Montag, 1. Dezember 2008

Länger als fünf Minuten

Cindy aus Marzahn muß keine Baumärkte und Autohäuser eröffnen

Ralf Fischer / Junge Welt

Früher, als westdeutsche Markenkonzerne wie Puma und Salamander ihre Produkte noch im Zonenrandgebiet und nicht in Indone­sien produzieren ließen, da war Comedy, das Kabarett für geistig Umnachtete, ein kaum verständlicher Anglizismus. Damals hieß Brandenburg auch noch nicht Brandenburg, war aber trotzdem sehr beschaulich. Dort träumte die Köchin Ilka Bessin davon, irgend etwas anderes zu machen, als Kartoffelbrei für die Arbeiter des VEB Wälzlagerwerks Luckenwalde.

Durch eine Verkettung unglaublicher Ereignisse wurde aus Bessin schließlich Cindy aus Marzahn, auferstanden aus der »Talentschmiede« des Quatsch Comedy Club. Gewissermaßen das ebenso weibliche wie ostdeutsche Pendant zu Mario Barth im Fernsehen.

Ganz in pink, mit extra-schlabbriger Jogginghose bewaffnet und einer zeitlos häßlichen Frisur durchlief sie mehr oder weniger alle bundesdeutschen Comedyformate. Ihr Ruhm dauert nun schon länger als die berühmten fünf Minuten. Leider ist sie in »Deutschland sucht den Superstar« nicht aufgetaucht, so daß Dieter Bohlen für sie kein neues Wort erfinden mußte. Vielleicht hätte er sie stoppen können, diese jüngere Schwester im Geiste von Fips Asmussen. Wenn die neuen Baumärkte und Autohäuser eröffnen, muß sie nicht ran – ihre Produktionsfirma Brainpool hat ihren Wirkungskreis etwas großzügiger bemessen und ist dabei womöglich auf eine Goldmine gestoßen.

Denn es mutet schon mehr als nur ironisch an, daß gerade knallbunte Neonfarben zum ästhetischen Zeichen für die eigene Nutzlosigkeit mutiert sind. Noch abstruser wird es, wenn eine Ikone der Häßlichkeit auf die Bühne geschickt wird, um Witze über ihre Körperfülle mit den allgemeinen Vorurteilen über die ostdeutsche Unterschicht zu kombinieren. Damit ist Cindy nicht nur im Westen erfolgreich. Zu Tausenden strömen die teilweise ebenfalls übergewichtigen, aber selten so schrill ausstaffierten Menschen der ostdeutschen Mittelklasse in die Shows von Cindy aus Marzahn, um sich erzählen zu lassen, was Kevin-Jason mit Jenny Lee treibt, bzw. es nicht treibt. Dabei bräuchten sie nur einmal konzentriert aus ihren Wohnzimmerfenstern zu schauen.

Ebenso wie bei dem Marzahner Rapper Joe Rilla sind in der Gestalt der Cindy sämtliche Vorurteile über den Osten zum Produkt für den Osten geronnen. Und zwar spiegelverkehrt: Hämmert Rilla seinen Zuhörern ein, daß »der Osten rollt«, verkündet Cindy unter Bergen von Polyesterkleidern die Bedeutungslosigkeit der eigenen Existenz.

Denn Cindy aus Marzahn ist eine Kunstfigur, die für die Menschen der westdeutschen Mittelklasse als Comedy durchgehen mag. Im Osten, wo die vielbejubelte Freiheit oftmals auf die Geschmacksfrage zugespitzt wird, ob man zum Jobcenter im eigenen Auto fährt oder nicht, besitzt sie viel weniger zoologischen Witz, als sie annimmt und herausposaunt. Sie verdoppelt bloß die Oberfläche, fügt nichts Neues hinzu, sondern fällt sozusagen hinter die Realität zurück, in der man die Cindys in den Fußgängerzonen und Supermarktschlangen in Echtzeit gewahr werden kann. Da bleibt einem das Lachen im Gehirn stecken. Man bekommt eine leise Ahnung davon, was einem selbst drohen könnte, wenn man es nicht mehr rechtzeitig schafft, nach Bielefeld, oder Schwäbisch-Gmünd. Denn dort wird nicht mit der Super Illu herumgefuchtelt.

* Cindy aus Marzahn: »Schizophren: Ich wollte ’ne Prinzessin sein« (Sony/ BMG)

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