Donnerstag, 13. Juli 2000

Same procedure as every year

Wieder ein Bundeswehrgelöbnis am 20. Juli in Berlin. Phantasievolle Proteste angekündigt

Ralf Fischer / Junge Welt

Auch in diesem Jahr will die Bundeswehr 200 Rekruten der 7. Kompanie des Wachbataillons des Bundesverteidigungsministeriums am Bendlerblock, dem ehemaligen Oberkommando der Wehrmacht und der heutige Dienststelle des Ministeriums, vereidigen. Gegen das Bundeswehr-Gelöbnis am 20. Juli wird es auch in diesem Jahr wieder massive Proteste geben. Ein Bündnis verschiedener antimilitaristischer Gruppen will mit einer Demonstration, einer Kundgebung und phantasievollen Störaktionen dafür sorgen, daß die Selbstdarstellung der Bundeswehr zur Peinlichkeit gerät.

Zum zweiten Mal nach 1999 wird der 20. Juli für diese Form der militärischen Identitätsstiftung vom »Kriegsministerium« instrumentalisiert. Gelöbnisse sind Rituale, bei denen Soldaten sich bereit erklären, zu töten und getötet zu werden. In seiner heutigen Form bezieht sich das Gelöbnis auf preußische und Nazi-Traditionen.

Die Traditionslinie der Bundeswehr wird auch durch die Ortswahl dokumentiert - der Bendlerblock war am 20. Juli 1944 Schauplatz eines Putschversuches. Mit der Wahl dieses Ortes will die Bundeswehr den Widerstand gegen Hitler auf seine militärische Komponente einschränken. Dabei beruft sie sich ausgerechnet auf Offiziere, die so lange das Nazisystem stützten, bis absehbar war, daß der Krieg nicht mehr zu gewinnen war. Ihr Ziel war ein autoritäres Regime, um zu retten, was noch zu retten war.

Nach wie vor ist in Berlin kein öffentliches Gelöbnis ohne Widerstand möglich. Die Militärs verschanzten sich schon 1999 hinter Hunderten von Polizisten und Feldjägern. Die absurde Zeremonie wird auch dieses Jahr wieder nichtöffentlich und hinter Gittern abgehalten. Die Zufahrtswege werden gesperrt, das ausgewählte und sicherheitsüberprüfte Publikum wird von der Julius-Leber- Kaserne mit Shuttle-Bussen zum Bendlerblock befördert. Die Armee hat Angst vor der Öffentlichkeit und vor Protesten. Die massiven Sicherheitsvorkehrungen dieses Jahr begründen die Militärs mit den aufsehenerregenden Protesten letztes Jahr. Einigen leichtbekleideten Antimilitaristinnen war es gelungen, auf den Vereidigungsplatz zu gelangen und dort ihrem Protest Ausdruck zu verleihen. Aufgespannt wurden Regenschirme mit der Parole »Tucholsky hat recht« und »Bundeswehr abschaffen«.

Die Proteste sollen trotz der Sicherheitsvorkehrungen hör- und sichtbar sein, versprechen die Organisatoren von »GelöbNIX4«. Das Gelöbnis soll diesmal um 18 Uhr beginnen, deshalb startet die Gegendemonstration erst um 16 Uhr. Der Treffpunkt in diesem Jahr ist die Bundesgeschäftsstelle der SPD, das Willy-Brandt-Haus. Damit soll auf die Rolle der SPD im Angriffskrieg der Nato gegen Jugoslawien hingewiesen werden. Protestiert wird gegen die erklärte Absicht der Bundesregierung, die Bundeswehr zu einer weltweit einsatzfähigen Kampftruppe umzubauen. Damit die Proteste wirksam über die Bühne gehen, wird die Europaabgeordnete Ilka Schröder (Grüne) am Freitag gegen 10.30 Uhr vor dem Bendlerblock in der Stauffenbergstraße Regenschirme, Fußballtröten und rote Farbe verteilen.

Dienstag, 11. Juli 2000

Aufmarschgebiet Dresden

Neonazis in Sachsen werden offensiver. Bündnis gegen Rechts gegründet

Ralf Fischer / Junge Welt

In diesem Jahr fanden in Dresden schon sechs Aufmärsche der extremen Rechten statt. Während die Verantwortlichen der Stadt nur wenig Aktivitäten gegen die zunehmende Neonazipräsenz entwickeln, organisiert sich mit der Gründung eines Bündnisses gegen rechts Widerstand. Anfang Juni hatte es aus dem Stadtrat eine schriftliche Anfrage an die Stadtverwaltung gegeben. »Wie wertet die Stadt die Tatsache, daß Dresden verstärkt zum Aufmarschgebiet für rechte Gruppierungen geworden ist?« lautete die Frage. Zwar gab es tatsächlich eine Antwort, zufriedenstellend war sie aber nicht: »Versammlungen werden durch den Anmelder/Organisator dort durchgeführt, wo er sich für seine Ziele den größten Erfolg verspricht. ... Es liegen auch keine statistischen Erhebungen anderer Großstädte vor, die eine herausgehobene Rolle der Stadt Dresden als Aufmarschgebiet rechter Gruppen belegen. Eine pauschale Wertung hinsichtlich der in einem bestimmten Zeitraum durchgeführten politischen Aktionen ist deshalb nicht möglich.«

Daß Sachsen, mit über 1200 Mitgliedern, seit Jahren die Hochburg der NPD ist, dürfte auch den Verantwortlichen der Stadt bekannt sein. Auch daß die Kameradschaftsszene in Sachsen als die bestorganisierteste gilt, ist spätestens nach der Razzia am 24. Juni gegen die neofaschistische Gruppierung »Skinheads Sächsische Schweiz« in Pirna und Umgebung bekannt. Auch die Deutsche Stimme, die Parteizeitung der NPD, fand Anfang diesen Jahres im sächsischen Riesa Unterschlupf, nachdem sie im bayerischen Sinning dem antifaschistischen Druck weichen mußte.

Die Kundgebungen der revanchistischen »Interessensgemeinschaft für die Wiedervereinigung Gesamtdeutschlands (IWG)« am 25.März, 29. April und am 24.Juni und die Aufmärsche von NPD und der »Jungen Landsmannschaft Ostpreußen« (JLO) am 13. Februar und am 1. und 8. Mai in Dresden bewegen die Stadtoberen nicht zum Handeln. Angeführt wird die neue Offensive auf der Straße von der NPD Sachsen. Nach der Austrittswelle von einem Teil der Mitglieder, dem die NPD nicht radikal genug war, will die Partei wieder Profil »zurückerkämpfen«. Ihr Vorsitzender Winfried Petzold verkündete unlängst, daß die sächsische NPD einen Kurswechsel vollziehen werde. Künftig will die NPD wieder auf das bewährte »Kampfmittel« Demonstration zurückgreifen, aus »wahltaktischen Gründen« habe die NPD vor der Landtagswahl auf Demonstrationen verzichtet, so Petzold in der Deutschen Stimme. Den markigen Worten folgen auch weitere Taten, für den 15. Juli bereitet der Kreisverband Dresden der NPD im Rahmen der sogenannten »Aktionswochen des nationalen Widerstandes Sachsen« eine Demonstration unter dem Motto »Gegen die Ausplünderung Deutschlands« in Dresden vor.

Gegen die Entwicklung in Dresden und den angekündigten Naziaufmarsch formiert sich ein »Dresdner Bündnis gegen Rechts«. Das von der Bürgerinitiative »Es gibt nichts Gutes, außer man tut es« initiierte Bündnis wendet sich an alle Bürgerinnen und Bürger, Gewerkschaften, Parteien und Organisationen, um gemeinsam der neonazistischen Hetze und dem Anwachsen der immer bedrohlicheren Fremdenfeindlichkeit entgegenzutreten. Schon über 100 Menschen haben den Aufruf unterzeichnet, auch DGB, SPD und PDS wollen in diesem Bündnis mitwirken.

Montag, 3. Juli 2000

Naziauktion unter Polizeischutz

Protestbrief an Diepgen fand kein Gehör

Ralf Fischer / Junge Welt

BERLIN. Das »Berliner Auktionshaus für Geschichte« veranstaltete am Sonnabend zum 32. Mal eine Auktion von Militaria vom Kaiserreich bis in die heutige Zeit. Die meisten der über 7 000 Exponate stammen aus der Zeit von 1933 bis 1945. »Persönliche Standarte Adolf Hitlers, detailgetreu in Handarbeit, Hakenkreuz im goldenen Eichlaubkranz... schön erhalten« - diese und andere Exponate erregten heftige Kritik. Auch der Bürosessel von Adolf Hitler, Büsten von führenden Funktionären des Dritten Reiches, Briefbeschwerer mit Hakenkreuz und Bücher wie die »Kleine Rassenkunde des deutschen Volkes« wurden auf der Versteigerung im Schöneberger Hotel »Sachsenhof« angeboten. Die Initiative »Europa ohne Rassismus« rief in einer Presseerklärung zu Protesten gegen die Versteigerung der Nazidevotionalien auf.

In einem am Freitag veröffentlichten Brief an den für die Justiz zuständigen Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) wird ein Verbot der Veranstaltung gefordert. Zu den Unterzeichnern gehörten unter anderen der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde, Andreas Nachama, DGB-Landeschef Dieter Scholz, die Fraktionschefs von PDS und Grünen sowie SPD-Landesgeschäftsführer Ralf Wieland. Widerstand bei der Auktion gab es jedoch kaum. Niemand kam. Außer einigen autonomen Antifaschisten und DGB- Mitgliedern, die sich vor dem Hotel »Sachsenhof« trafen. Allerdings waren mehrere Polizeieinheiten zum Schutz der Veranstaltung in der Nähe aufgefahren.

Der Initiative zufolge soll die Staatsanwaltschaft beim Landgericht Berlin auf eine Anzeige hin den Verdacht strafbarer Handlungen bei der Auktion verneint haben. Ein Justizsprecher hatte auf Anfrage mitgeteilt, daß präventiv nicht eingegriffen werde könne. Allerdings sollte die Auktion »aufmerksam beobachtet« werden. An der Auktion beteiligten sich über 40 Personen, meist Altnazis, aber auch einige jüngere wollten sich diese Versteigerung nicht entgehen lassen Das »Berliner Auktionshaus für Geschichte« ist mehrfach in die Schlagzeilen geraten. Als hier 1998 KZ-Kleidung zum Kauf angeboten wurde, hatte die jüdische Gemeinde massiv protestiert. Auch mehrfache Durchsuchungen der Polizei in den Geschäftsräumen in der Motzstraße 7 führten nicht zur Schließung. Nach dem Gesetz dürfen Objekte aus der NS-Zeit nur versteigert werden, wenn sie die Käufer zu wissenschaftlichen Zwecken verwenden. Dies war jedoch nicht der Fall, die Käufer sind ausschließlich Alt- und Neonazis.