Die Logik des Deutschraps in Romanform: »Nullerjahre« von Hendrik Bolz
Ralf Fischer / Neues Deutschland
Im Konkurrenzkampf der marktabhängigen Kulturproduzenten waren in den
letzten beiden Jahren Musiker klar im Nachteil. Die unzähligen Absagen
von Konzertterminen in der Pandemie schmälerten ihre Einkünfte enorm,
weshalb nicht wenige auf die Idee kamen, mit der Veröffentlichung eines
Buches diese Verluste finanziell zumindest etwas auszugleichen. So auch Hendrik Bolz, seines Zeichens unter dem Namen Testo Rapper der 2010 gegründeten Gruppe Zugezogen Maskulin. Der 1988 in Leipzig geborene Musiker legt nun mit »Nullerjahre« seinen Debütroman vor.
In dem über 300-seitigen Werk soll es um die Schwierigkeiten eines
Heranwachsenden in einem Stralsunder Plattenbauviertel gehen. Das
verspricht zumindest der Klappentext. »Vom Austeilen und
Auf-die-Fresse-Kriegen: eine Nachwendejugend in Mecklenburg-Vorpommern«,
wirbt der Verlag. So kann man es auch nennen. Wie im Rap-Business
üblich, wird die leicht delinquente Herkunft von Bolz zu einer
vermarktbaren Identität verschmolzen. Herausgekommen ist eine eher
unverdauliche Lektüre, gespickt mit unzähligen Verbalinjurien.
Als pubertierender Gymnasiast im Stralsunder Neubauviertel Knieper West
aufgewachsen, gehörte Bolz zu jenen aufbegehrenden Jugendlichen, die den
als »Opfer« identifizierten Menschen in ihrer Umgebung das Leben
ständig zur Hölle machten. Das Weltbild ist so groß wie eine
Zigarettenschachtel. Der Hass auf alles, was nicht dem heteronormativen
Ideal entspricht, ist größer als der gesamte Planet Erde. Ein jeder ist
ein Spießer, der nicht authentisch asozial ist. Wer seine Aggressionen
auch nur halbwegs unter Kontrolle hat, gilt als willkommene Zielscheibe.
Der Stolz des Protagonisten basiert darauf, die reaktionären Texte
seiner Idole Böhse Onkelz und Bushido auswendig zu können.