Donnerstag, 20. Februar 2014

Auf schlechte Nachbarschaft

Das Bundesland Sachsen muss in diesem Jahr 8 000 Flüchtlinge aufnehmen. Die Proteste dagegen haben schon begonnen.

Ralf Fischer / Jungle World


Künftig sollen ankommende Asylbewerber auch etwas anderes von Sachsen sehen als Chemnitz. Sie sollen auf die neuen Zentralen Erstaufnahmeeinrichtungen in Dresden und Leipzig verteilt werden. 2013 nahm der Freistaat Sachsen etwa 5 800 Flüchtlinge auf. Dabei kam es vor allem in der Einrichtung in Chemnitz immer wieder zu Überbelegungen. Nun will Innenminister Markus Ulbig (CDU) das Kontingent der Flüchtlinge zu etwa gleichen Teilen auf die drei sächsischen Großstädte Chemnitz, Dresden und Leipzig aufteilen. In den Einrichtungen sollen jeweils mindestens 500 Menschen Platz finden, damit das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Asylverfahren an Ort und Stelle bearbeiten kann. Bisher war dafür in Sachsen nur Chemnitz mit der Außenstelle Schneeberg zuständig. Schneeberg soll später kein Standort mehr für die Erstaufnahme sein.

Das Konzept des sächsischen Innenministers, das er auf die Formel »Drei mal 500« bringt, stößt in seiner eigenen Landespartei auf Widerspruch. Die in Leipzig-Nord gewählte Direktkandidatin der CDU für den Bundestag, Bettina Kudla, stört sich daran, dass die Aufnahmestelle ausgerechnet in ihrem Wahlkreis angesiedelt werden soll. Sie gibt zu bedenken, dass »mögliche Alterna­tivstandorte nicht ausreichend geprüft worden« seien. Ihr Hauptargument ist die Angst um die Sicherheit der Kinder im Viertel. »Ich halte es für höchst problematisch, wenn man in einem Gebiet, das sich in den letzten Jahren als attraktiver Wohnstandort mit einem starken Zuzug von Familien mit Kindern entwickelt hat, ein Erstaufnahmelager errichtet«, empörte sich Kudla öffentlich über den geplanten Standort in ihrem Wahlkreis.

Die Stadträtin Juliane Nagel (Linkspartei) kritisierte Kudla in der Leipziger Volkszeitung scharf:
»Erst stört sie sich an dem Moscheebau in Gohlis und nun spricht sie sich gegen die Erstaufnahmeeinrichtung für Asylbewerber aus.« Die CDU-Po­litikerin schüre fremdenfeindliche Ressentiments, »die auch in der Debatte um Flüchtlinge in der Nachbarschaft immer wieder zutage treten und insbesondere in Leipzig-Schönefeld in den letzten Wochen immer wieder von Nazis aufgegriffen wurden«.

Seit Dezember demonstrieren Neonazis gegen eine temporäre Einrichtung für Asylbewerber im Stadtteil Schönefeld. Der Leipziger Kreisverband der NPD will mit diesen Aktivitäten seine eigene organisatorische Schwäche kaschieren. Nach einem jahrelangen Niedergang versucht derzeit der stellvertretende Landesvorsitzende Maik Scheffler, den maroden Verband zu retten. Im Landkreis Leipzig, in Orten wie Borna, Rötha, Frohburg, Geithain und Groitzsch, stehen zumeist NPD-Funk­tionäre hinter den »Bürgerinitiativen« gegen Unterbringungen für Asylsuchende und versuchen so, sich für die kommenden Wahlen ins Gespräch zu bringen.

Wie weit der Hass auf Flüchtlinge in der Bevölkerung verbreitet ist,
zeigt ein besonderes Beispiel elterlichen Engagements. Ein Ausflug der Leipziger Astrid-Lindgren-Schule könnte womöglich ein juristisches Nachspiel haben. Weil Lehrer und Schüler ein Flüchtlingsheim besuchten, wollen etliche Eltern, die sich in der Initiative »Leipzig steht auf« zusammengeschlossen haben, vor Gericht gehen. Eine Mutter wandte sich sogar mit einer einstweiligen Anordnung an das Verwaltungsgericht Leipzig, um die Teilnahme ihres Kindes zu unterbinden. Der Leipziger Volkszeitung zufolge gab es neun Beschwerden gegen den Besuch im Flüchtlingsheim.

Aber es geht tatsächlich auch anders. Das Patenprogramm »Ankommen in Leipzig«, das der ­Sozialbürgermeister Thomas Fabian (SPD) Mitte Februar der Öffentlichkeit vorstellte, wirbt um Freiwillige, die Förderunterricht für junge Flüchtlinge geben wollen. Das Projekt des Flüchtlingsrats Leipzig soll viele Aufgaben erfüllen, von der Hausaufgabenhilfe bis hin zur Abiturvorbereitung für Asylbewerber. Die benötigten freiwilligen Helfer werden allerdings noch dringend gesucht.

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