Mittwoch, 8. November 2000

Gedenken an Opfer der Reichspogromnacht

Berliner Antifagruppen erinnern an den 9. November 1938

Ralf Fischer / Junge Welt

Auch in diesem Jahr ruft die Antifaschistische Initiative Moabit (AIM) zu einer Gedenkkundgebung am 9. November am Mahnmal in der Berliner Levetzowstraße auf. Nach der Kundgebung beginnt eine Demonstration, die sich an der Route orientiert, auf der die Berliner Juden vom Sammellager in der Synagoge zum Güterbahnhof an der Putlitzbrücke getrieben wurden.

Der 9. November 1938 war der Tag, an dem Nazideutschland und ein großer Teil der Bevölkerung auf mörderische Art und Weise den hier lebenden Juden zeigten, daß sie endgültig nicht mehr zur deutschen Gesellschaft gehörten. Im ganzen Land zündete der faschistische Mob, an der Spitze die SA, die Synagogen an, zerstörte und plünderte jüdische Geschäfte, Betriebe und Wohnungen, verprügelte, vergewaltigte und tötete Juden und verschleppte Tausende in die Konzentrationslager. Der Schritt von der totalen Ausgrenzung, Entrechtung und Beraubung der Juden hin zum Holocaust, der Vernichtung der europäischen Juden, war getan.

1933 lebten in Berlin-Tiergarten 12 286 Juden, mehr als in den meisten anderen Berliner Bezirken. Hier gab es über 16 jüdische Einrichtungen: Schulen, Bethäuser und ein Wohnheim, außerdem eine der größten Berliner Synagogen in der Levetzowstraße. Nachdem die jüdische Gemeinde gezwungen worden war, ein Sammellager für über tausend Juden in der Synagoge einzurichten, begannen am 18. Oktober 1941 die Deportationen in die Konzentrationslager und Ghettos. Wurden die Opfer anfangs noch auf Lastwagen zum Deportationsbahnhof Putlitzstraße, dem größten Berlins, verfrachtet, mußten sie ab 1943 diesen Weg zu Fuß zurücklegen. Sie wurden von der SS am hellichten Tag durch Moabit getrieben - bis zu einem Nebengleis des Güterbahnhofs, auf dem die Deportationszüge warteten. Nach Ende des Hitlerfaschismus lebten in Tiergarten nur noch 185 Juden.

62 Jahre nach der Reichspogromnacht und zehn Jahre nach der Vereinigung häufen sich in alarmierender Weise Anschläge auf Synagogen wie in Erfurt, Düsseldorf und Berlin-Kreuzberg sowie Schändungen von jüdischen Friedhöfen und Gewalttaten gegen fremd oder anders Aussehende und Obdachlose. In ihrem Aufruf zur Demonstration konstatiert die AIM: »Eine gesellschaftliche Mehrheit, die sich entschieden gegen diese Entwicklung stellt, gibt es zur Zeit nicht.«

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen