Donnerstag, 29. Juni 2000

Gedenken an Falco L.

Bündnis mobilisiert zur Antifa-Demo für ermordeten Antifaschisten in Eberswalde

Ralf Fischer / Junge Welt

Zum Gedenken an den Antifaschisten Falco L., der am 31. Mai von dem stadtbekannten Neonazi Mike Bether vor ein fahrendes Taxi gestoßen wurde und wenig später seinen Verletzungen erlag, findet am 2. Juli in Eberswalde eine Demonstration statt. Auch das rechtsextreme »Nationale und Soziale Aktionsbündnis« hat für diesen Tag für die gleiche Zeit und nur wenige Meter entfernt einen Aufmarsch angemeldet. Verantwortlich zeichnet Gordon Reinholz. Er und der »Kameradschaftsbund Barnim« agitieren schon seit Jahren in Eberswalde und Umgebung.

Reinholz wurde erst vor kurzem zum Bundesvorstandsbeisitzer der Jungen Nationaldemokraten (JN) gewählt. Aktiv ist er auch in der bundesweiten Anti- Antifa- Struktur. Seine Wohnung wurde im Rahmen einer länderübergreifenden Razzia gegen Neonazis Anfang dieses Jahres durchsucht. Das »Nationale Aktionsbündnis Mitteldeutschland« wurde in diesem Jahr vor allem bei der Mobilisierung zum Gedenken an Horst Wessel aktiv, auch bei den Aufmärschen in Berlin ist das »Kameradschaftsbündnis« in der ersten Reihe marschiert. Das Konzept dieses Bündnisses ist eine Kopie des seit längerem aktiven »Nationalen und Sozialen Aktionsbündnis Norddeutschland«. Die bekannten Hamburger Neonazis Christian Worch und Thomas Wulff schufen das Bündnis als Zusammenschluß »freier Kameradschaften«, um mehr Druck von rechts auf die NPD ausüben zu können und eigene »unabhängige« Strukturen zu schaffen. In diesen Bündnissen sammeln sich militante Neonazis bis hin zu Funktionären der Rechtsparteien.

Die Polizei will die Neonazidemonstration verbieten, doch sie verweist auf die Gerichte als letzte Entscheidungsinstanz. Die Antifaschisten vor Ort rechnen mit einem großen Polizeiaufgebot und massiven Vorkontrollen, egal ob der Neonaziaufmarsch verboten wird oder nicht. Das antifaschistische Bündnis in Eberswalde ruft in seiner Presseerklärung dazu auf, »daß Mensch auch ohne Gewalt dem rechten Konsens entschieden entgegentreten kann«.

Auch die stark engagierte Jugendinitiative Kontroverse will »unbedingt ein gewaltloses Zeichen gegen den rechten Haß in unserer Umgebung setzen«. Bei der ersten Demonstration gegen den Mord an Falco L. gab es anschließend Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und der Polizei.

Donnerstag, 22. Juni 2000

Demo in Eberswalde

Übergriffe von Neonazis halten an. Antifaschistische Demonstration am 2. Juli

Ralf Fischer / Junge Welt

Am Pfingstwochenende wurden gegen zwei Neonazis, die einen Jugendtreff der linken Szene in Eberswalde demoliert hatten, Haftbefehle vollstreckt. Ausgangspunkt für die Zerstörungen am linken Treff »Rockbahnhof« war nach Aussagen eines 17jährigen Tatverdächtigen eine Wette, ob man sich traue, Linke zu provozieren. Aus Frust, am »Rockbahnhof« keine Linken getroffen zu haben, habe man Jalousien und Eingangstür beschädigt.

Nachdem am 31. Mai in Eberswalde der 22jährige Falco L. von einem Rechtsradikalen ermordet worden war, gab es immer wieder gewalttätige Auseinandersetzungen. Falco L. starb an einem Lungenriß, nachdem er vor ein fahrendes Taxi gestoßen worden war. Vier Tage danach fand eine Antifademonstration mit über 500 Teilnehmerinnen und Teilnehmern statt. Kurz nach der Kundgebung am Tatort erfuhren die Demonstranten, daß sich im nahegelegenen Neubaugebiet provokativ Rechte versammelten. Daraufhin löste sich ein Teil der Antifaschisten vom Zug und geriet wenig später in Auseinandersetzungen mit Polizei und Bundesgrenzschutz. An einem von Rechten dominierten Jugendklub gingen Scheiben zu Bruch. Eine Woche später wurde ein Brandanschlag auf die Bushaltestelle, an der Falco starb, verübt. Die mit Blumen und Kerzen geschmückte Bushaltestelle wurde verwüstet. Auch der evangelische Jugendkeller, in dem sich linke Jugendliche treffen, wird immer wieder Opfer von rechten Angriffen.

Der Druck auf Antifaschistinnen und Antifaschisten in Eberswalde wird immer größer. Einerseits verüben Rechte immer wieder Übergriffe auf Linke und linke Projekte, andererseits versuchen Stadtverwaltung und Polizei den Mord an Falco L. zu entpolitisieren und den Widerstand dagegen zu kriminalisieren. Die Vertuschung des politischen Hintergrundes des Mordes und die Kriminalisierung von Antifaschisten sollen auch auf der Antifademonstration am 2. Juli thematisiert werden. Unter dem Motto »Kein Vergeben - Kein Vergessen« soll Falco und allen anderen Opfern von Neonazis gedacht werden.

Montag, 19. Juni 2000

Offensiv gegen Rechts

Nazis marschierten im mehreren Städten. Antifaschisten hielten dagegen

Ralf Fischer & Anke Fuchs / Junge Welt

Am Sonnabend marschierten in mehreren ostdeutschen Städten und in Berlin mehr als 900 Neonazis. In Magdeburg sammelten sich rund 250 NPD-Anhänger mit schwarz-weiß- roten Fahnen und skandierten »Hier marschiert der nationale Widerstand«. In Görlitz kamen rund 300 und in Königs Wusterhausen bei Berlin knapp 250 Neonazis zu Kundgebungen zusammen. In Berlin versammelten sich zudem etwa 30 Anhänger der Republikaner am Brandenburger Tor mit einem Transparent »SED/PDS - Die Mörder sind unter uns«. Im brandenburgischen Milmersdorf löste die Polizei am Sonnabend eine als Party getarnte Zusammenkunft von rund 60 Neofaschisten aus Templin, Schwedt und Angermünde auf. An allen anderen Orten schützten massive Polizeiaufgebote die Neonazis und sorgten dafür, daß es zu keinen Zusammenstößen mit Antifaschistinnen und Antifaschisten kommen konnte. Denn diese waren zahlreich auf den Straßen. Überall, wo sich Neonazis versammelten, standen ihnen Gegendemonstranten gegenüber, aber auch in Dessau, Leipzig und Chemnitz demonstrierten Antifaschistinnen und Antifaschisten gegen neofaschistische Gewalt.

In Dessau gedachten am Freitag abend über 2 000 Menschen des ermordeten Alberto Adriano, der am Pfingstwochenende von drei Rechtsextremisten im Dessauer Stadtpark zusammengeschlagen worden war und drei Tage später starb. Zahlreiche Politiker hatten nach dem Mord an dem Mocambiquaner zu mehr Zivilcourage aufgerufen. So warnte die Ausländerbeauftragte der Bundesregierung Marieluise Beck: »Wenn der Geist der Springerstiefel Oberhand gewinnt, trifft es heute den Schwarzen, morgen den Homosexuellen und übermorgen den Liberalen«. An der Spitze des Trauerzugs lief Ministerpräsident Reinhard Höppner mit. Alberto Adriano sei der erste ermordete Ausländer in Sachsen-Anhalt, sagte der SPD-Politiker. »Aber bei uns wurden auch schon zwei junge Punks erschlagen«, erinnerte er an Torsten Lamprecht und Frank Böttcher, die 1992 beziehungsweise 1997 von Skinheads brutal ermordet worden waren. Auf einer nach der offiziellen Trauerkundgebung stattfindenden Spontandemonstration autonomer Antifaschisten wurde die Wut über den Mord, aber auch über die unerträgliche Heuchelei der Politiker deutlich, für deren antirassistische Bekundungen es erst eines weiteren Mordes bedurft hatte. Die 400 Antifaschisten wiesen in Sprechchören und Redebeiträgen darauf hin, daß dieser Staat und seine Politiker Mitverantwortung für den alltäglichen Rassismus tragen.

Die Demonstration am Sonnabend nachmittag in Leipzig- Grünau setzte ein offensives Zeichen gegen die rechtsextremen Strukturen und die rechte Subkultur im Stadtbezirk. Bundesweit bekannt geworden war Grünau durch einen Jugendtreff, der von neofaschistischen Kadern zum Ausbau ihrer Strukturen genutzt werden konnte. Das Kirschberghaus, so hieß der Jugendtreff, war zwar zunächst wegen massiver Proteste geschlossen worden, konnte aber einige Monate später mit neuem Konzept wiedereröffnet werden. Selbst staatliche Stellen geben zu, daß der Stadtbezirk weiterhin von Neofaschisten geprägt wird. Sämtliche Jugendclubs sind von Neofaschisten und deren Umfeld okkupiert, Übergriffe auf andersaussehende und andersdenkende Menschen sind keine Seltenheit. Gegen diese Entwicklung stellt sich die Grünauer Antifa-Gruppe. Die Demonstration am Sonnabend war der Höhepunkt ihrer Kampagne für ein alternatives Jugendzentrum in Grünau und gegen das Schweigen eines Großteils der Bevölkerung zu neofaschistischen Aktivitäten und Übergriffen. Neben antifaschistischen Gruppen gehörte auch die örtliche PDS zu den Aufrufern. In einer gemeinsamen Erklärung heißt es: »Wir wollen nicht etwa einen Stadtteil als braunen Fleck auf der Landkarte stigmatisieren, sondern zeigen, daß Zivilcourage und antifaschistischer Widerstand den Neonazis keine Chance einräumen werden.«

Donnerstag, 8. Juni 2000

Sammelpunkt rechter Aktivitäten

Königs Wusterhausen: Antifa-Bündnis kündigt für 17. Juni Gegenoffensive an

Ralf Fischer / Junge Welt

Seit Jahren ist die südlich Berlins gelegene Kleinstadt Königs Wusterhausen (KW) eine Hochburg rechtsextremer Aktivitäten. In festen Strukturen organisiert oder Bestandteil einer rechten Sub»kultur« - Rechtsextremisten dominieren das Stadtbild von KW. Angriffe auf Migranten und Andersdenkende sind scheinbar zur Normalität geworden.

So zum Beispiel im November 1998: William Z., ein Flüchtling aus Kamerun, wird am Bahnhof von drei rechtsextrem orientierten Männern angegriffen. Taxifahrer, die den Übergriff beobachteten, verweigerten selbst nach Aufforderung jegliche Hilfe. Ungehindert konnten die Täter auf ihr Opfer einschlagen.

Große Teile der brandenburgischen Bevölkerung nehmen diese und andere braune Umtriebe kaum oder gar nicht zur Kenntnis; sie stehen damit im Einklang mit Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm (CDU). Obwohl es laut Verfassungsschutzbericht 1999 einen deutlichen Anstieg rechtsextremer Aktivitäten und Gewalttaten in Brandenburg gibt, übt sich Schönbohm lieber darin, über einen »Präventionsrat gegen Kriminalität« mit dem Schwerpunkt »Linksextremismus« zu debattieren. Diese Strategie der Verharmlosung rechtsextremistischer Aktivitäten und Hetze gegen antifaschistisch aktive Menschen und Organisationen hat Schönbohm schon zu seiner Zeit als Innensenator in Berlin erfolgreich angewandt. Mit bekannten Auswirkungen: Rechtsextremisten jeglicher Colour können in Berlin unter Polizeischutz marschieren, wann und wo sie wollen, während antifaschistische Strukturen kriminalisiert und ihre Demonstrationen allzu häufig verboten wurden. Eckart Werthebach führt diese Tradition fort.

Neben offenem Terror gegen politisch mißliebige Personen und Einrichtungen, gibt es Bemühungen der Rechtsextremisten in Königs Wusterhausen, eine Verankerung ihrer politischen Ideen auch innerhalb des jugend-kulturellen Bereichs zu erreichen und öffentliche Treffpunkte für sich zu vereinnahmen. Dies wird durch Arbeitsteilung gewährleistet: Auf der einen Seite die »unabhängigen« Kameradschaften, auf der anderen die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) mit ihrer Jugendorganisation Junge Nationaldemokraten (JN). Die Kameradschaften, die sich lange Zeit eine (sub)»kulturelle« Eigenständigkeit gegenüber Altnaziparteien, wie der NPD, bewahrt haben, sprechen eher den »erlebnisorientierten« Teil der rechten Jugend»kultur« an. Diese Strukturen binden die Jungnazis dann allmählich in ihren engeren Kreis ein, und wenn es sich anbietet, zeigt sich als mögliche höhere Karrierestufe die Rekrutierung als Kaderanwärter in der JN.

Als einflußreichste Kameradschaft in sogenannter »Anti- Antifa«-Arbeit vor Ort übt sich die Kameradschaft »United Skins Königs Wusterhausen«. Deren Spezialgebiet ist auch die Organisierung von »Blood & Honour«-Konzerten. Zudem bringt sie ein eigenes Skinhead-Fanzine heraus. Bislang autonom agierend, sammelt auch diese militante Gruppierung sich unter dem Dach der NPD und fungiert mittlerweile als deren »Schutztruppe«.

Die NPD im Kreis Dahme-Spreewald ist nach eigenen Angaben mit mehreren hundert Mitgliedern der zweitgrößte Kreisverband der NPD. Der langjährige Vorsitzende der NPD Berlin-Brandenburg, Lutz Reichel, ist weiterhin maßgeblich am Aufbau beteiligt. Er und andere Funktionäre organisierten diverse Veranstaltungen. Reichel hielt Mitte Februar diesen Jahres eine »Reichsgründungsfeier« in seinem Wohnort Friedersdorf nahe KW ab. Wenige Tage später baute er gemeinsam mit angereisten Kameraden und lokalen »United Skins«-Schlägern unter Polizeischutz einen NPD-Infostand in der Innenstadt von KW auf.
Durch den Anfang 2000 vollzogenen Umzug der Bundesparteizentrale der NPD von Stuttgart nach Berlin- Köpenick ist eine zunehmende Konzentration organisierter Faschisten im Südosten Berlins und Umgebung zu beobachten.

Für den 17. Juni hat ein breites Antifabündnis eine Demonstration unter dem Motto »Für eine antifaschistische Jugendkultur - den NPD-Zentralen in Königs Wusterhausen und Köpenick entgegentreten!« angemeldet. Sie richtet sich auch gegen einen von der NPD für denselben Tag angekündigten Aufmarsch. Die Demonstration soll aber nicht vom Aufmarsch der Nazis abhängig sein. Die Aufrufer wollen »durch ein breites antifaschistisches Bündnis« erreichen, daß die NPD ihre menschenverachtende, rassistische Hetzpropaganda nicht auf die Straße bringt.

Die Polizei teilte allerdings gestern mündlich ihr Verbot der Demonstration mit. Im Vorfeld wurden durch Polizei, Stadt und einige Medien NPD und antifaschistisches Bündnis als gefährlich gleichgesetzt. So haben die Königs Wusterhausener Stadtverordneten aller Parteien auch gegen die antifaschistische Bündnisdemonstration gestimmt und deren Verbot gefordert - getreu der Totalitarismus-These folgend. Das Antifa-Bündnis ruft trotzdem zur Demo auf. Beginn ist 11 Uhr, Bahnhofsvorplatz, KW.