Montag, 23. Juli 2012

Musik zur Unzeit II

Bill Gates’ neuester Streich

Ralf Fischer / Junge Welt

Die Marketingabteilung von Microsoft stand vor einem großen Problem. Während das Betriebssystem Windows seine Stellung als Weltmarktführer sicher gegen jeden Angriff behauptet, stürzte der Internet Explorer in eine tiefe Krise nach der anderen. Zuerst bediente sich Firefox jahrelang kräftig am Marktanteil von Microsoft, und dann griff zu allem Überfluß auch noch der große Konkurrent Google mit dem Webbrowser Chrome in den Kampf um Marktanteile ein. Ein Ende mit Schrecken stand dem einst so erfolgreichen Monopolkonzern bevor.

Mit seiner einstigen Killerapplikation Internet Explorer war der Riese Microsoft längst nicht mehr up to date, er hatte jeglichen Sexappeal an seine Konkurrenten, hauptsächlich an Apple, verloren. Die Marketingfüchse aus dem eigenen Hause mußten nun mit einem ganz großen Wurf schleunigst die Kehrtwende einleiten. Es galt, dem schon beinahe Verstorbenen eine neue Seele einzuhauchen. Tief empfundene Emotionen mußten her. Die Menschen sollen sich wieder mit dem Produkt identifizieren. Was würde da besser passen, als die nächste Werbekampagne mit einem Soulsong mit extrem viel Sexappeal zu unterfüttern.

Flugs durchforsteten die Marketing­experten von Microsoft daraufhin den Markt und wurden schnell fündig. Auf dem im Juli 2011 veröffentlichten Debüt­album »The Lateness of the Hour« des bis dato völlig unbekannten Briten Alex Clare schlummerte ein Hit, der wie geschaffen war für die Auffrischung des eigenen Images. Der Song »To Close« verbindet emotionale Texte mit knackigen Dubstepelementen zu einer äußerst griffigen Soulkomposi­tion, die etwas auf Speed daherkommt. Das Thema des Songs: vielfältige Gefühlsregungen in Zeiten prekärer Beziehungsformen. Emotional ohne Ende.

Und entspräche es nicht der Wahrheit, so müßte man seine Liaison mit Amy Winehouse einfach dazu dichten. Beinahe wie in einem modernen Märchen! Amy Winehouse lernte Clare in einer Bar im Norden Londons kennen, in der er unter anderem als Koch, aber auch als Musiker arbeitete. Ein kapitalistischer Traum: Vom Koch in Nordlondon zum weltweiten Chartstürmer. Doch bis sich die Marketingabteilung von Microsoft bei seiner Plattenfirma meldete, verschimmelte sein Album in den britischen Plattenläden. Außerdem konnte er aus persönlichen Gründen nicht das Angebot wahrnehmen, im Vorprogramm von Adele auf Tour zu gehen. Clare war zeitweise gezwungen, bei einem befreundeten Immobilienmakler auszuhelfen.

Die Karriere von Alex Clare war also eigentlich schon längst vorbei, bevor sie richtig begann. Doch dann brauchte Microsoft einen Song mit emotionalen Tiefgang und extrem viel Sexappeal. Was zuerst als Geschichte zur weiteren Kapitalmaximierung begann, entwickelte sich zu einem popkulturellen Märchen. Am Ende haben alle außer Microsoft gewonnen. Alex Clare darf endlich die Früchte seines Talentes ernten, die Musikliebhaber auf der Welt dürfen gnädigerweise ihm dabei zuhören und hinter der stimmgewaltigen Breakbeatmusik verblaßt der heftig umworbene Internet Explorer beinahe komplett. Danke dafür, Bill Gates!