Montag, 30. Mai 2005

Geh weg vom Mic!

Aus der Kneipe: Auf DVD dokumentiert das Berliner HipHop-Label Royal Bunker sich selbst

Ralf Fischer / Junge Welt

Jeder wäre gerne ein berühmter Popstar. Via Katapult raus aus der ländlichen Scheiße des elterlichen Reihenhauses in der Kleinstadt am Rande des Wahnsinns, direkt rein in den kurzen Rock der Bourgeoisie mitten in der City. Aus dem Untergrund der Großstädte direkt in die Klingelton-Charts – das ist nicht nur in der Nacht der Traum vieler Teenager. Es ist der Traum des Kapitalismus, eigentlich für das gesamte (erwachsene) Proletariat konzipiert. Niemand, der diesem Traum anhängt, braucht sich oder anderen einzureden, er sei Teil einer unbedeutenden Minderheit. Das ist Selbstbetrug. Doch die Quadratur des Kreises wird trotzdem noch häufig genug versucht. Eine gezielte Verarschung um der Selbstinszenierung willen. Die in diesem Frühjahr veröffentlichte DVD »Gegen die Kultur« des Berliner Musiklabels Royal Bunker wandelt genau auf diesem Pfad.

Kein Traum

Daß der Traum vom Aufstieg in die Oberschicht machnmal kein Traum bleibt, kann man täglich in der Boulevardpresse nachlesen. Geschenkt, hier ist nicht der Boulevard. Hier geht es um Untergrund-Attitüde als Verkaufsargument. So ungefähr läßt sich das Konzept der Royal-Bunker-Crew aus Westberlin, wie sie oft betonen, in vier Worte fassen. Darüber hinaus glänzen die meisten MCs des Labels, vom Bunkerboß Marcus Staiger auch schon mal treffsicher als CDU-Rapper bezeichnet, mit sexistischen und homophoben Verbalinjurien, die lange Zeit kaum woanders in HipHop-Germany zu hören waren. Unabhängig von den übermächtigen Majors macht die Crew um den Bunker seit 1998 ihre eigene Politik. Von einem Hinterzimmer mit Bühne, hin zu einem kleinen Tapelabel arbeitete sich das selbsternannte Untergrundlabel langsam nach oben. Als 2000 die erste CD des Labels, »N.L.P.« von MOR veröffentlicht wurde, stellten sie ihre Strategie erstmals einem breiteren Publikum dar. Anzeigen, auf denen die Bosse der Majors aufgefordert wurden, sich selbst zu ficken, gehören seitdem zur Labelpolitik wie die Ansage auf dem Cover der aktuellen DVD: »Hart! Ehrlich! Konsequent! – Royal Bunker. Geh weg vom Mic – Nutte!«

Dies wirkt wie das übliche sexistische Männergehabe, ganz auf das Männer-Marketing der deutschen HipHop-Szene zugeschnitten. Ist es auch. Hier versammeln sich die Teile des städtischen Proletariats am Mikrofon, die lieber komplett die Schnauze halten sollten. Ganz so, wenn sich Männer abends an den Stammtischen der Eckkneipen versammeln, um dort ihrer reaktionären Ideologieproduktion zu frönen. Einigen aus dem Bunker war diese Beschäftigung wohl zu unmodern und langweilig. Sie rappten lieber in der Kneipe.

Doch es muß mehr als nur Langeweile gewesen sein, als die ersten HipHop-Jams im Royal Bunker, einer stinkenden Kellerkneipe in Kreuzberg, von Staiger initiiert wurden. Es roch wie nach einem Buttersäureanschlag, Mikrofone waren Mangelware, MCs manchmal auch und trotzdem schockte die Atmosphäre niemanden. Der Flavor, zwischen Jam und Battle, brachte die gesamte Berliner MC-Szene nach und nach auf die Bühne des Bunkers. Hier machten viele ihre ersten Schritte, die heute über die Stadtgrenzen hinaus Rap aus Berlin repräsentieren und manchmal auch die Charts rocken.

Kool Savas, damals noch MOR, und Sido sind die bekanntesten ehemaligen Bunkergänger. Man ahnt es heute kaum noch, doch ihre gemeinsame Wurzel ist der Royal Bunker. Sido lernte hier seinen Partner B-Tight kennen und gründete mit ihm die Crew Royal-TS.

Der Rest blamiert sich

Der Hauptfilm auf der ersten Royal-Bunker-DVD berichtet von diesen Anfängen, die in Interviewparts sowie einigen Filmschnipseln von Auftritten, leider meist in schlechter Qualität, versuchsweise wiederaufleben sollen. Reflektiert wird wäre zuviel gesagt. Die Interviews haben wenig Tiefgang, eben maximal genauso so viel wie der jeweilige Interviewpartner. Marcus Staiger, der sich selbst als linksozialisierter Managertyp in der eigenen Show entlarven läßt, macht dabei, neben Kool Savas und Justus Jonas, noch den besten Schnitt. Der Rest blamiert sich nach besten Kräften.

In den Interviewparts von Savas sowie Staiger blitzt Nachdenken über die eigene Rolle auf. Aus ihren Mündern hört es sich auch schon fast wieder logisch an, daß nachdem Ende der 90 Jahre die Welle von Funny-HipHop Made in Germany das Land von Norden aus überflutete, eine derbe Ansage aus dem dreckigsten, chauvinistischsten und chaotischsten Loch des Landes folgen mußte. Und dies ist bekanntlich nun mal Berlin-West. Keine Frage.

Zurück zur Beweisführung. Rapper Kool Savas beweist den Aufsteigertraum vom Tagesspiegel-Werber und Sozialarbeiter zum Millionär, vom Royal-Bunker zum Popstar. Er ist derjenige, der durch außergewöhnliche Fähigkeiten und besonderen Ehrgeiz am Mikrofon den Aufstieg in die Oberklasse klarmachen konnte. Ähnlich wie Labelchef Staiger war er von seiner Mission überzeugt. Doch der wollte Untergrund. Und wird es auch bleiben. Savas wollte immer beweisen, daß alle MCs in Deutschland scheiße sind. Hat er auch fast geschafft. Und die restliche Bunkerclique? Die macht weiter auf Westberlin – maskulin. Mehr ist nicht drin. Battle ist alles, das muß reichen. Es bleibt eben kein Auge trocken, soll es ja auch gar nicht. Kleine Erfolge feiern sie damit trotzdem.

Als Bonus sind einige davon zu sehen. Neben den drei teuersten Videoclips der Welt von MOR findet sich eine Dokumentation der Kotzen-und-Ablegen-Tour der Crew u. a. zusammen mit dem Berliner Rapper Taktlos. Der Konzertmitschnitt wird komplettiert durch einige skurrile Promoaufnahmen gemeinsam mit Punkern auf dem Alexanderplatz und sonstig verrückten Filmaufnahmen während der Tour. Timing ist alles. Der gesamte Produktionsprozeß der N.L.P., die es auf Anhieb bis in die Top 100 schaffte, wird schon vorher im Hauptfilm dokumentiert. Dabei sind auch die Mitwirkenden wie Rapper Azad aus Frankfurt/Main und die Produzentin Melbeatz zu sehen und hören.

Zur Motivation gefragt, antwortet Fuat von MOR im Hauptfilm: »Wettbewerb? Seit ich denken kann, gibt es Wettbewerb. Schon in der Schule gab es Bundesjugendspiele …« Im Battle sei eben alles erlaubt. Womit die Antwort aus dem Bunker auf die Kritik an ihren sexistischen und homophoben Phrasen schon vorweg bekannt sein dürfte: »Du behauptest, wir seien stumpf, weil du die Lyrics nicht magst.« Oder auch »Deine Crew, das bist du, deine Fische und Oma!« Punkt.

Sozialarbeiter umschulen

Vielleicht macht dieses Modell Berlin ja Schule. Vom armen Schmuddelrapper zum Millionär. Dann werden wohl bald bundesweit Kommunen, in der Hoffnung, damit zumindest Geld zu sparen, einige Sozialarbeiter zu Labelchefs umschulen. Vielleicht klinkt sich auch noch die Agentur für Arbeit ein. Agenturrap statt Aggrorap. Prost Mahlzeit, schlimmer könnte es kaum kommen, höre ich da schon aus der linken Ecke schreien. Doch Vorsicht, es kommt immer schlimmer, als man denkt. Nationalrap à la Dissau Crime oder Fler war auch schneller da, als so manch besoffener Neonazi die Nationalhymne grölen kann.

* V.A.: »Gegen die Kultur« (Royal Bunker)

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