Montag, 28. August 2000

Ist der Nichtraucherbund antisemitisch?

jW fragte Martina Kayser, Sprecherin des Berliner Antifaschistischen Aktionsbündnis III

Ralf Fischer / Junge Welt

RF: Der Vorsitzende des Berliner Nichtraucherbundes e.V., Werner Rottschky, hat mit seiner Forderung, Josef Garbáty jegliche öffentliche Würdigung abzusprechen, eine Welle der Entrüstung ausgelöst. Der Zigarettenfabrikant Garbáty war von den Nationalsozialisten wegen seines jüdischen Glaubens 1938 des Eigentums beraubt und 1939 ins Exil getriebenen worden. Wie bewerten Sie das Verhalten des Nichtraucherbundes?

MK: Die Forderung dieses Vereins ist ein großer Skandal. Nicht zuletzt ist die Absicht des Vereins von Antisemitismus geprägt. Während die Opfer des Nationalsozialismus dadurch verhöhnt werden, kommt es zur Beschönigung von Verbrechen der Faschisten. Die Tätigkeit Josef Garbátys als Besitzer einer berühmten Pankower Zigarettenfabrik kann das Verbrechen der Nazis an ihm und seiner Familie nicht relativieren.

Wie bewerten Sie die Begründung des Vereins, man setze damit einen »Affront gegen Nichtraucher«?

Es ist eine absolut fadenscheinige und auch vorgeschobene Begründung, die eigentlichen Gründe stecken viel tiefer. Der Nichtraucherbund handelt blind und stellt seine Probleme mit der Person Josef Garbátys auf eine völlig falsche und auch fatale Ebene. Josef Garbáty zudem in die Ecke eines profitsüchtigen, kalten Unternehmers zu stellen ist skandalös. Es ist bekannt, daß er soziale Projekte wie Arbeitsloseninitiativen unterstützte.

Nun gibt es in Pankow nicht das erste Mal Proteste gegen die öffentliche Würdigung Josef Garbátys.

Die Bezirksverordnetenversammlung hatte im September letzten Jahres den Beschluß gefaßt, die Berliner Straße in Pankow in Josef-Garbáty-Straße umzubenennen. Die Berliner Straße ist im Bezirk Pankow eine der größten Einkaufsstraßen. Als dieser Beschluß bekannt wurde, gründete sich prompt eine Ladeninitiative gegen die Umbenennung der Straße. Mit Berufung auf die Tradition und zu hohen Kosten stemmte man sich aktiv gegen die Umbenennung. Eine interessante Begründung, schien es doch nie Kostenprobleme bei Umbenennungen von Straßen gegeben zu haben, die nach Kommunisten und Widerstandkämpfern benannt waren. Als Kompromißlösung bot die Ladeninitiative an, eine von den Straßen Pankows nach Josef Garbáty zu benennen, die nur eine Ziffer als Bezeichnung besitzen. Die Initiative startete gegen die Neubenennung der Berliner Straße eine Unterschriftenkampagne, die schließlich mehrere tausend Befürworter fand. Als Vorsitzender dieser Initiative agierte ein Friseur aus der Berliner Straße, der mehrfach durch rechtsextreme Äußerungen auffiel. Insgesamt hatte die Initiative Erfolg. Die Bezirksverordnetenversammlung widerrief schließlich den Beschluß.

Wie verhielt sich die PDS?

Ein besonderes Licht fiel auf Delia Hinz (PDS), die sich im letzten Jahr um ein Abgeordnetenhausmandat bewarb. Ihr Wahlkreis umfaßt unter anderem die Berliner Straße. Nachdem sie merkte, daß sich Widerstand gegen eine Neubenennung regte, bekam sie kalte Füße und war plötzlich ebenfalls dagegen. Positiv hervorzuheben ist jedoch, daß sich von den Pankower Basisorganisationen (BO) der PDS bis zuletzt fast alle klar mehrheitlich für die Umbenennung aussprachen. Mit Ausnahme der BO in der Berliner Straße.

Wie wird das Antifaschistische Aktionsbündnis III jetzt reagieren?

Wir wollen die öffentliche Diskussion um die Würdigung Garbátys vorantreiben und verhindern, daß sich die Bezirksverordnetenversammlung als Reaktion auf den Vorstoß des Nichtraucherbundes erneut dagegen ausspricht. Im Januar 2001 werden wir erneut eine Antifaschistische Aktionswoche veranstalten, um auch das Thema Republikaner und deren Bundeszentrale in Pankow wieder in das Interesse der Öffentlichkeit zu rücken. Widerstand ist also weiterhin notwendig.

NPD konnte unbehelligt durch Halle ziehen

2 000 Polizisten schützten von Gerichten genehmigte Demonstration der Neonazis

Ralf Fischer / Junge Welt

Ein versprengtes Häuflein Neonazis marschierte am Samstag mittag durch die Innenstadt von Halle. Während in Jena eine Demonstration der rechtsextremen »Interessengemeinschaft gegen Polizei- und Staatswillkür« in letzter Instanz verboten wurde, genehmigte das Oberverwaltungsgericht Halle die von Steffen Hupka, NPD-Chef in Sachsen-Anhalt, angemeldete Demonstration. Gut 50 Anhänger der NPD zogen unter dem Motto »Argumente statt Verbote - gegen das drohende Parteiverbot der NPD« durch die Straßen Halles. Zum Schutz der Neonazis wurden 2 000 Polizisten aus mehreren Bundesländern eingesetzt. Halles Oberbürgermeisterin Ingrid Häußler zeigte kein Verständnis für die Gerichtsentscheidung. Für sie sei es jedoch beruhigend, daß statt der erwarteten 500 deutlich weniger Demonstranten durch Halle gezogen seien.

Zu Gegenaktivitäten hatten die PDS, der DGB sowie der StudentInnerat der Martin-Luther-Universität (MLU) aufgerufen. Über 400 Menschen versammelten sich am Vormittag, um gegen das Auftreten der Rechtsextremen zu demonstrieren. Mehrere Versuche der Antifaschistinnen und Antifaschisten, den Demonstrationszug der Neonazis zu stoppen oder zu blockieren, wurden von der Polizei gewaltsam unterbunden. Unter Polizeischutz wurde am frühen Nachmittag die Versammlung der NPD-Anhänger aufgelöst.

Die AG Antifaschismus-Antirassismus im StudentInnenrat der Martin-Luther-Universität kritisiert aufs schärfste das Vorgehen der Stadt, von Parteien und der Polizei im Vorfeld des Naziaufmarsches. Obwohl die Nazipläne bekannt waren, hatte man versucht, das Thema totzuschweigen. Nur durch die Arbeit antifaschistischer Gruppen in der Region wurde das Vorhaben der Nazis öffentlich gemacht. Wegen dieser offensichtlichen Ignoranz fordern aktive Antifas, Konsequenzen für die politisch Verantwortlichen.

 Auch in Berlin-Moabit wurde am Samstag demonstiert: Hier richtete sich der Protest gegen das Markthallenrestaurant in der Arminiusstraße. Nachdem dort mehrmals die NPD ihre Veranstaltungen ungestört ausrichten konnte, will nun die Antifaschistische Initiative Moabit diesem Treiben ein Ende machen. Über 60 Antifas versammelten sich am Vormittag vor der Markthalle. Mit Redebeiträgen und Flugblättern wurde versucht, auch Bürger über das braune Treiben im Restaurant zu informieren. »Nur durch öffentliche Aktionen dieser Art kann mehr Druck auf den Besitzer der Markthalle ausgeübt werden«, so ein Sprecher der Antifaschistischen Initiative Moabit gegenüber jW.

Donnerstag, 17. August 2000

»Blood & Honour« in Halle

Sympathisanten und Geld für Neonazis durch Musik. Antifaschisten organisieren Widerstand

Ralf Fischer / Junge Welt

Eine zunehmende Rolle im Bereich des Rechtsextremismus spielt die Musik. Eine Reihe von neofaschistischen Organisationen wie »Blood & Honour« haben sich auf den Vertrieb von Tonträgern und die Organisierung von Konzerten spezialisiert. In Verfassungsschutzkreisen wird damit gerechnet, daß in der Bundesrepublik derzeit mindestens 100 neofaschistische Bands existieren. Die Musik dient als Transportmittel für die rassistische und faschistische Ideologie und als Rekrutierungsfeld für junge Sympathisanten. Der Verkaufserfolg beschränkt sich längst nicht mehr auf »Nazi- Skin-Musik«. Auch in den Bereichen Black Metal und Dark Wave hat sich Musik mit faschistischen Texten etabliert. Die Musikszene dient allerdings nicht nur als Rekrutierungsfeld, sondern auch zur Finanzierung ihrer Aktivitäten. Herstellung und Verkauf von Tonträgern und Zubehör ist zu einem Millionengeschäft geworden.

In Sachsen-Anhalt kommt der Verfassungsschutz zu dem Schluß, daß die »Blood & Honour«-Sektion in ihrem Bundesland »mit circa 40 Mitgliedern zu den wichtigeren >B&H<-Sektionen in Deutschland« gehört. 1999 fand in Sachsen-Anhalt, in Garitz, mit 2 000 Besuchern eines der größten Nazikonzerte der letzten Jahre statt. Einer der treibenden Kräfte in Sachsen-Anhalt ist Sven Liebich. Er trug mit dazu bei, daß es zu einer Neueröffnung des Neonaziladens »The Last Resort« in Halle kam. Mittlerweile hat sich der Laden zur Schnittstelle für die rechtsextreme Szene von Halle und Umgebung entwickelt.

Offizielle Betreiberin des Ladens ist Sandra Liebich, die Schwester von Sven Liebich. Antifaschisten aus Halle gehen davon aus, daß er sich aktiv am Aufbau des Ladens beteiligt. In Leipzig betreibt er zusammen mit anderen »Kameraden« zudem den Laden »Midgard«. Bei den Ermittlungsbehörden ist Sven Liebich kein unbeschriebenes Blatt: Bis 1999 war er Betreiber des »Ultima Tonträger Vertriebes«. Am 3. November 1998 waren »Ultima TV«, sowie sechs andere Objekte in Halle, im Saalkreis, in Leipzig und in Bamberg Ziel einer polizeilichen Razzia, bei der 2 700 CDs, 100 Videos, Hakenkreuzfahnen und eine Siebdruckmaschine beschlagnahmt wurden. In Kürze steht der Prozeß gegen die Organisatoren des Naziversandes an.

Nach Informationen von Antifaschistinnen und Antifaschisten aus Halle wird auch die rechtsextreme Zeitung Nationaler Beobachter über den Laden in Halle vertrieben. Die Zeitschrift hatte über im Internet verbreitete Gewaltaufrufe gegen Linke für Aufsehen gesorgt und ist nach Selbstdefinition das Sprachorgan des »Nationalen Widerstandes Halle«. Langsam beginnt sich der Widerstand gegen diesen Vernetzungspunkt der Neonaziszene zu organisieren.

Montag, 14. August 2000

Sturm im Wasserglas

Politik ließ sich mit Verbot des »Hamburger Sturm« viel Zeit

Ralf Fischer / Junge Welt

Die Hamburger Innenbehörde hat am Freitag vormittag vier Mitgliedern der neonazistischen Organisation »Hamburger Sturm« die Verbotsverfügung zugestellt. Der »Hamburger Sturm« ist seit Jahren einer der Organisatoren des sogenannten »Nationalen Widerstandes« und des bundesweiten Netzwerkes der faschistischen Kameradschaften. Wie bei anderen Kameradschaften handelt es sich hier um einen Zusammenschluß ohne Eintrag im Vereinsregister, Mitgliedsausweise oder Vereinslokal. So wollen sich die Kameradschaften nach Einschätzung von Experten der Überwachung durch Polizei und Verfassungsschutz entziehen.

Über das Aktionsbündnis Norddeutschland forcierten die Hamburger Aktivisten den Aufbau rechter Strukturen in Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Mecklenburg- Vorpommern. Auch beim Aufbau des »Bündnis für Rechts in Lübeck« halfen sie mit. Zum »Hamburger Sturm« rechnen die Behörden etwa 20 Mitglieder um Anführer Torben Klebe. Thomas Wulff, einer der bekanntesten Akteure der Kameradschaftsszene, war genauso im Hamburger Sturm organisiert wie der inoffizielle Nachfolger Michael Kühnens, Christian Worch.

Parallel zur Übergabe der Verbotsverfügung wurden die Wohnungen der vier Männer in Hamburg durchsucht. Dabei stießen die Ermittlungsbeamten auf umfangreiches Propagandamaterial, auch Plakate und Aufkleber für die diesjährige Rudolf-Heß-Kampagne wurden gefunden. Das mit sofortiger Wirkung geltende Verbot der Organisation begründet der Hamburger Innensenator Hartmuth Wrocklage (SPD) unter anderem mit einem vor über einem Jahr in der gleichnamigen Zeitung des »Hamburger Sturms« veröffentlichten Interview mit Mitgliedern der »National- Revolutionären Zellen«. In diesem wird zum »Krieg gegen das System« aufgerufen. Als im Mai 1999 die »National- Revolutionären Zellen« mit diesem Interview an die Öffentlichkeit traten, sahen die Behörden keinen Anlaß zum Handeln. Auch nach dem Versuch einiger Personen aus dem Umfeld der »National-Revolutionären Zellen«, im September letzten Jahres einen linken Treffpunkt in Berlin-Prenzlauer Berg mit Brandbomben anzugreifen, blieben die Behörden in Berlin und Hamburg untätig.

Wie Wrocklage sehen sich viele Politiker von CDU bis zu den Grünen offensichtlich erst durch die Sommerlochdebatte zum Handeln genötigt. Dabei beschränken sich CDU/CSU- Politiker allerdings auf die Forderung des Verbots rechter Organisationen, rot-grüne Menschenrechtsrethoriker rufen derweil wieder und wieder zu Zivilcourage auf. In den Reihen der Regierungsparteien wächst die Zustimmung zum Verbot der NPD und anderer rechter Parteien. Doch nur wenige Intellektuelle mischen sich in die Debatte ein. Immerhin betonte Jürgen Habermas letzte Woche in einem Interview, daß ein NPD-Verbot »ein auf das Sicherheitsbedürfnis der Bürger abzielender autoritärer Reflex« wäre. Das ist auch die Stoßrichtung der meisten Verbotsbefürworter: NPD verbieten und Schluß mit der Debatte über Rechtsextremismus und seine Ursachen. Sie befürchten, daß in einer Diskussion über Ursachen auch staatlicher Rassismus und rassistische Gedanken und Handlungen vieler Politiker der »neuen Mitte« zum Thema werden könnten.

Eine Analyse der Wurzeln von Gewalt und Ausländerfeindlichkeit aber ist notwendig. In einer Studie der Freien Universität Berlin wurde festgestellt, daß zwölf Prozent der Berliner und 21 Prozent der Brandenburger rechtsextrem eingestellt sind. Zwischen dem Ost- und Westteil Berlins verzeichneten die Forscher kaum Unterschiede. Doch das Interessanteste an der Studie ist, daß 17 Prozent der Menschen mit rechtsextremistischer Einstellung CDU und 31 Prozent SPD wählen würden. Auch die PDS bekommt noch 9,5 Prozent dieser Wählerstimmen. Tatsachen, die mit einem NPD-Verbot nicht vom Tisch zu wischen sind.

Freitag, 4. August 2000

Weiter keine heiße Spur

PDS unterstützt Aufruf zur Demonstration in Düsseldorf am Sonnabend

Ralf Fischer / Junge Welt

Dem Aufruf des Antifa-Koordinationskreises Düsseldorf für eine Großdemonstration am Sonnabend haben sich am Donnerstag auch prominente PDS-Politiker wie Lothar Bisky, André Brie und Diether Dehm angeschlossen. In dem Aufruf heißt es unter anderem: »Am 27. Juli explodierte am Düsseldorfer S-Bahnhof Wehrhahn eine Handgranate. Die zehn Verletzten sind durchweg Aussiedler aus der ehemaligen Sowjetunion, sechs davon jüdischen Glaubens.«

Ein neonazistischer Hintergrund drängt sich angesichts des Tathergangs auf. Die neonazistische Szene wurde in Düsseldorf jahrelang von Politik und Behörden verharmlost und sogar totgeschwiegen. Die Landeshauptstadt Düsseldorf versteht sich als weltoffene und tolerante Stadt, in der es nach Meinung von Politik und Polizei keine nennenswerten neonazistischen Umtriebe gäbe. Die Fakten sprechen eine andere Sprache. So betreibt beispielsweise die sogenannte »Kameradschaft Düsseldorf«, eine Nachfolgeorganisation der verbotenen terroristischen FAP, das »Nationale Infotelefon Rheinladen«, eine Kontakt- und Koordinationsstelle mit bundesweiter Bedeutung für die militante Neonazi-Szene. Ein führendes Mitglied der »Kameradschaft« bezeichnete Juden als »Deutschlands größte Feinde« und rief zu Jubelfeiern anläßlich des Todes des Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Ignatz Bubis, auf.

Verwoben ist die militante Neonaziszene auch in Düsseldorf mit der Rechtsrock-Szene, die in dem Plattenladen »Powerstation« ihren Treffpunkt hat. Die Täter, die am 3. Juli 2000 einen Griechen und einen Afghanen an einem S-Bahnhof angriffen und eines ihre Opfer auf die Gleise stießen, kamen gerade von einer Probe ihrer Band »Reichswehr«.

In vielen Stadtteilen agieren neonazistische Jugendcliquen, die nazistisches Propagandamaterial verbreiten. Auch im Düsseldorfer Rathaus sind Neonazis vertreten. So feierte der bei der letzten Kommunalwahl erfolgreiche Ratsherr Jürgen Krüger von den Republikanern seinen Einzug in das Stadtparlament lautstark mit seinen Freunden von der »Kameradschaft Düsseldorf«.

Der am Mittwoch abend von der Düsseldorfer Polizei vorläufig festgenommene 34jährige Militariahändler wurde nach einem achtstündigen Verhör am Donnerstag morgen wieder auf freien Fuß gesetzt. »Es war keine heiße Spur«, sagte der Düsseldorfer Staatsanwalt Johannes Mocken. Der ehemalige Bundeswehrsoldat betreibt in der Nähe des Tatorts ein Geschäft mit Militärartikeln, das unter Szenebeobachtern als ein Anlaufpunkt der Neonazis gilt.