Dienstag, 27. Oktober 2020

Ohne Mühe

Der von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) neu berufene Unabhängigen Expertenkreis Muslimfeindlichkeit (UEM) wurde in der breiten Öffentlichkeit als notwendiger erster Schritt in die richtige Richtung begrüßt. Die Einrichtung des Gremiums ist laut Bundesinnenministerium „eine Reaktion auf rassistische und muslimfeindliche Vorfälle sowie terroristische Anschläge bzw. Anschlagsplanungen der vergangenen Monate“. Die Bundesregierung will mit der Installierung des Kreises zeigen, dass sie die wachsenden Sorgen und Ängste von Menschen ernst nimmt, die von muslimfeindlichem Hass, Anfeindungen und Übergriffen betroffen sind.

Insgesamt zwölf Mitglieder wurden im vergangenen Monat offiziell in den Kreis ernannt. Dabei soll es sich laut Bundesinnenministerium um Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Praxis, die eine breite fachliche Expertise zu Aspekten und Auswirkungen und der Prävention von Muslimfeindlichkeit in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen repräsentieren, handeln. Unter anderem wurden Saba-Nur Cheema von der Bildungsstätte Anne Frank, Prof. Dr. Iman Attia von der Alice Salomon Hochschule Berlin und Dr. Yasemin Shooman vom Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) berufen. Vor allem aber die Ernennung von Nina Mühe (CLAIM) in das Gremium rief jedoch größere Kritik hervor.

Donnerstag, 23. Juli 2020

Hessische Zustände

Der Rapper Haftbefehl schießt sich auf einem Provinzbahnhof selbst ins Bein - Ein Dramolett

Ralf Fischer / Neues Deutschland

Ein Schuss, ein Schrei und ein Anruf bei der Polizei. Am vergangenen Freitag lief es nur mäßig für den Rapper Haftbefehl. Unter »Drogeneinfluss« soll sich der 34-Jährige mit einer Schusswaffe eine schwere, aber nicht lebensbedrohliche Verletzung zugezogen haben. Seinem Bad-Boy-Image getreu, verweigerte »Hafti« die Zusammenarbeit mit den herbeigerufenen Polizeikräften. Die genaueren Umstände des Vorfalles sind deshalb ungeklärt. Durchsuchungen in einer Bar und dem Wohnsitz des Rappers konnten nicht zur Klärung des Vorfalls beitragen.

Drogen, Waffen und Blut. Das Missgeschick des Aykut Anhan, wie Haftbefehl bürgerlich heißt, war ein gefundenes Fressen für die lokalen Medien. Lustvoll titelte die »Hessenschau«: »Rapper Haftbefehl schießt sich selbst ins Bein.« Zum Glück ließ man nicht den Praktikanten, wie sonst üblich zu dieser Uhrzeit, den Titel auswählen, sonst wären die Worte »Knie« und »Schuss« in einer semantischen Dichte gefallen, die das Elend des Lokaljournalismus perfekt illustriert und dessen Zustand als Zombie des Informationsaustausches nur allzu deutlich gemacht hätte.

Wo das Elend am größten ist, werfen schlechte Nachrichten bekanntlich die größten Schatten. Die Online-Ausgabe der »Offenbacher Post« richtete einen Ticker ein, in dem die aktuellsten Neuigkeiten rund um den bekanntesten Sohn der Stadt veröffentlicht wurden. Ein Spannungsbogen wird dabei schmerzlich vermisst. Moritz von Uslar hatte noch einen Monat zuvor für die »Zeit« »Deutschlands populärstem Gangster-Rapper« in der Stadt seine Aufwartung gemacht. Selbstverständlich war es hochnotpeinlich. Man traf sich im Industriepark. Niemand, der noch halbwegs bei Verstand ist, möchte in Offenbach tot über dem Zaun hängen.

»Frankfurt am Main. Die Bankenstadt - Die Wolkenkratzermetropole, die Kriminalitätshauptstadt«, so klingt eine Liebeserklärung an einen Sehnsuchtsort für Gangster und Rapper. Blamabel für Anhan: Die Schussverletzung hat er sich nicht im Frankfurter Bahnhofsviertel, sondern am Bahnhof in Babenhausen zugefügt. Hier betreibt der selbsternannte Babo seit Weihnachten 2015 eine Sisha-Bar. Das Umland des Ortes wird laut Wikipedia zum Großteil ackerbaulich genutzt. Um die Stadt herum verteilen sich mehrere Kiesgruben. Keine Wolkenkratzer weit und breit. Nirgendwo sind Banken, die es sich lohnt zu überfallen. Die Kriminalitätshauptstadt könnte wahrlich nicht weiter entfernt sein.

Derweil verrichtet die »Offenbacher Post« ihr Tagewerk. Im Ticker wird spekuliert, »ob es sich bei dieser Aktion des Rappers gar um eine Promo-Aktion« für sein neuestes Werk »Das Weisse Album« handelt. Eine journalistische Bankrotterklärung. Haftbefehl ist ein Meister der Selbstvermarktung. Sein Vermögen wird auf 1,5 Millionen Euro geschätzt. Mit »DWA« erzielte er vor einem Monat seine erste Nummer eins in den deutschen Hip-Hop-Charts als Solokünstler. Musikalisch ist das Album über dem Durchschnitt anzusiedeln, aber dank der sich ständig wiederholenden »Herabwürdigung von Armen, Schwachen und Frauen«, wie Jakob Biazza in der »Süddeutschen Zeitung« zu Recht anmerkt, wahrlich kein Ohrenschmaus. Der Rapper verschwende »sein Potenzial an Kapitalismus-Hörigkeit«, konstatiert Biazza.

Die »Offenbacher Post« hat einen anderen Standpunkt. Nachzulesen im Ticker. Wegen »seiner großen Heimatverbundenheit« und weil der Rapper schließlich einer sei, »der es geschafft hat, erfolgreich zu sein«, wäre im Zuge der Kolonialismus-Debatte eine Petition, die Bismarckstraße in Offenbach nach Haftbefehl umzubenennen, sogar auf Zuspruch im Rathaus gestoßen. Dies solle »Migrant*innen zeigen, dass sie auch erfolgreich sein können«. Die Trauben in der Stadt an der hessischen Apfelwein- und Obstwiesenroute hängen offenbar ziemlich tief.

Das Ende des Nachrichtenaufkommens zur tragischen Selbstverletzung des Aykut Anhan steht sinnbildlich für den Stand der Integration von hessischen Lokaljournalisten in eine Einwanderungsgesellschaft wie die hiesige. Den von Haftbefehl aus dem Krankenhaus gesendeten Tweet »Hamdullah mir geht’s gut!« übersetzt die Redaktion wohlmeinend für jenen Teil der Landbevölkerung, der zumindest einen Internetanschluss hat: »Hamdullah ist arabisch und bedeutet ›Gott sei Dank‹.« Ich schwöre, in diesem Bundesland hat nicht nur die Polizei ein strukturelles Problem.

Dienstag, 23. Juni 2020

Dem Fernsehen beim Sterben zu sehen. Teil fünf.

Eine alphabetische Reise durch eine lineare Welt


E - Ein starkes Team

Polizisten sind Deutschlands ganzer Stolz. Ihre Darstellung in der Popkultur ist dementsprechend. Akkurat angezogen, spießig bis unter die Achseln und moralisch einwandfrei ermitteln Beamte im Fernsehen gegen kriminelle Kanaken. Ein ganz besonders verdorbenes Beispiel ist die Serie „Ein starkes Team“. Neben der schon im Titel mitschwingenden Verbrüderung zwischen Ost und West durfte als weitere Konzession gegenüber dem dummen Rest in der seit 1994 laufenden Produktion ein ostdeutscher Prolet als Kommissar mitspielen. Ein williger Ost-Schimanksi als Ersatz für den in der Zone nostalgisch verklärten Polizeiruf.

Das als Wiedervereinigungskrimi konzipierte Drama aus der gefühlten Weltstadt sollte als moralische Erbauung für sich als abgehängt fühlende Menschen mit ostdeutschem Migrationshintergrund fungieren. Aber es war wie in der Politik: Gespart wurde an den menschlichen Arbeitskraftbehältern wie Autoren, Schauspielern und Producern, nicht an Vorurteilen. Die Drehbücher sind mit einer eingebauten Klischeeachterbahn versehen, an deren Ende zielgenau der italienische Mafioso oder der osteuropäische Schläger als einzig plausible Täter in Frage kommen.

Die amateurhaften Kamerafahrten, in denen die Hauptstadt wie eine heruntergekommene Kleinstadt im Ruhrpott daherkommt, konterkarieren den Plot, der nach den Sternen zu greifen versucht. Für CSI Berlin bräuchte es aber nicht nur eine bessere Ausleuchtung, Dialoge, die nicht gestanzt daherkommen und gescheite Autoren, sondern zuerst einmal eine Idee von künstlerischer Freiheit. Intellektuell, wie auch ästhetisch.

Dienstag, 16. Juni 2020

Dem Fernsehen beim Sterben zu sehen. Teil vier.

Eine alphabetische Reise durch eine lineare Welt


D - Dinnerdate

Das lineares Fernsehen stirbt nicht allein wegen der Konkurrenz durch die Streaminganbieter aus, sondern weil die deutschen Programmmacher nichts weiter als angelernte Diebe sind. Ideen für neue Formate kupfern sie bei den britischen oder amerikanischen Kollegen ab. Was dort drüben Erfolg hat, so die Maxime, wird auch hier sein Publikum finden. Das führt zumindest dazu, dass viele Sendungen grundsolide produziert sind und nicht völlig am Geschmack des Mainstreams vorbeigehen. Aber das klappt nicht immer, siehe Dinnerdate.

Den Verantwortlichen, die diese Mischung aus Koch- und Kuppelshow ins Programm gehievt haben, sollte umgehend die Pension gestrichen werden. Das wäre immer noch besser als sie wegen schweren Menschenrechtsverletzungen vor den Gerichtshof in Den Haag zu zerren. Die der Sendung zugrunde liegende Idee, dass Liebe bekanntlich durch den Magen geht, wird konterkariert durch die lieblose Umsetzung des Formates. Der Kitsch-Karneval wird weder dem Begehren der Teilnehmer nach einer gemeinsamen Zukunft mit einem neuen Partner gerecht, noch unterhält er die Zuschauer. Nach mehrmaliger Ansicht überkommt einem das ungute Gefühl, dass diese Sendung ein Experiment am lebenden Objekt ist und den Teilnehmern zu raten wäre, den Gang vor Gericht dem ersten Gang des Gerichtes vorzuziehen.

Hier geht es weiter zum fünften Teil...

Dienstag, 9. Juni 2020

Dem Fernsehen beim Sterben zu sehen. Teil drei.

Eine alphabetische Reise durch eine lineare Welt

C - Corona-Comedy-TV

Als wäre das ständige Aufeinanderhocken der gesamten Sippe in Quarantäne nicht schon unerträglich, dürfen nun Comedysänger Mark Forster oder Schlagercomedians wie Luke Mockdrige und Klaas Heufer Umlauf das Not-und-Elend-Programm gestalten. Von ihren Wohnzimmern aus langweilen sie ihr Publikum mit „interaktiven Shows“, gegen die „Terrance und Phillip“ als gehobene Erwachsenenunterhaltung daher kommt. C-Prominente, die über ihr Privatleben jedes noch so belanglose Detail bereitwillig preisgeben, gibt es schon im Internet wie einst Pornographie in einer gut sortierten Videothek. Die Androhung zwischen den Werbeblöcken vermehrt solche Billigproduktionen zu platzieren, wird den Untergang des linearen Fernsehen nur noch beschleunigen.

Selbst bei Ausschaltung der zweitgrößten Konkurrenz, The Real World, gelingt es den Programmmachern nicht wirklich, die vergraulten Zuschauer zurückzugewinnen. Es ist nicht wie mit der organisierten Kriminalität, wenn diese ihre Konkurrenz ausschaltet, geht der Absatz durch die Decke. Durch die Ausgangssperre wird vielen ehemaligen TV-Junkies überhaupt erst klar, wie knapp sie einem qualvollen Tod durch Langeweile entronnen sind. Wer ernsthaft mit den Löwen über die Situation der Freiberufler diskutiert, der sieht offensichtlich in seinem Leben keinerlei Sinn mehr. Hier ist dringend Hilfe nötig, keine Häme. Just saying.

Hier geht es weiter zum vierten Teil...

Dienstag, 2. Juni 2020

Dem Fernsehen beim Sterben zu sehen. Teil zwei.

Eine alphabetische Reise durch eine lineare Welt


B – Bares für Rares

Die traditionelle Fachsendung für Schnauzbartträger und Dackelliebhaber ist ein fester Bestandteil des Rund-um-sorglos-Paketes im Nachmittagsprogramm des ZDF. Hier ist zwar nicht die Welt, aber zumindest noch Deutschland in Ordnung. Auf diesem Sendeplatz können sich die neuen Biedermeier von dem Plunder, den ihnen ihre Verwandten vererbten, geräuschvoll und medienwirksam trennen. Erstaunlicherweise schaut die gut betuchte Rentnerschaft gern dabei zu, wie ihre Kinder und Enkel mit den mühevoll über die Zeit geretteten Antiquitäten zum Teil noch vor ihrem Ableben hausieren gehen oder die auf dem Dachboden gefundene Beutekunst zu Asche machen.

Wenn dann bei Bares für Rares die achtzig Jahre alte Brosche, ein unschätzbares Familienerbstück, welches einst die Großmutter vom Großvater geschenkt bekam, nachdem dieser sie so tapfer in Frankreich erbeutete, von den Enkel völlig ungeniert vor aller Augen zu Geld gemacht wird, blamiert sich zumindest die hierzulande gern geschwungene Rede von der Tradition. Der Verwendungszweck des erbeuteten Geldes ist dann auch so schnöde, wie die Verkäufer selbst. Dieses soll dann zumeist für die Reparatur des Eigenheims, die Aufbesserung der Urlaubskasse oder das zehnte Semester der Enkeltochter herhalten. Anstatt das Kommunikationsstudium endgültig zu stornieren, wird das mit Brillanten besetzte Schmuckstück bereitwillig den fünf von der Pfandstelle in den Rachen geworfen. Unter Wert, in jeglicher Hinsicht.

Hier geht es weiter zum dritten Teil...

Dienstag, 26. Mai 2020

Dem Fernsehen beim Sterben zu sehen. Teil eins.

Eine alphabetische Reise durch eine lineare Welt

A – Aktenzeichen XYZ ungelöst

Beinahe unfassbar: Das visuell neu aufgehübschte, inhaltlich aber in den 50er Jahren hängen gebliebene Gruselkabinett ist immer noch fester Bestandteil des öffentlich-rechtlichen Fernsehprogramms. Mit dem Charme eines Oberscharführers moderiert Rudi Cerne im Abendprogramm diesen monatlich gesendeten Aufruf zur Denunziation, der die Bevölkerung so bereitwillig nach dem Telefon greifen lässt, wie sonst nur Teleshoppingkanäle.

Während statistisch die Kriminalität sinkt, lässt die Sendung den Zuschauer mit dem Gefühl zurück, dass jeder noch so kurze Urlaub zum zwangsläufigen Verlust des gesamten Hab und Gutes führen muss oder an jeder Ecke ein gemeingefährlicher Meuchelmörder nur darauf wartet, dem eigenen Leben ein qualvolles Ende zu bereiten. Die neuesten Ziele der Fernsehfahndung werden in Einspielern illustriert, in denen Laiendarsteller mühsam versuchen Authentizität vorzugaukeln. Ein Sujet, dass beim Fernsehpublikum den Effekt des Schreckens nur noch verstärkt.

Solche Strafverfolgungs-TV-Formate lösen entsprechend eher Panik im Hubraum der Gesellschaft aus, als dass sie zur Ergreifung der gesuchten Kriminellen führen. Trotzdem finden sich in den dritten Programmen eine Reihe weiterer Sendungen mit Namen wie Täter – Opfer – Polizei, bei deren Namensgebung schon mehr kriminelle Energie von Nöten war als bei einem Einbruch in das Bode-Museum.

Hier geht es weiter zum zweiten Teil...