Dienstag, 11. Januar 2005

It’s true, baby

Sozialistischer Realismus mit Studio Braun auf CD

Ralf Fischer / Junge Welt

Kennen Sie Bartmakramee? Das Gurkitier? Nein? Vielleicht das Polizeiboot Norbert? Auch nicht? Dann fehlt Ihnen etwas. Dann könnte man glatt eine Bildungslücke am Fips-Asmussen-Äquator diagnostizieren und als Pädagoge vielleicht schon wieder den PISA-Alarm auslösen. Doch so schlimm ist es nicht, nur halb so wild. Normalzustand in Grauland. Keine Panik, es geht vielen so. Dieses Unwissen wirkt auch nicht sofort tödlich. Ob medizinisches Fachpersonal ausreicht, um dies wieder einzurenken, darf aber bezweifelt werden. Auch im veganen Naturkostladen wird es keine Hilfe geben. Sondern, es klingt empörend, viel eher im Media Markt oder Saturn Ihres Vertrauens. It’s true, baby. Es scheint wie immer die alte Leier zu sein, entscheidend ist nicht, wie teuer etwas ist, sondern wie gut, und vor allem von wem, es ist.

Ein Trio aus Hamburg hat den Dreh jedenfalls heraus. Drei Ochsen an der Tankstelle, »die unkorrumpierbaren Bigstyler« von Studio Braun. Ihre Idee, bizarre bis blöde Leute einfach anzurufen und so in die Wohnstuben und Bürozimmer der Nation zu leuchten bzw. zu horchen, ist keineswegs neu. Doch sie schaffen es immer wieder, einen zum swingen zu bringen.

In Reaktion auf ihre neue CD »Ein Kessel Braunes« kommt selbst die konservative Hamburger Morgenpost nicht umhin, festzustellen, daß die »mysteriöse Backmischung« der Hamburger Jungs mehr als den üblichen Comedy-Pep zu bieten hat. Der Pfad zwischen genial und genial daneben ist schmal. Ein Kessel Braunes verspricht the telefon people mit Höhen und Tiefen. Wer auf Sachsen-Wortspiele steht, weiß Bescheid. Geschenkt. Kurzen Enttäuschungen folgt im nächsten Augenblick langes Lachen. Die Episode »Brudertwist« auf der CD ist die akustische Fortsetzung der eigenen Jugend mit anderen Mitteln. Es ist auch zu hören, was der Auspuffmann gerne mal dazwischenschiebt, warum das Gewissen eines Säufers lieber die Fresse halten sollte und auch, wie der Job eines Gagschreibers zur Hölle wird. Traurig. Und wer das nicht lustig findet, kann sich getrost für die nächsten Jahre im Keller einmauern.

Nach dem Hören der CD ist auch die gewohnte Leichtigkeit beim Telefonieren dahin. Ich zum Beispiel werde beim nächsten Telefongespräch meinen Vermieter davon unterrichten, daß ich ernsthaft die Haltung von mehreren Wildschweinen in meiner Einraumwohnung in Berlin in Erwägung ziehe. Mal sehen, was geht. Mein MD-Player liegt schon am Telefon zur Aufnahme bereit. Es ist ja eigentlich egal, ob Vermieter oder nicht, fast ganz Deutschland ist ein Kessel Braunes.

* Studio Braun: »Ein Kessel Braunes« (Trikont)

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