
Die »Offenbacher Post« hat einen anderen Standpunkt. Nachzulesen im
Ticker. Wegen »seiner großen Heimatverbundenheit« und weil der Rapper
schließlich einer sei, »der es geschafft hat, erfolgreich zu sein«, wäre
im Zuge der Kolonialismus-Debatte eine Petition, die Bismarckstraße in
Offenbach nach Haftbefehl umzubenennen, sogar auf Zuspruch im Rathaus
gestoßen. Dies solle »Migrant*innen zeigen, dass sie auch erfolgreich
sein können«. Die Trauben in der Stadt an der hessischen Apfelwein- und
Obstwiesenroute hängen offenbar ziemlich tief.
Das Ende des Nachrichtenaufkommens zur tragischen Selbstverletzung des
Aykut Anhan steht sinnbildlich für den Stand der Integration von
hessischen Lokaljournalisten in eine Einwanderungsgesellschaft wie die
hiesige. Den von Haftbefehl aus dem Krankenhaus gesendeten Tweet
»Hamdullah mir geht’s gut!« übersetzt die Redaktion wohlmeinend für
jenen Teil der Landbevölkerung, der zumindest einen Internetanschluss
hat: »Hamdullah ist arabisch und bedeutet ›Gott sei Dank‹.« Ich schwöre,
in diesem Bundesland hat nicht nur die Polizei ein strukturelles
Problem.