Freitag, 21. November 2003

Der Neonazis neuer Style?

Die extreme Rechte in Deutschland differenziert sich kulturell und politisch aus

Ralf Fischer / Analyse & Kritik

Der Großteil der extremen Rechten in Deutschland organisiert sich schon seit längerem nicht mehr in klassischen Parteistrukturen oder Organisationen. Besonders die letzten Jahre waren von einem allgemeinen Einbruch der extrem rechten Parteien, wie der Republikaner und der DVU, geprägt. Lediglich der NPD gelang es vor allem im Ostteil der Republik, ihr Image als "Stammtisch"-Partei abzulegen und jugendliche Neonazis einzubinden. Die Masse der rechtsorientierten Jugendlichen fühlt sich eher zu rechts-militanten Strukturen hingezogen als zu starren Parteiformen oder völkischen Vereinen. Aus diesem Grund stellt heute die parteiunabhängig organisierte Neonazi-Szene den größten Einfluss innerhalb der extremen Rechten.

Die Neonazi-Szene organisiert sich in zweck-orientierten Kleingruppen (Kameradschaften, Bündnis Rechts, Braunes Kreuz, Naziläden, Medienprojekte), über zentrale Koordinationsstellen (Aktionsbüros, Nationale Info-Telefone) regional, bundesweit und natürlich auch international. Die Vernetzung innerhalb dieser sich unabhängig verstehenden Zusammenhänge ist häufig organisch gewachsen, es bestehen zahlreiche informelle Kontakte zwischen den einzelnen Kadern. Bei der Herausbildung organisierter Strukturen innerhalb der parteiunabhängigen Neonazi-Szene spielen die verschiedenen sozio-kulturellen Netzwerke eine wichtige Rolle. Diese Netzwerke erfüllen die Funktion kommunikativer und interaktiver Bezugsgruppen innerhalb des so genannten "Nationalen Widerstandes".

Die Partei ist out - rechte Subkultur in


Die Zusammenarbeit läuft entweder projektgebunden oder über räumlich orientierte Strukturen. Nach außen hin sind es Bekleidung, Verhaltensweisen, Musik, Tattoos sowie die oft von weiten Teilen der Gesellschaft kaum entschlüsselbaren Codes, die wahrgenommen werden. Einerseits dienen sie ihren Mitgliedern der Abgrenzung, andererseits werden durch die gemeinsame Kultur nach innen Gruppenzugehörigkeit und Einstellungen vermittelt. Mit der Macht, die sie in manchen Regionen ausüben und ausstrahlen, entwickelten sich rechte Cliquen zum bestimmenden Faktor im Sozialisationsprozess vieler Jugendlicher und junger Erwachsener. Neben der "Anti-Antifa-Kampagne" stehen "Anti-Globalisierungs-Aktionen", die Thematisierung des "Nahost-Konfliktes" und seiner Rezeption in Deutschland auf dem derzeitigen Programm der militanten Neonazis. Es ist ihnen gelungen gerade die Verkürzung auf bestimmte politische Teilbereiche wie die Migrationspolitik oder Innere Sicherheit aufzubrechen. Kampagnen zum Thema "Umweltschutz ist Heimatschutz", die Teilnahme an "Anti-Castor-Protesten" sowie die verstärkte Arbeit an "nationalen" Schülerzeitungsprojekten sind nur einige deutliche Beispiele für eine Veränderung bzw. Differenzierung der inhaltliche Ausrichtung.

Musik bietet der extremen Rechten die Chance der methodischen Indoktrination, besser als dies jemals in klassischen politischen Veranstaltungen gemacht werden könnte. Besonders junge Menschen wurden und werden über die Anziehungskraft des "Rechtsrock" politisiert. Möglich ist dies vor allem dadurch, dass der "Rechtsrock" sich erfolgreich das Image einer rebellierenden Musikform zu eigen gemacht hat. Unter dem sehr geläufigen Begriff "Rechtsrock" werden unterschiedliche Spielarten der Rockmusik zusammengefasst, wie zum Beispiel Skinhead-Musik, Dark Wave, Neofolk, Punk, Hardcore und Heavy Metal. Wichtig ist dabei, zu beachten, dass "Rechtsrock" nicht immer von "rechten" Skinheads gemacht wird und dass er in vielen Musikstilen anzutreffen ist. "Rechtsrock" sollte deswegen als ein Sammelbegriff für verschiedene Musikstile verwandt werden, deren verbindendes Element rassistische, nationalistische, antisemitische und neonazistische Texte sind. Obwohl der allgemeine gesellschaftliche Rechtsruck seit Mitte der 1980er Jahre oft zur Analyse und als Erklärungsmuster für die zunehmende Verbreitung rechter bis neonazistischer Inhalte mit herangezogen wird, unterbleibt es jedoch, seine genaue Tragweite zu analysieren. Gerade die Entwicklung des rechten "Life-Style" wird dabei häufig unterschätzt.

Mit der Entwicklung des "Rechtsrock" in all seinen Facetten und mit den neonazistischen Skinheads als dessen federführenden Protagonisten ging mehr und mehr die Unterscheidung von dem verloren, wer oder was Skinhead ist und woher die Musik überhaupt kommt. Die Bekleidung der Skinhead-Subkultur war geprägt durch einen Arbeiter- und Männlichkeitskult. Mit diesem Stil verbinden sich Bekleidungsmarken wie z.B. die Boxerbekleidung von Lonsdale oder Fred Perry. Die alten Skinheadkultmarken wurden über die Jahre zu den "In-Marken" vieler Jugendlicher, auch fernab der extremen Rechten. Im Laufe der Zeit vermischte sich dieser Stil immer mehr mit den Kultmarken der Hooligans, New Balance, Hooligan, Troublemaker oder Pit Bull.

Zur stilistischen Differenzierung der Rechts-Musik in Richtung völkische Folklore haben unter anderem die rechtsextremen Liedermacher Frank Rennicke, Jörg Hähnel oder das weibliche Gegenstück Annett Moeck beigetragen. Aber auch die musikalische Orientierung am Hardcore, bzw. "Hatecore", wie ihn beispielsweise die neonazistische US-amerikanische Band Blue Eyed Devil spielt, und der Bezug auf heidnische Motive erweiterten die musikalische und ästhetische Palette des "Rechtsrock" enorm. Die Bands des "NS-Black-Metal" lassen in ihren Texten auch eine ungeahnte Deutlichkeit erkennen. So singt die sächsische Band Magog's in ihrem Lied "Feuer der Dunkelheit": "Wir marschieren in eine neue Zeit, die uns von Juden und Christen befreit." Obwohl solche heidnischen Motive durchaus auch in der "schwarzen Szene" des Dark-Wave präsent sind, werden dort solche harschen Töne nicht angeschlagen. Entsprechend dem Gestus der Szene schneiden rechte Gruppen im musikalischen Stil des Neo-Folk eher mystische und klassisch völkische Themen an. Heute ähnelt das Auftreten der organisierten Neonazis einer Mischung aus den unterschiedlichen Stilen der Hatecore-, Skinhead-, Gang- und Rockerszene. Egal ob in der "Rockerszene", innerhalb der "Dark-Wave-Szene" oder in esoterischen Gruppen, eine Vermischung mit ästhetischen Vorstellungen, Stilelementen und Symbole der extremen Rechten setzte sich in den 1990er Jahren in allen diesen Subkulturen fest. Auch die lange Zeit als "kosmopolitisch" bekannte Hip-Hop-Szene muss sich mit den ersten Unterwanderungsversuchen von Rechts auseinander setzen. "HipHop wird schneller weiß, als man denkt", verkündete das rechtsextreme Hochglanzmagazin RockNord schon voller Erwartung. In Internetforen äußern sich Neonazis mit den Worten "Also, ich meine HipHop ist nicht wesentlicher weniger undeutsch als Rock".

Durch die Vermischung mit anderen Modemarken des gesellschaftlichen Mainstream und die massenhafte Verbreitung der als typisch rechtsextrem bezeichneten Kleidungsmarken wurden die alten "Kultmarken" für die organisierte Neonazi-Szene immer uninteressanter. So haben sie auch die Funktion als eindeutiges Erkennungsmerkmal nach innen und außen mehr und mehr verloren. Innerhalb der "Bewegung" vermehrte sich der Unmut gegen die kommerziellen Bekleidungsmarken. In einem Text auf der Internetseite des rechtsextremen Fanzine für Frauen - Triskele wird beispielsweise Fred Perry vorgeworfen, absichtlich "dunkelhäutige" Verkäuferinnen einzustellen, und auch New Balance sei ab sofort zu boykottieren, denn die Marke ist der "Laufschuh Nummer 1 in Israel".

Mit der Vergrößerung des "Zielpublikums" veränderten sich natürlich auch die Logistik und die Vertriebstrukturen innerhalb der "Rechtsrock"-Szene. Organisierte Neonazi-Kader bauten sich als Produzent von "Rechtsrock-Musik" oder Herausgeber eines Kataloges eine Existenz auf. Denn "Rechtsrock" ist seit Jahren ein lukrativer Markt, auf dem Millionen umgesetzt werden. Dementsprechend ist die Gründung von eigenen Versänden, Bekleidungsmarken und Labels in den letzten Jahren massiv vorangetrieben worden.

Unsichtbare, rechte Styling-Codes


Trotz unterschiedlicher Rezeption rechter Ideologien innerhalb der differierenden Subkulturen dominieren dabei immer die gleichen Themen. "Macht", "Stärke" und die klare Aufteilung der Geschlechterrollen sind die wichtigsten Anziehungspunkte innerhalb der unterschiedlichsten Subkulturen. Aber auch die Ästhetik spielt dabei eine wesentliche Rolle. Für rechtsorientierte Jugendliche ist nicht die Musikrichtung entscheidend, sondern was Musik, Text und Auftritt an Inhalt und Mystik transportieren. Antidemokratische, antiemanzipatorische sowie antimoderne Motive sind dabei die wichtigsten inhaltlichen Wurzeln. Inszeniert wird nicht nur ein antibürgerlicher Gestus, sondern darüber hinaus eine faschistische Ästhetik. Als die populärste Mischung aus germanischer Mythologie und romantisch angehauchter Musik gilt in den aktuellen Veröffentlichungen der extremen Rechten Neofolk. Entscheidend für den Erfolg ist dabei nicht, ob politische Botschaften lauthals verbreitet werden, sondern ob Mystik und Authentizität für rechtsorientierte Jugendliche erfolgreich inszeniert werden.

Die Erkenntnis, dass die Rekrutierung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen in die organisierte Neonazi-Szene hauptsächlich mittels kultureller und sozialer Einbindungen funktioniert, ist nicht neu. Die bisherige Konsequenz der antifaschistischen Bewegung war - neben der Analyse - der Versuch, die unterschiedlichen sozio-kulturellen Angebote der extremen Rechten innerhalb der Gesellschaft zu isolieren. Vor Ort wurde dies von der organisierten Antifa und der aufgeschreckten Zivilgesellschaft durch Verhinderungsaktionen und lokale Bündnisarbeit umgesetzt. Dabei wurde hauptsächlich das Augenmerk auf die Verhinderung der inhaltlichen Vermittlung rechtsextremer ldeologeme gerichtet. Zu selten wurde versucht, über offensive Kampagnen wenigstens den Zusammenhang zwischen Ästhetik und Inhalt zu durchleuchten und eigene attraktive Lebensvorstellungen und Jugendstile zu fördern. Immer wieder wurden allein die von der jeweiligen Band vorgetragenen Texte skandalisiert, seltener ihr Auftreten und so gut wie gar nicht, wenn sie unbekannte Zeremonien, Attitüden, Signale oder Codes verwendeten. So konnten sich immer wieder gerade OI-Bands mit dem sicheren Verweis, ihre Texte seien nicht "antisemitisch, rassistisch, nationalistisch oder sexistisch" der inhaltlichen Auseinandersetzung entziehen.

Genau hier muss eine linke antifaschistische Kritik ansetzen. Zu wenig Gewicht wurde auf die Funktion der etablierten Umgangsformen, Codes und der Kleidung bei der Formierung der rechtsextremen Netzwerke gelegt. Politisierungsprozesse bei Jugendlichen laufen eben nicht über massiv präsentierte Inhalte. Zuerst müssen Emotionen geweckt werden, um überhaupt die jeweiligen Inhalte vermitteln zu können. Damit sind bestehende Lebensgefühle, die vorhergegangene Sozialisation und der Zustand der Psyche der Anfang einer jeden Politisierung. Er ist offensichtlich, dass ein verhindertes Konzert zwar löblich ist, aber nur minimal zur Stärkung linker Alternativen beiträgt.

Antifaschistische Gegenstrategien


Gerade die stilistische Verbreiterung und Ausdifferenzierung rechter Jugendkulturen bergen die enorme Gefahr der weiteren Bekanntmachung rechtsextremer Ideologeme, ohne dass die Gegnerlnnen überhaupt in der Lage sind, diese als solche zu erkennen. Eine Gefahr der kulturellen Subversion basiert auf ihrer Vielfältigkeit und ihrer Beliebigkeit. Wenn die "rechten Kulturkämpfer" innerhalb der jeweiligen Szene unterwegs sind, hilft auch keine Kampagne "Für Toleranz und Völkerfreundschaft" mehr. Diese wird auch schon von weniger geschulten Neonazis leicht inhaltlich auseinander genommen und natürlich zu ihren Gunsten ausgenutzt. Keine Toleranz gegenüber den "lntoleranten" ist die beste Abwehr!

Der Kampf um kulturelle Hegemonie wird nicht innerhalb der Jugendszene oder der Subkultur gewonnen. Er muss von Seiten der politischen Linken in allen Teilen der Gesellschaft offensiv geführt werden, damit auch in jeder Sub- oder Mainstreamkultur. Die überall erkennbaren Tendenzen rechter Kulturpolitik stehen zwanghaft im Einklang mit den Prozessen innerhalb der vorherrschenden Dominanz und damit im Kontext der gesellschaftlichen Verhältnisse.