Donnerstag, 30. Januar 2014

Anklage bleibt Anklage

Die juristische und politische Aufarbeitung der Mordserie des NSU bleibt fragwürdig. Die Ermittlungsbehörden weigern sich, weiterführenden Anhaltspunkten nachzugehen.

Ralf Fischer / Jungle World


Die Unterstützung einer kriminellen oder terroristischen Vereinigung sowie die Werbung neuer Mitglieder und Unterstützer stehen unter Strafe. In den siebziger Jahren führte dies zu den skurrilsten Situationen. 1972 durchsuchten Polizisten die Wohngemeinschaft, in der Peer Steinbrück (SPD) zu diesem Zeitpunkt lebte. Steinbrück blieb noch einige Zeit lang unter Beobachtung des Verfassungsschutzes, obwohl es keinen einzigen konkreten Hinweis darauf gab, dass er die Absicht hatte, die »freiheitliche demokratische Grundordnung« abzuschaffen. Auslöser für die Hausdurchsuchung in Steinsbrücks WG war damals die Vermutung von Nachbarn, eine Frau aus der RAF verstecke sich nebenan.

40 Jahre später verhält es sich anders.
Die Strafverfolgungsbehörden gehen nachsichtig mit manchen Personen um, die im Verdacht stehen, die bürgerlich-demokratische Ordnung der Bundesrepublik abschaffen zu wollen. So wurde Ende 2013 bekannt, dass Holger Gerlach, mutmaßlicher Unterstützer des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU), Mitangeklagter im NSU-Prozess und im Zeugenschutzprogramm des Bundeskriminalamts (BKA) untergebracht, sich nach seiner Entlassung aus der Untersuchungshaft im Mai 2012 mit Personen aus der Naziszene in Niedersachsen treffen konnte, die ebenfalls als Zeugen im NSU-Verfahren aussagen müssen. »Ein Treffen einer im Zeugenschutz befindlichen Person mit Zeugen, hier ja sogar Belastungszeugen, widerspricht allen Regeln des Zeugenschutzes, die der Zeuge normalerweise auch unterschreiben muss«, empörte sich der Kieler Rechtsanwalt Alexander Hoffmann, der als Nebenkläger die Opfer des mutmaßlichen NSU-Bombenanschlags von 2004 in Köln vertritt. Die Gerlach begleitenden Beamten waren während des Gespräches nicht einmal im Raum. »Der Vorgang ist wegen der potentiellen Beeinflussung der Zeugen und der damit verbundenen Verdunklungsgefahr erklärungsbedürftig«, stellte der Bundestagsabgeordnete Sven Kindler (Grüne) fest und bat die Bundesregierung um eine Stellungnahme. Diese antwortete, dass Gerlach sich treffen könne, mit wem er wolle, es gebe »kein prozessuales Kontaktverbot von auf freiem Fuß befindlichen Zeugen«.

Bei den beiden Zeugen, mit denen sich Gerlach traf, handelt es sich um das Ehepaar Alexander und Silvia S. Sie wurden Anfang Januar im Prozess vor dem Münchner Oberlandesgericht wegen Gerlachs Beschaffung einer Krankenversicherungskarte für Beate Zschäpe befragt, wegen einer Handlung also, die in diesem Fall auch als Unterstützung einer terroristischen Vereinigung gelten könnte. Während der Befragung verstrickten sich die Zeugen in Widersprüche. Alexander S. konnte sich angeblich kaum noch an Details erinnern. Es sei ein »feucht-fröhlicher Abend« gewesen, an dem Gerlach seine Frau gefragt habe, ob sie ihre Versicherungskarte verkaufen würde. »Meine Frau hat dem zugestimmt und wir haben 300 Euro dafür erhalten.« Alexander S. sagte, es habe ihn nicht interessiert, was genau mit der Karte geschehe. Auch an den Ort des »feucht-fröhlichen Abends« konnte oder wollte er sich nicht erinnern. Gerlach gab an, dass er Silvia S. die Karte habe »abquatschen« und ihr schwören müssen, dass damit »kein Scheiß« geschehe.

Erinnerungslücken ganz anderer Art hat der Polizist Martin Arnold.
Im April 2007 schossen zwei Personen auf einem gut einsehbaren Parkplatz in Heilbronn auf ihn und seine Kollegin Michèle Kiesewetter. Die 22jährige Kiesewetter starb, Arnold überlebte nur mit großem Glück und kann sich bis heute nicht an den Tathergang erinnern. Immer noch ist unbekannt, wer die Schüsse abgab. Zwar wurden die Waffen und Teile der zugehörigen Ausrüstung der Polizisten im Wohnmobil, in dem Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos tot entdeckt wurden, und in der ausgebrannten Wohnung in Zwickau, in der das NSU-Trio wohnte, gefunden.

Trotzdem bleiben viele Fragen ungeklärt. Obwohl die Polizei anhand von Aussagen in Heilbronn mehrere Phantombilder anfertigen ließ, ähnelt keine der Zeichnungen Böhnhardt oder Mundlos. Ein Zeuge gab an, drei Verdächtige gesehen zu haben, zwei Männer und eine Frau mit weißem Kopftuch. Das Landeskriminalamt mutmaßte aufgrund dieser und weiterer Aussagen, dass an der Tat insgesamt sechs Personen beteiligt gewesen sein könnten. Die Aussage des schwer geschädigten Arnold im Prozess Mitte Januar ergab keine neuen Erkenntnisse. Für Arnolds Anwalt Walter Martinek war dies ein weiterer Grund, einen NSU-Untersuchungsausschuss für Baden-Württemberg zu fordern, denn weder seien die genauen Hintergründe der Tat bekannt, noch habe es eine Diskussion über die Ermittlungsfehler gegeben. »Wenn es irgendwo einen Bedarf für einen Untersuchungsausschuss gibt, dann in Baden-Württemberg«, sagte Martinek den Stuttgarter Nachrichten.

Vor allem die Rolle des Verfassungschutzes sowie der anderen Sicherheitsbehörden im Heilbronner Fall wurde bislang nicht ansatzweise politisch aufgearbeitet. Unaufgeklärt ist bisher auch ein weiteres Detail: Kiesewetters Patenonkel, ein Polizist aus Saalfeld in Thüringen, soll in einer Befragung acht Tage nach dem Mord an seiner Nichte die Vermutung geäußert haben, dass ein Zusammenhang zu der damals noch als »Türkenmorde« bezeichneten Mordserie bestehe. Der Untersuchungsausschuss des Thüringer Landtags wolle den Polizisten deshalb im März vorladen, sagte die Ausschussvorsitzende Dorothea Marx (SPD) vorige Woche. Die angekündigte juristische und politische Aufarbeitung der NSU-Mordserie bleibt insgesamt fragwürdig. Die Bundesanwaltschaft lehnte in diesem Monat einen Antrag des Anwalts der Nebenkläger, Alexander Hoffmann, ab, der einen in Polen inhaftierten Zeugen laden wollte. Dessen Angaben zum Angeklagten Ralf Wohlleben sollen über die in der Anklage geäußerten Vorwürfe der Unterstützung des NSU hinausgehen. Die Bundesanwaltschaft begründete die Ablehnung damit, dass diese Zeugenaussage unzulässig und ungeeignet zur Klärung der Frage sei, ob Zschäpe Mittäterin gewesen sei oder sich nur der Beihilfe an zehn Morden und 15 Raubüberfällen schuldig gemacht habe. Hoffmann wirft deshalb der Bundesanwaltschaft vor, eine weitere Aufklärung der NSU-Verbrechen zu verhindern. Sie sei »nur bemüht, ihre einmal formulierte Anklage zu halten«. Dieser Strategie folgt offenbar auch der Staatsanwalt Stefan Schmidt. Auch er lässt allgemein den Eindruck aufkommen, dass eine harte Strafe Zschäpes im Interesse des Staats ist, aber nicht unbedingt die Verurteilung weiterer Unterstützer.

Diese offensichtliche Weigerung der Ermittlungsbehörden,
weiterführenden Anhaltspunkten nachzugehen, steigert die Textproduktion eines Milieus, von dem ebenfalls keine Aufklärung zu erwarten ist: Auch Verschwörungstheoretiker und -praktiker basteln an ihren Versionen zum NSU. So sagte Nick Greger kürzlich dem Magazin Compact, das Berliner Landeskriminalamt habe ihn bedrängt, keine Aussagen vor dem NSU-Untersuchungsausschuss im Bundestag zu machen. Greger, ehemals militanter Nazi, behauptet, V-Mann des Berliner LKA gewesen zu sein. Fraglich ist, wie glaubwürdig dieser Zeuge ist. Nach seinem Ausstieg aus der Naziszene 2005 baute Greger Kontakte zu einem nordirischen protestantischen Milizenführer auf und konvertierte später zur russisch-orthodoxen Kirche. Katharina König (Linkspartei) sagt darüber hinaus, dass Greger keinen Hehl aus seinen Verbindungen zur Gruppierung »Königreich Deutschland« mache.

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