Ralf Fischer / Rundbrief der AG Antifaschismus beim Parteivorstand der PDS
„Befreiung und Freiheit sind
keineswegs dasselbe. Zwar ist Freiheit ohne Befreiung nicht möglich,
aber sie ist niemals einfach nur das selbstverständliche Resultat
der Befreiung.“ Hannah Arendt
Auch wußte die bekannte Philosophin
Hannah Arendt schon in den fünfziger Jahren des letzten
Jahrhunderts, dass es sich bei der Annahme, Antisemitismus sei
ausschließlich ein Phänomen der politischen Rechten, um ein
hartnäckiges Vorurteil handelt. Max Horkheimer und Theodor W. Adorno
stellten in ihrem Standardwerk „Dialetik der Aufklärung“ zum
Antisemitismus nach dem Holocaust folgendes fest: „Die Juden
sind heute die Gruppe, die praktisch wie theoretisch den
Vernichtungswillen auf sich zieht, den die falsche gesellschaftliche
Ordnung aus sich heraus produziert. Sie werden vom absolut Bösen als
das absolute Böse gebrandmarkt. So sind sie in der Tat das
auserwählte Volk. Während es der Herrschaft ökonomisch nicht mehr
bedürfte, werden die Juden als deren absolutes Objekt bestimmt, mit
dem bloß noch verfahren werden soll. Den Arbeitern, auf die es
zuletzt freilich abgesehen ist, sagt es aus guten Gründen keiner ins
Gesicht; die Neger will man dort halten, wo sie hingehören, von den
Juden aber soll die Erde gereinigt werden, und im Herzen aller
prospektiven Faschisten aller Länder findet der Ruf, sie wie
Ungeziefer zu vertilgen, Widerhall.“
Innerhalb der europäischen
Arbeiterbewegung wurde Antisemitismus immer wieder geleugnet,
verharmlost oder entschuldigt. Doch darüber hinaus wurde er und wird
noch heute als sogar konsequenter Antikapitalismus offen propagiert.
Als bekanntestes Beispiel der Vergangenheit gilt das ZK-Mitglied der
deutschen KP Ruth Fischer. Sie forderte 1923 in einer Rede: „Tretet
die Judenkapitalisten nieder, hängt sie an
die Laterne, zertrampelt sie!“
Als radikalste praktische Form eines
linken Antisemitismus gelten die stalinistischen Kampagnen gegen den
„Zionismus“ und „Kosmopolitismus“ in der Mitte des letzten
Jahrhunderts. Die von Lenin geführte Oktoberrevolution hat den
russischen Juden zahlreiche Vorteile im Vergleich zur Zarenzeit
gebracht. Doch mit Stalin kam ein Mann an die Macht in der
Sowjetunion, der bereit war Antisemitismus als politisches Mittel
einzusetzen.
Stalin wandelte sich in der Zeit von
einem taktischen zu einem überzeugten Antisemiten. Nach dem Zweiten
Weltkrieg unterstützte zwar die Sowjetunion kurzfristig das Projekt
der Gründung des Staates Israel. Doch spätestens Ende der vierziger
Jahre wurde der Antizionismus zur Staatsdoktrin und damit zu einem
Element staatlicher Ideologie und Praxis, bei dem die Regierungen der
SU und anderer Staaten des sogenannten „Ostblocks“ auf die
Gefolgschaft ihrer Bevölkerung rechnen konnten.
Die SED zum Beispiel begrüßte zwar
noch 1947 den UN-Beschluß zur Teilung Palästinas, doch gleichzeitig
wurden die Wiedergutmachungsbestrebungen gegenüber Israel
mehrheitlich abgelehnt. Gegenüber Leo Bauer begründete Walter
Ulbricht dieses Verhalten wie folgt: „Kommt gar nicht in Frage. Wir
bauen hier unseren Saat, und da die Opfer des Faschismus die
entscheidenden Träger dieses Staates sind, wäre es doch lächerlich,
wenn sie sich selbst eine Wiedergutmachung zahlen wollten. Und die
Juden? Nun, wir waren immer gegen die jüdischen Kapitalisten genauso
wie gegen die nichtjüdischen. Und wenn Hitler sie nicht enteignet
hätte, so hätten wir es nach der Machtergreifung getan.“
Über das Recht der Juden auf einen
eigenen Staat wurde innerhalb der DDR-Medien bis 1950 positiv
berichtet. Israel wurde als fortschrittliches Land betrachtet, dass
sich gegen die Aggression der von England unterstützten arabischen
Feudalcliquen zur Wehr setzen müsse. Offen israelfeindliche Artikel
erschienen erstmals im Zuge des Slànsky-Prozeß Anfang 1953. Im Laufe der Jahre entwickelten sich die
„Partei des schaffenden Volkes“ und die ihr angeschlossenen
Jugendorganisationen sowie Medien in der DDR zu den wichtigsten
Träger der sogenannten „antiimperialistischen Solidarität“
mit den weltweit unterdrückten Völker, und damit einher gehend für
antiisraelische und antizionistische Propaganda.
In der Geschichte der westdeutschen
Linken lassen sich von der Sozialdemokratie, über die Grünen und
selbstverständlich die Alternativen, feministischen Gruppierungen,
K-Gruppen, Autonomen und Antiimperialisten bis hin zu den bewaffneten
Gruppen Aussagen und Handlungen belegen, die jede Differenzierung
zwischen Antizionismus und Antisemitismus überflüssig werden
lassen.
Typische Beispiele dafür sind der
Anschlag der „Tupamaros“ auf das jüdische Gemeindehaus 1969
in Westberlin, die Lobeshymnen linker
Gruppen anläßlich der Ermordung israelischer Sportler bei der
Olympiade 1972 in München, oder – der Klassiker – die Parole in
der Hamburger Hafenstraße, die da tönte „Boykottiert ‚Israel‘!
Waren, Kibbuzim und Strände … Palästina – das Volk wird dich
befreien ... Revolution bis zum Sieg“.
Diese Parole hat alle zentrale Elemente
des linken Antizionismus in sich vereint. Die Delegitimierung des
Existenzrecht von Israel, die Ignoranz gegenüber der Verfolgung der
Juden während des Nationalsozialismus sowie die Begeisterung für
Volk und Lebensraum vorgetragen in einer revolutionären
Befreiungsrhetorik.
Antisemitismus in der Linken
manifestiert sich, wie schon weiter oben erwähnt, nicht nur im
Antizionismus. Heute, da es seit Jahrzehnten innerhalb der Linken
massive Kritik an antizionistischen Positionen gibt, muss vor allem
die Diskussion über den strukturellen Antisemitismus weiter forciert
werden. Ein wichtiger Faktor des Antisemitismus
ist die Feindschaft gegenüber der abstrakten Seite der
kapitalistischen Warenproduktion, die nur zu oft in den Juden
biologisiert wird. Am deutlichsten wurde das bei der im
Nationalsozialismus vorgenommenen Trennung in deutsches „schaffendes
Kapital“ und jüdisches „raffendes Kapital“.
Die Grundlage dieser Trennung ist die
Tendenz in fast allen Subjekten in der bürgerlichen Gesellschaft in
Arbeitsplätze schaffende Industriekapitalisten einerseits und das
scheinbar unproduktive Kapital der Zirkulationssphäre andererseits
zu unterscheiden. Gerade in der aktuellen Debatte über
die sogenannte Globalisierung finden sich zahlreiche Argumentationen,
die inhaltliche Affinitäten, und viel öfter noch strukturelle
Ähnlichkeiten zum Antisemitismus aufweisen.
Der linke Antisemitismus muß im
Zusammenhang mit einer Kritik an jeglicher linker Ideologie erörtert
werden. Der Antizionismus in den ehemaligen realsozialistischen
Ländern wird in der Regel ausschließlich als taktisches Manöver
der Staatsführung verstanden, anstatt ihn in Beziehung zur Ideologie
des Marxismus-Leninismus zu setzen. Viele Kritiker des linken
Antisemitismus haben ein funktionalistisches Antisemitismusverständnis ähnlich wie die von ihnen Kritisierten.
Wichtig zu erkennen ist, dass gerade
die allgemeinen linken Vorstellungen von Kapitalismus, Imperialismus,
von Staat, Nation und Volk sowie von Faschismus und
Nationalsozialismus sehr viel mit dem Antisemitismus in der Linken zu
tun haben. In den größten Teilen der Linken ist nämlich der
Faschismus sowie der Nationalsozialismus darauf reduziert, eine
besonders garstige, von den aggressivsten Fraktionen des
Establishment dominierte Form von Kapitalismus zu sein.
Kapitalismus wird häufig in der Linken
nicht als gesellschaftliche Totalität begriffen, sondern als eine
Addition aller Kapitalisten, denen die Klasse der Lohnabhängigen als
prinzipieller Antagonismus scheinbar unversöhnlich gegenüber steht.
„So entsteht“, schreibt Thomas Haury folgerichtig, „zwangsläufig
ein binäres und verdinglichendes, ein personalisierendes und
moralisierendes Denken, das eine Clique von bösen Herrschenden
annehmen muss, die mittels direkter Repression, Korruption durch
Sozialpolitik und gemeiner Propaganda in den Medien die Guten, die
Beherrschten, niederhalten.“
Das zu Kritisierende, das
Abzuschaffende ist dadurch – und darin besteht die fatale
Ähnlichkeit zum Antisemitismus – nicht mehr ein gesellschaftliches
Verhältnis, sondern sind Menschen, die einen Teil, eine Seite dieses
gesellschaftlichen Verhältnisses vermeintlich oder tatsächlich
repräsentieren. Doch, nicht das materielle Interesse ist das
kapitalistische Problem, sondern dessen Nichtbefriedigung.
Die Verhältnisse zu kritisieren, in
denen die Wünsche nicht erfüllt werden, ist die Aufgabe der Linken,
nicht die Suche nach Schuldigen oder der Versuch durch die Absetzung,
den Austausch oder gar die Liquidierung von Menschen den Kapitalismus
abzuschaffen.
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