Dienstag, 20. Dezember 2005

Von Nazis fürs Leben gezeichnet

Der Student Tamás Blénessy ist Nebenkläger im Prozess gegen rechte Schläger

ND: Am 20. Dezember beginnt der Prozess gegen die Rechtsextremisten, die Sie und einen weiteren Linken in der Nacht zum 3. Juli angriffen und verletzten. Was erhoffen Sie sich von dem Prozess?
Blénessy: Zuerst erhoffe ich mir natürlich eine Bestrafung der Täter – wegen versuchten Mordes. Das war keine harmlose Schlägerei.

Ihr Begleiter erlitt Schnittverletzungen. Wie ist sein Zustand?

Gesundheitlich geht es ihm gut. Er wird wohl für sein Leben durch die zahlreichen Narben im Gesicht gezeichnet sein. Wir werden vom Verein »Jugend engagiert in Potsdam« sehr gut betreut, mein Begleiter war zwischenzeitlich auch in psychologischer Behandlung.

Die Attacke wird in vielen Medien in eine Reihe gewalttätiger Auseinandersetzungen rechter und linker Jugendlicher gestellt.

Die Einordnung in eine so genannte »Gewaltspirale« tut einem als Opfer einfach nur weh. Die Statistiken der Polizeibehörden sowie Chronologien von Opferberatungsstellen sprechen Bände. Es gab in diesem Jahr in Potsdam nur einen vermeintlichen Übergriff von Linken auf Rechtsextreme, auf der anderen Seite einzelne Wochen mit bis zu zwölf Vorfällen, in denen Neonazis zuschlugen.

Haben Sie nun Angst?

Natürlich lasse ich mich nicht einschüchtern. Ich bin nicht das erste Mal Opfer von Neonazis geworden. Ich engagiere mich zurzeit vor allem im bundesweiten studentischen Dachverband fzs auf dem Gebiet des Antifaschismus und schaue natürlich in Potsdam weiterhin nicht weg.

Fragen: Ralf Fischer / Neues Deutschland

Mittwoch, 9. November 2005

Federvieh mit Mantel

In einem kostenlosen Computerspiel sorgt sich der Verfassungsschutz um so manche linke Gretchenfrage

Ralf Fischer / Junge Welt

Propaganda zum Spielen. Seit PC-Systeme weltweit massenkompatibel sind, gibt es auch massenweise Mitmach-Games von interessierter Seite. Der Nachwuchs will daddeln und ballern – aber gerne. Aktuell bekanntestes Beispiel ist der Egoshooter der US-amerikanischen Armee, an dem Millionen von Menschen gleichzeitig im Internet ihre Fähigkeit trainieren, sekundenschnell den jeweiligen Feind zu eliminieren. Und die US-Armee hat viele Feinde.

Früher war an solche Wunderwerke der Werbetechnik nicht zu denken. Bis Anfang der 90er war auf dem Commodore 64 grobe Pixelei und schnarrender Sound angesagt. Keine gute Voraussetzung für aufwendige Spiele, aber gut genug für Jump-and-Run- und Adventure-Games. Es gab nur eine einzige Ausnahme, und die war illegal. »RAF« hieß das Spiel, und der Name war Programm.

Als Steinewerfer konnte man bei einer Terrorgruppe anheuern und Politiker, Industrielle und auch Popstars ermorden, aber immer der Reihe nach. Zuerst galt es sich zu bewähren. Man brauchte viel Übung, bis man es schaffte, die großen »Schweine« anzugreifen. Irgendwann durfte man dann per Mausklick die bundesdeutsche Führungsschicht samt Bodyguards in die ewigen Jagdgründe befördern. Ein virtuelles Gemetzel in unbeholfener Grafik. »Wolfenstein« ein paar Jahre später sah schon besser aus. Wer wollte, konnte Nazis ins von ihnen heiß geliebte Walhalla schicken.

Grafisch auf ähnlichem Niveau arbeitet der Verfassungsschutz in seinem neuen – kostenlos erhältlichen – Computerspiel »Was steckt dahinter? (3)«. Man möchte die Jugend von heute über die hauseigenen Vorstellungen aufklären, was denn politischer Extremismus sei. Dabei gehen die Staatsschützer so pädagogisch wie dilettantisch und unspektakulär vor. In einer Art Untergrundlabyrinth muß sich der Held, ein Federvieh mit Mantel, Schlapphut und Lupe namens »Leo Lupix«, von Tür zu Tür bewegen, Schlüssel suchen und Fragen zu den unterschiedlichen Themen beantworten. Unterwegs begegnen Lupix ab und zu unförmige Gegenstände, mal Krokodile, mal Bomben, die übersprungen werden müssen. Und wenn man nicht zu früh stirbt, bekommt man am Ende sogar mit, um welchen geheimnisvollen Auftrag es sich handelt, der da spielend umgesetzt werden soll. Am Anfang, wie so üblich in Geheimdienstkreisen, wird natürlich noch nichts verraten.

Wer die Hoffnung auf ein technisch anspruchsvolles Spiel hat, sollte den Schrott gleich in die nächstbeste Ecke werfen. Wer auf politische Realsatire steht, könnte aber auf seine Kosten kommen. Fragen wie »Welches wesentliche Ziel verfolgen Autonome?« sind schon eine harte Nuß: a) »Eine gerechte Entlohnung der Werktätigen«, b) »Die Errichtung einer ›herrschaftsfreien Gesellschaft‹« oder c) »Nie wieder Krieg«. Vermutlich würde es unter Autonomen wochenlange Diskussionen um eine adäquate Antwort geben. Geheimdienste haben eben Humor. Auf die Frage, wofür was das Kürzel DVU stehe, lautet eine mögliche Antwort »Dortmunder Verein der Usambaraveilchenzüchter«.

Geradezu liebevoll kümmern sich die Schlapphüte um so manche linke Gretchenfrage. Beispielsweise heißt es im Bereich »Ausländerextremismus«: »Auch islamistische Organisationen betreiben in Deutschland eigene Moscheen. In einer dieser Moscheen werden nach dem Freitagsgebet Spendengelder ›zur Unterstützung von Märtyrerfamilien in Palästina‹ gesammelt. Wofür könnten diese Gelder u. a. bestimmt sein?« a) »Für Lebensmitteltransporte nach Pakistan«, b) »Zur Verstärkung der Polizeikräfte in den palästinensischen Autonomiegebieten«, c) »Für die Hinterbliebenen palästinensischer Selbstmordattentäter«, d) »Für Kampfeinsätze der deutschen Bundeswehr im Nahen Osten«.

* »Was steckt dahinter? (3)«, Systemvoraussetzung PC mit Windows 98, 2000 oder XP, Mac mit OS9.2 oder X, Vierfach-Programmlaufwerk. Erhältlich beim Bundesamt für Verfassungsschutz, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Merianstr. 100, 50765 Köln, gratis

Mittwoch, 12. Oktober 2005

»Ich bin alt und brauche das Geld!«

Jeder soll sagen, was er will: Ein Gespräch mit Denyo (Beginner) über sein neues Soloalbum »The Denyos«

Ralf Fischer / Junge Welt

RF: Auf der letzten Denyo-Platte »Minidsico« gab es die Aufforderung, daß die Hörer sich die Platte brennen sollen.

D: Da war ich jung und brauchte kein Geld.

Das hat sich jetzt geändert?

Jetzt bin ich alt und brauche das Geld! Nein, Quatsch, ich sehe das natürlich jetzt anders. Wenn man etwas cool findet, dann soll man sich das kaufen. Wenn ich zu wenig Platten verkaufe, dann kann ich halt keine neue Platte mehr machen.

Das erste Denyo-Soloalbum »Minidisco« war dann auch 2001 ein kommerzieller Flop. Jetzt kommt »The Denyos«. Welche Entwicklung liegt dazwischen?
 
Wenn man »Minidisco« und »The Denyos« nacheinander hört, bleiben viele Fragen offen. Wenn man aber »Blast Action Heroes«, die letzte Platte der Absoluten Beginner, dazwischen schiebt, versteht man die Angelegenheit besser. Ich bin nun mal Mitglied in einer Band und gleichzeitig ein Solokünstler, dementsprechend kann ich bestimmte Epochen nicht einfach rausschneiden. Mit »The Denyos« habe ich nun etwas ganz anderes vor!

Was soll das sein?

Mich zu etablieren! Ich bin einfach seit vierzehn Jahren Mitglied bei den Beginnern und das ist wunderbar. Aber darüber hinaus sehe ich in mir noch mehr, als nur der Beginner Denyo zu sein. »The Denyos« ist so etwas für mich, wie: »Ich scheiße auf die Beginner, ich bin Denyo und ich komme hier mit meinen Soloscheiß und der ist geil. Damit zeige ich Euch mal was geht.« Das ist aber keine Konkurrenz für die Beginner, denn mit denen kann man nicht konkurrieren. Das versuche ich auch gar nicht erst, weil ich da gnadenlos scheitern würde.

Auf dem letzten Album waren noch viele befreundete Kollegen aus Hamburg vertreten, bei »The Denyos« ist Denyo fast komplett allein am Wirken.
 
Ich sehe mich als Rapper, der nicht mehr unbedingt lokal gebunden ist. Es gibt diese Familie in Hamburg nicht mehr in der alten Form. Sie ist auf jeden Fall kleiner geworden. Ich habe natürlich noch meine Kollegen Dendemann, Illo, Bo und Digger Dance. Die finde ich alle cool, und wenn man sich mal trifft, ist alles entspannt. Aber die Leute, die mir am Herzen liegen, sind ganz wenige und die sind alle auf dem Album vertreten: Tropf, Jan und Mad. Mit den alten Hasen habe ich auch schon zuviel gemacht. Und zu den ganzen neuen Leuten passe ich nicht, denn ich bin zu different.

Und auch politisch enttäuscht von den Schröder-Jahren? In einem Lied von der neuen Platte heißt es: »Schrecklich dieser linke Staat, der einen nervt wie Linkin Park!«
 
Ja, das ist traurig. Es gibt kein Wachstum, was aber gar nichts mit der Innenpolitik zu tun hat, sondern einfach mit äußeren Umständen: Zum Beispiel mit Kriegen, mit den Ölpreisen und mit
George Bush, der im Irak einmarschiert. Mit irgendwelchen Wahnsinnigen, die mit Flugzeugen in Riesengebäude rein fliegen. Dann heißt es immer, die Politik funktioniert zu schlecht. Das Volk ist nun mal dumm, und die Medien sind hetzerisch.


In Berlin hetzten die Medien in den letzten Monaten vor allem gegen Graffiti. Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) setzte sogar Hubschrauber zur Jagd auf Sprüher ein.
 
Das ist halt die typische Politik hier, die dem Volk die Schuldigen immer schön einfach präsentiert, à la Ausländer und Graffitisprüher sind an allem Schuld, und wenn die weg sind, ist alles gut. Somit fängt man Wählerstimmen, damit Spießer ihre Tagträume ausleben können. Polizeiaktionen gegen Sprüher gab es allerdings schon früher. Wir haben dann immer Jams veranstaltet, wo wir umsonst gespielt haben. In Berlin sollte das wohl auch möglich sein.

Das Verhältnis zwischen einzelnen Rappern und den Jugendschützern ist auch nicht viel besser. Immer häufiger sorgen Raptexte für moralische Empörungen und Rufe nach dem starken Staat.
 
Hier zeigt sich ein totales Unverständnis. Heute hört ein 13jähriges Mädchen den derbsten Gangstarap, weil seine Mama das bestimmt noch nicht gehört hat. Wir leben in einer Demokratie. Jeder kann sagen, was er will! Es ist ja auch immer die Frage nach der Henne und dem Ei. Wenn es zu wenig Bildung gibt und zu wenig Möglichkeiten, sich auszuleben, dann muß man sich nicht wundern, wenn die Leute sich irgendwann auf die Fresse hauen oder es geil finden, Texte zu hören, in denen sich Leute auf die Fresse hauen.

Apropos Bildung. »Also geht in den Plattenladen und nicht ins Klassenzimmer, habt ihr kleinen Kinder von Tuten und Blasen keinen blassen Schimmer?« hieß es noch auf »Minidisco«. 
 
Ich würde niemanden raten, nicht zur Schule zu gehen. Im Gegenteil, ich habe selber einen jüngeren Bruder, der ist 14, und der schwänzt jetzt auch die Schule. Das geht aber nicht klar so! Aber das weiß man immer erst, wenn man ein bißchen älter ist. Ich wollte kein Album machen, auf dem ich die Leute dazu animiere, Bong zu rauchen, sich gegenseitig zu prügeln und die Schule zu schwänzen. Ich will etwas positives aussagen und zwar ohne den Will-Smith-Faktor! Andererseits muß man das Zitat auch im Ganzen sehen: Ich wollte damit eigentlich ausdrücken, daß es auch außerhalb der Schule Möglichkeiten gibt, etwas zu lernen. Damit meinte ich zum Beispiel das Zeug, das einem Chuck D. vermittelt. Aber den gibt es ja heute nicht mehr, sondern nur noch 50 Cent für die Typen und Ashanti für die Frauen, und da würde ich schon sagen: »Geht lieber in die Schule«.

* Denyo, »The Denyos« (Universal)

Montag, 5. September 2005

Neonaziaktion stieß auf Widerstand

Antifaschisten blockierten rechten Aufmarsch und feierten antirassistisches Fest

Ralf Fischer / Neues Deutschland


Zwei Polizei-Hubschrauber flogen am Sonnabend bedrohlich tief über die Landsberger Allee hinweg, überall standen am S-Bahnhof Polizisten in Kampfmontur bereit. Die Berliner Neonaziszene hatte mobil gemacht. So genannte »Freie Kräfte Berlins« wollten zwei Tage nach dem weltweiten Antikriegstag unter dem Ruf "gegen imperialistische Kriegspolitik" ihre eigene Propagandaschau auf den Straßen Berlins durchsetzen.

Rund 500 Antifaschisten stellten sich unter dem Motto "Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen!" in den Weg. Sie folgten dem Aufruf des Bündnisses »Gemeinsam gegen Rechts« und versammelten sich südlich des S-Bahnrings, um den Neonazis ihren Protest entgegen zu halten. Da die Gegendemonstranten die ursprüngliche Nazi-Route besetzt hielten, sah sich die Polizei gezwungen, den fünfstündigen Nazi-Aufmarsch über eine Ersatzstrecke umzuleiten.

Die bis zu 100 Anhänger der braunen Kameradschaften um den landesweit berüchtigten Neonazi Christian Worch aus Hamburg traten in schwarzen Kapuzenpullovern auf, waren äußerlich kaum von den linken Gegendemonstranten zu unterscheiden und trugen auch einige Palästinafahnen und verkehrt herumgedrehte USA-Flaggen. 

Nach Polizeiangaben wurden drei Neonazis wegen eines Angriffs auf Polizisten und ein weiterer Rechter wegen Tragens von Nazisymbolen festgenommen. Ein antifaschistischer Demonstrant wurde wegen der Straßenblockade festgesetzt. Eine weitere antifaschistische Aktion gab es am Bahnhof Schöneweide mit dem Fest für Demokratie und Toleranz, zu dem 1000 Besucher erschienen waren. Der Ort hat sich in der Vergangenheit zu einem Treffpunkt der rechten Szene entwickelt.

Bei einer parallel stattfindenden NPD-Kundgebung wurden nach Polizeiangaben nur bis zu 20 Teilnehmer gezählt. Nach Informationen der Antifaschistischen Linken haben zahlreiche Rechtsextremisten versucht, das antirassistische Straßenfest zu stören. Besucher wurden auf dem Nachhauseweg angegriffen und verletzt. Laut Polizei gab es während des Festes keinerlei Zwischenfälle.

Freitag, 19. August 2005

Grafitti überall

Mit »Backjump« wird Berlin zur temporären Streetart-Kunstzone

Ralf Fischer / Junge Welt

Kunst außerhalb der Museen und Galerien ist für viele Berliner der pure Vandalismus, der mit allen dem Staat zur Verfügung stehenden Mitteln bekämpft werden sollte, zum Beispiel auch BGS-Hubschrauber. Neben Bundesinnenmnister Otto Schily kämpft vorallem Karl Hennig von der Pankower CDU an vorderster Front. Er ist Vorsitzender des Vereins »Nofitti«, der es sich einerseits zur Aufgabe gemacht hat ehrenamtlich Graffitis in der Stadt zu entfernen und andererseits massiv in der öffentlichen Debatte gegen die vitale Jugendsubkultur zu agitieren.

Nun schlägt Hennig mal wieder kräftig Alarm, denn heute beginnt das Festival »Backjumps«. In der Montagsausgabe der Berliner Morgenpost durfte Hennig den Umstand, daß das Festival mit 35000 Euro vom Hauptstadtkulturfonds unterstützt wird, auf Seite eins skandalisieren. Mit der Subventionierung des internationalen Streetartfestivals sieht er »alle politischen Bemühungen, die auf null Toleranz gegenüber Graffiti-Straftaten abzielen« konterkariert. Hennig befürchtet, daß durch das Festival ausgelöst eine Welle von Graffiti durch Berlin rollen würde. Fragt sich, ob der arme Mann überhaupt noch Augen im Kopf hat: Die Graffiti-Welle rollt jeden Tag über Berlin, egal, ob dafür extra ein Festival angesagt ist, oder nicht.

So rollte zum Beispiel im Wortsinn am Montag der japanische Künstler Yukinori Yamamura mit seinem aus Holz gezimmerten Graffiti auf Rädern durch die Berliner Straßen. Direkt im Kiez des Herrn Hennig fing Yamamura damit an, seinen Anhänger mit gesägter Grafitti auf einem Podest durch die Straßen zu ziehen und forderte dabei immer wieder die umstehenden Passanten auf, die Holzkonstruktion mit einer Farbe ihrer Wahl zu besprühen. Unter anderem hatte er die Wörter »West« und »Ost« in japanischen Schriftzeichen zu bieten. Er kam auf diese Idee, nachdem er nach eigenem Bekunden in Berlin soviele Grafitti wie nirgendwo sonst bisher in seinem Leben gesehen hatte. Und so zog er von der Schönhauser Allee über den Mauerpark in Richtung Alexanderplatz, um der Streetart den nötigen Auslauf zu gewähren.Überall sorgte er mit dem Kunstgefährt für helle Freude und viel Aufsehen.

Die Organisatoren des »Backjump«-Festivals haben ebenfalls etwas mit Holz vor. Neben einer zweimonatigen Ausstellung im Kunstraum Kreuzberg/Bethanien soll auf dem Mariannenplatz eine kleine Stadt aus Holz, die »City of Names«, gebaut werden. Die Grafitti-Künstler AKIM und ZAST wollen mit Kollegen, Anwohnern und Kindern Holzhäuser als dreidimensionale Übertragung ihrer Spray-Kunst errichten.

Desweiteren werden im Kreuzberger Wrangelkiez in Zusammenarbeit mit dem Quartiersmanagement die Brandwandfassaden von Künstlern neugestaltet. Ihre Arbeiten sind auch in verschiedenen Galerien zu finden. Doch nicht nur dort – überall in der Stadt werden die kreativen Vandalen versuchen, zuzuschlagen. Man sollte die Augen offen halten und immer schön die temporären Kunstzonen suchen. Getreu dem Motto eines CBS-Pieces am nördlichen Berliner S-Bahnring: »Billig, darauf steht ihr doch«.

www.backjumps.org

Mittwoch, 22. Juni 2005

Kartoffelernte

In die Ecke, Besen, Besen: Erst wollte man bei der SPD eine Deutschquote, jetzt kriegt man Angst vor den üblen Folgen

Ralf Fischer / Junge Welt

Durch die angekündigten Neuwahlen lassen sich die Politiker des Landes derzeit zu äußerst peinlichen PR-Aktionen hinreißen. Die größten Klassenkasper kommen dabei aus den Reihen der Regierung. Hier herrscht Panik vor dem Kassensturz. Statt einfach den Sack zuzumachen und sich in Würde darauf vorzubereiten, für mindestens die nächsten vier Jahre mit einer Rumpfmannschaft auf den Oppositionsbänken im Bundestag abzuhängen, plärren die Regierenden in alle verfügbaren Mikrofone, was niemand wissen will, aber im Wahlkampf vielleicht ein paar Punkte bringt.

Monika Griefahn (SPD) etwa, als Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Kultur und Medien gewichtige Befürworterin einer Deutschquote im Radio, macht Theater wegen deutschnationalem Rap, der außerdem pornographisch und gewaltverherrlichend sei, es zugegebenermaßen auch ist. Anfang Juni forderte sie im Focus nicht weniger als ein Verbot der Videos zweier Berliner Rapper, Fler und Sido.

Nicht diese Forderung nach Zensur verblüfft; nur, wer sie vorbringt. Mit einer nationalen Quote im Radio sollte der einheimische Mittelstand des Verwertungsgewerbes gegen die Weltkonzerne SonyBMG, Warner, EMI und Universal mit stetig fließendem Kapital ausgestattet werden. Genau das ist mittlerweile realisiert. Auch ohne Quote. Im übrigen macht, wer die Geschichte als düster und vor allem abgeschlossen darstellt, alles falsch und viel Kohle. Viele distanzieren sich zwar vom Rechtsextremismus, bedienen sich aber faschistischer Ästhetik.

Das Label der beiden Rapper, Aggro Berlin, beantwortete Griefahns Anwürfe nüchtern: »Keiner unserer Künstler oder Mitarbeiter ist rechtsradikal«. Das ist unwahrscheinlich, könnte aber sogar stimmen. Ein grottenschlechter Rapper wie Fler braucht einen marketingstrategisch eingefädelten Skandal, um Tonträger abzusetzen. Deshalb setzt er in seinen Texten auf die nationale Karte, frontet gegen Amirap, das Label wirbt mit deutschnationaler Ästhetik für sein Album. Sowas kommt an, gerade weil es nicht politisch korrekt ist und deswegen skandalisiert wird. Dieser Entwicklung ist mit Polemik nicht beizukommen.

Obwohl Fler, den der Rapper Eko treffsicher Kartoffel taufte, mit Sido das Label gemeinsam hat, gibt es frappante Unterschiede. Hätte sich Griefahn Videos von Sido angeschaut, wüßte sie, daß er im Gegensatz zu Fler bisher nur eine polnische Nationalfahne schwenkte. Hätte sie den Text seines Hits »Mama ist stolz« gelesen, wüßte sie: Das ist schon keine Farce mehr, das ist Parodie.

Nur weil die Vernunft sich endgültig in den Sommerurlaub verabschiedet hat, will ich hier nicht zwei selten bekloppte Rapper gegen berechtigte Kritik verteidigen. Fler ist widerwärtig, schon wegen seiner Frauenfeindlichkeit und Deutschtümelei. Dazu kommt seine beispiellose Unfähigkeit am Mike. Um Sido ist es nicht viel besser bestellt. Doch was sind diese beiden Spinner gegen Berufspolitiker im Überlebenswahlkampf? Der Feind steht eben überall.

Aus den ersten und zweiten Reihen der etablierten Parteien werden in nächster Zeit noch etliche absurde Vorschläge kommen, zumal eine ernst zu nehmende Alternative auf der linkspopulistischen Überholspur aufgetaucht ist. So geht die Mediendemokratie. Eine derbe Mobilisierung von Ressentiments aller Art ist zu erwarten. Wie wäre es z. B. mit einem generellen Tanzverbot zu US-amerikanischer Musik? Das käme der Moral zugute, und mehr ist ja nicht zu heben, außer der Arbeitslosenzahl natürlich.

Samstag, 18. Juni 2005

Fix

Der 20jährige Berliner Sprayer NOUS 1 über das am Freitag vom Bundestag verschärfte Antigraffitigesetz, die Streetart der Latte-macchiato-Modepuppen und seine Kunst

Ralf Fischer / Junge Welt

RF: Sprayer können künftig zu mehrjährigen Haftstrafen verknackt werden, sofern sie das »äußere Erscheinungsbild« einer Sache »nicht nur vorübergehend« und »nicht nur unerheblich« verändern. Mit den Stimmen von SPD, Grünen und Union verabschiedete der Bundestag am Freitag einen entsprechenden Gesetzentwurf. Bislang war die Sachbeschädigung nur strafbar, wenn die Substanz der Sache beschädigt war. Die Neuregelung ist im Frühjahr auf den Weg gebracht worden. Wie hat die Sprayer-Szene sie aufgenommen?

Nous1: Ziemlich locker. Bis auf Denunzianten, die durch die Hetze in den Medien mehr Verantwortungsgefühl zeigen, hat sich nicht viel verändert. Verfolgt wurde man schon vorher.

Pünktlich zum Antigraffitikongreß in Berlin veranlaßte Otto Schily im April den Einsatz von Hubschraubern zur Bekämpfung der Szene. In der Hauptstadt gibt es seitdem eher mehr Graffitis. Haben die Sprayer den Kampf um die Stadt aufgenommen?
Graffiti paßt sich den Umständen an, siehe New York. Die Antwort auf verschärfte Repression und Säuberungen waren dort mehr Throw-Ups. An frisch gestrichenen Wänden oder sanierten Häusern ist selten ein Piece zu finden, einfach weil die Wahrscheinlichkeit groß ist, daß die Wand gleich wieder gesäubert wird. Dort entstehen weniger aufwendige Sachen wie T-Ups und Tags. Sanierungs- und Säuberungswahn gehören zusammen. Mit der Ausbreitung von teuren Modeläden, die kein Mensch braucht, werden ganze Stadtteile auf Dauer verändert, nicht im kulturellen, sondern im ökonomischen Sinne. Ich hoffe, daß hier keine Ermüdung oder gar Resignation bei den Writern einsetzt. Das sollte im Gegenteil eher Ansporn sein.

Hat die verschärfte Repression persönliche Konsequenzen? Sind Sie vorsichtiger geworden?

Ich versuche, vorsichtiger zu sein, weil ich schon mindestens noch zehn Jahre malen möchte.

Nur vereinzelt tauchen im Stadtbild Schriftzüge auf, die sich inhaltlich auf die verschärfte Repression beziehen. Kann man so gegen die Ordnungsmacht punkten oder macht nur die Masse der Bilder den Erfolg aus?
Politische Äußerungen können zwar neben ein Piece gesetzt werden. Grundsätzlich aber stehen der Name, die Buchstaben und Formen im Vordergrund. Die politische Aussage wird indirekt vermittelt. Man kann das Writing als Spiegel der Gesellschaftsform verstehen: Es ist egoistisch, man benutzt seine Ellenbogen, um als Individuum bekannt zu werden. Gleichzeitig aber ist es mehr als ein Wettkampf in einer Parallelwelt.

Sie sind nun schon viele Jahre illegal unterwegs. Wie würden Sie Ihre Entwicklung beschreiben? Vom Schmierer zum Styler?

Schmieren ist Bestandteil der Entwicklung eines Writers. Es hat den gleichen Wert wie das Malen von Styles, wobei es mir schwer fällt, ein gutes Tag zu machen. Richtig gute Tagger gibt es ja auch nicht viele.

Was benutzen Sie außer Spraydosen und Markern?

Streichfarbe, Bitumen, Kreide und Aufkleber. Manchmal auch Wasserpistolen, Plastikflaschen mit einem Loch vorne drin oder einfach meinen Finger für Staub.

Ihr Style ist sehr auf die Typo fixiert, auf Buchstaben statt Characters.

Characters sind nur Schmuck. Beim Writing geht es um Buchstaben! Figürliche Mittel können diese nur in einem gewissen Rahmen unterstützen.

Machen Sie Streetart oder Kunst?

Ich schreibe nur einen Namen, ästhetisch, schön. Graffiti sollte allgemein als Kunstform anerkannt werden. Punkt.

Ist der Hype um Streetart nur ein PR-Gag gelangweilter Kunststudenten?

Ich war auf ein, zwei Streetart-Ausstellungen. Mindestens 80 Prozent der Leute dort waren Latte-macchiato-Modepuppen. Sowas macht etwas aggressiv. Diese Streetart-Sachen sind mir inzwischen fast egal, auch wenn ich 90 Prozent davon Scheiße finde – sie sind absolut unspannend. Die Leute kopieren zu Hause irgendwelche Sachen aus Zeitschriften, machen 100 Reproduktionen von Figuren, die oft nicht mal selbst gemalt sind.

Man kann sich über diese Arbeiten auch kaum unterhalten. Es gibt keine Regeln der Form wie beim Writing. Da werden einfach kackniedliche Pinguine oder Meerschweine an die Wände geklebt. Ein Piece oder Tag dagegen wird direkt an die Wand gemalt. Wie es aussieht, ist extrem abhängig von der konkreten Situation. Dadurch strahlt es für mich viel mehr Kraft und Intensität aus.


Im Alten Rom wurden Parolen, Theatertermine und vieles mehr wie selbstverständlich an die Wände geschrieben. Leider gelten in unserer Gesellschaft Stahl- und Betonflächen als Eigentum, Straßen als Verkehrswege für Güter und Waren. Jeder geht zur Arbeit und gleich wieder nach Hause, ohne sich auch nur einen Augenblick umzuschauen.


Was würden Sie auf den Vorwurf sagen, daß Sie weiche Standortvorteile förden, mit Ihrer Kunst für gute Laune im beschissenen Alltag sorgen, Lokalpatriotismus stärken und Lohnsklaven produktiver machen?
Das ist ziemlich abwegig, oder?

Könnte es sein, daß Streetart als neue Mode Frauen den Einstieg in die Welt des kreativen Vandalismus erleichtert? Die Dominanz von Männern in der Szene ist erdrückend.
Wäre ganz nett. Ich kenne auch nur zwei bis drei Frauen, die malen.

Bleibt die Straße Ihre Ausstellungsfläche oder möchten Sie auch mal in Galerien?

Ja, schon, aber nicht mit Graffiti. Auf Leinwand oder Foto funktioniert das nicht.

Wie stehen Sie zu legalen Freiflächen?

Es gibt viele geduldete Wände: Fabrikhallen, Hinterhöfe oder Freiflächen. Diese aufzuspüren und zu erkunden kann ich jedem empfehlen. Dort sind die schönsten Pieces versteckt. Richtig legal malen gehe ich eigentlich nur, wenn ich gerade viel Geld habe, sonst sind mir die Dosen zu schade.

Montag, 30. Mai 2005

Geh weg vom Mic!

Aus der Kneipe: Auf DVD dokumentiert das Berliner HipHop-Label Royal Bunker sich selbst

Ralf Fischer / Junge Welt

Jeder wäre gerne ein berühmter Popstar. Via Katapult raus aus der ländlichen Scheiße des elterlichen Reihenhauses in der Kleinstadt am Rande des Wahnsinns, direkt rein in den kurzen Rock der Bourgeoisie mitten in der City. Aus dem Untergrund der Großstädte direkt in die Klingelton-Charts – das ist nicht nur in der Nacht der Traum vieler Teenager. Es ist der Traum des Kapitalismus, eigentlich für das gesamte (erwachsene) Proletariat konzipiert. Niemand, der diesem Traum anhängt, braucht sich oder anderen einzureden, er sei Teil einer unbedeutenden Minderheit. Das ist Selbstbetrug. Doch die Quadratur des Kreises wird trotzdem noch häufig genug versucht. Eine gezielte Verarschung um der Selbstinszenierung willen. Die in diesem Frühjahr veröffentlichte DVD »Gegen die Kultur« des Berliner Musiklabels Royal Bunker wandelt genau auf diesem Pfad.

Kein Traum

Daß der Traum vom Aufstieg in die Oberschicht machnmal kein Traum bleibt, kann man täglich in der Boulevardpresse nachlesen. Geschenkt, hier ist nicht der Boulevard. Hier geht es um Untergrund-Attitüde als Verkaufsargument. So ungefähr läßt sich das Konzept der Royal-Bunker-Crew aus Westberlin, wie sie oft betonen, in vier Worte fassen. Darüber hinaus glänzen die meisten MCs des Labels, vom Bunkerboß Marcus Staiger auch schon mal treffsicher als CDU-Rapper bezeichnet, mit sexistischen und homophoben Verbalinjurien, die lange Zeit kaum woanders in HipHop-Germany zu hören waren. Unabhängig von den übermächtigen Majors macht die Crew um den Bunker seit 1998 ihre eigene Politik. Von einem Hinterzimmer mit Bühne, hin zu einem kleinen Tapelabel arbeitete sich das selbsternannte Untergrundlabel langsam nach oben. Als 2000 die erste CD des Labels, »N.L.P.« von MOR veröffentlicht wurde, stellten sie ihre Strategie erstmals einem breiteren Publikum dar. Anzeigen, auf denen die Bosse der Majors aufgefordert wurden, sich selbst zu ficken, gehören seitdem zur Labelpolitik wie die Ansage auf dem Cover der aktuellen DVD: »Hart! Ehrlich! Konsequent! – Royal Bunker. Geh weg vom Mic – Nutte!«

Dies wirkt wie das übliche sexistische Männergehabe, ganz auf das Männer-Marketing der deutschen HipHop-Szene zugeschnitten. Ist es auch. Hier versammeln sich die Teile des städtischen Proletariats am Mikrofon, die lieber komplett die Schnauze halten sollten. Ganz so, wenn sich Männer abends an den Stammtischen der Eckkneipen versammeln, um dort ihrer reaktionären Ideologieproduktion zu frönen. Einigen aus dem Bunker war diese Beschäftigung wohl zu unmodern und langweilig. Sie rappten lieber in der Kneipe.

Doch es muß mehr als nur Langeweile gewesen sein, als die ersten HipHop-Jams im Royal Bunker, einer stinkenden Kellerkneipe in Kreuzberg, von Staiger initiiert wurden. Es roch wie nach einem Buttersäureanschlag, Mikrofone waren Mangelware, MCs manchmal auch und trotzdem schockte die Atmosphäre niemanden. Der Flavor, zwischen Jam und Battle, brachte die gesamte Berliner MC-Szene nach und nach auf die Bühne des Bunkers. Hier machten viele ihre ersten Schritte, die heute über die Stadtgrenzen hinaus Rap aus Berlin repräsentieren und manchmal auch die Charts rocken.

Kool Savas, damals noch MOR, und Sido sind die bekanntesten ehemaligen Bunkergänger. Man ahnt es heute kaum noch, doch ihre gemeinsame Wurzel ist der Royal Bunker. Sido lernte hier seinen Partner B-Tight kennen und gründete mit ihm die Crew Royal-TS.

Der Rest blamiert sich

Der Hauptfilm auf der ersten Royal-Bunker-DVD berichtet von diesen Anfängen, die in Interviewparts sowie einigen Filmschnipseln von Auftritten, leider meist in schlechter Qualität, versuchsweise wiederaufleben sollen. Reflektiert wird wäre zuviel gesagt. Die Interviews haben wenig Tiefgang, eben maximal genauso so viel wie der jeweilige Interviewpartner. Marcus Staiger, der sich selbst als linksozialisierter Managertyp in der eigenen Show entlarven läßt, macht dabei, neben Kool Savas und Justus Jonas, noch den besten Schnitt. Der Rest blamiert sich nach besten Kräften.

In den Interviewparts von Savas sowie Staiger blitzt Nachdenken über die eigene Rolle auf. Aus ihren Mündern hört es sich auch schon fast wieder logisch an, daß nachdem Ende der 90 Jahre die Welle von Funny-HipHop Made in Germany das Land von Norden aus überflutete, eine derbe Ansage aus dem dreckigsten, chauvinistischsten und chaotischsten Loch des Landes folgen mußte. Und dies ist bekanntlich nun mal Berlin-West. Keine Frage.

Zurück zur Beweisführung. Rapper Kool Savas beweist den Aufsteigertraum vom Tagesspiegel-Werber und Sozialarbeiter zum Millionär, vom Royal-Bunker zum Popstar. Er ist derjenige, der durch außergewöhnliche Fähigkeiten und besonderen Ehrgeiz am Mikrofon den Aufstieg in die Oberklasse klarmachen konnte. Ähnlich wie Labelchef Staiger war er von seiner Mission überzeugt. Doch der wollte Untergrund. Und wird es auch bleiben. Savas wollte immer beweisen, daß alle MCs in Deutschland scheiße sind. Hat er auch fast geschafft. Und die restliche Bunkerclique? Die macht weiter auf Westberlin – maskulin. Mehr ist nicht drin. Battle ist alles, das muß reichen. Es bleibt eben kein Auge trocken, soll es ja auch gar nicht. Kleine Erfolge feiern sie damit trotzdem.

Als Bonus sind einige davon zu sehen. Neben den drei teuersten Videoclips der Welt von MOR findet sich eine Dokumentation der Kotzen-und-Ablegen-Tour der Crew u. a. zusammen mit dem Berliner Rapper Taktlos. Der Konzertmitschnitt wird komplettiert durch einige skurrile Promoaufnahmen gemeinsam mit Punkern auf dem Alexanderplatz und sonstig verrückten Filmaufnahmen während der Tour. Timing ist alles. Der gesamte Produktionsprozeß der N.L.P., die es auf Anhieb bis in die Top 100 schaffte, wird schon vorher im Hauptfilm dokumentiert. Dabei sind auch die Mitwirkenden wie Rapper Azad aus Frankfurt/Main und die Produzentin Melbeatz zu sehen und hören.

Zur Motivation gefragt, antwortet Fuat von MOR im Hauptfilm: »Wettbewerb? Seit ich denken kann, gibt es Wettbewerb. Schon in der Schule gab es Bundesjugendspiele …« Im Battle sei eben alles erlaubt. Womit die Antwort aus dem Bunker auf die Kritik an ihren sexistischen und homophoben Phrasen schon vorweg bekannt sein dürfte: »Du behauptest, wir seien stumpf, weil du die Lyrics nicht magst.« Oder auch »Deine Crew, das bist du, deine Fische und Oma!« Punkt.

Sozialarbeiter umschulen

Vielleicht macht dieses Modell Berlin ja Schule. Vom armen Schmuddelrapper zum Millionär. Dann werden wohl bald bundesweit Kommunen, in der Hoffnung, damit zumindest Geld zu sparen, einige Sozialarbeiter zu Labelchefs umschulen. Vielleicht klinkt sich auch noch die Agentur für Arbeit ein. Agenturrap statt Aggrorap. Prost Mahlzeit, schlimmer könnte es kaum kommen, höre ich da schon aus der linken Ecke schreien. Doch Vorsicht, es kommt immer schlimmer, als man denkt. Nationalrap à la Dissau Crime oder Fler war auch schneller da, als so manch besoffener Neonazi die Nationalhymne grölen kann.

* V.A.: »Gegen die Kultur« (Royal Bunker)

Montag, 2. Mai 2005

"Der Schornstein stand mir bevor“

Ralf Fischer ist 26, Ernst Bellasch 81. Beide trafen sich im April 2005 auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Sachsenhausen. Fischer half, dort als Student die Gedenkfeier zum 60. Jahrestag der Befreiung des KZs vorzubereiten. Er interviewte Bellash, der als Zeitzeuge aus Belarus kam. Nur durch Glück hat der Weissrusse seine Leidenszeit in deutschen Lagern überlebt.

Ralf Fischer / Politik Orange


Dichtes Gedränge auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslager Sachsenhausen in Oranienburg. Einige hundert Überlebende aus Russland, Frankreich, der Ukraine, Israel, Holland, Polen, Dänemark und anderen Ländern sind zum 60. Jahrestag der Befreiung des KZ durch sowjetische und polnische Soldaten angereist.

Die meisten noch lebenden ehemaligen Häftlinge sind schon 80 bis 90 Jahre alt. Oder noch älter. Doch trotz des Alters beeindruckt ihr Willen, sich dem Ort des Grauens zu stellen. Ernst Bellash aus Belarus, mit seinem Lächeln und seiner charmanten Art des Erzählens, ist einer von ihnen. Statt eines Namens steht eine vierstellige KZ-Nummer auf seinem Schild. Die Nummer ersetzt einen Namen. Kaum fassbar für Menschen, die nach 1945 geboren wurden. Ziffern statt Buchstaben, um Menschen zu unterscheiden, „8268“ statt Ernst Bellash.

Als er im Dezember 1925 in der Sowjetunion geboren wurde, war er der Sohn eines Revolutions- helden. Eines großen Helden, wie er sagt. Sein Vater kämpfte während des Bürgerkriegs auf Seiten der Bolschewiki. Fünf Jahre nach seiner Geburt zog er gemeinsam mit seinem Vater aus der belorussischen Heimat nach Leningrad. Sein Vater studierte an der Akademie, der zwei Jahre ältere Bruder und er kamen in die Schule.

1935 verlor er seinen Vater, sein Vorbild

Ernst Bellash verlor 1935 seinen Vater, sein Vorbild. Während seine beiden anderen Brüder auf das Internat gingen, zog Ernst Bellash zu seiner Großmutter nach Belarus zurück. Mit ihr ging er nach Ostpolen, als dieser Landesteil unter sowjetische Herrschaft kam. Hier war die Großmutter geboren worden. Zwei Jahre lang lebte er im Dorf Loknovic bis die Deutschen 1941 einrückten. Mit 15 Jahren musste er untertauchen und sich verstecken.

1942 wurde er zum Arbeitsdienst herangezogen. Auf einem Gut half er dem Buchhalter beim Auszahlen der Löhne. Seinen Job nutzte er auch, um antifaschistische Zeitungen, Papiere und wichtige Informationen weiterzuleiten. Doch eine Lehrerin verriet ihn an die Polizei. Nur knapp sagte er dazu: „Mein Glück war es, dass die einheimische Polizei mich verhaftete. Sonst wäre ich wahrscheinlich sofort erschossen worden.

Als Zwangsarbeiter rekrutiert

Aus dem Knast wurde er im März 1943 wieder für den Arbeitsdienst rekrutiert. Die Nazis holten sich junge, kräftige Männer und Frauen als Sklaven per Zug ins Reich. Wieder arbeitete er auf einem Landgut. Diesmal in der Nähe von Greifswald und gemeinsam mit Franzosen und Polen. Im Herbst wurde er nach einem Reitunfall in den Westen des Nazi-Reichs nach Reith bei Krefeld beordert. 

Die Zwangsarbeiter säuberten nach den Bombenangriffen der Alliierten Straßen und schichteten die noch nutzbaren Ziegelsteine aufeinander. In Krefeld schloss er sich einem Antifa-Zirkel an und bereitete gemeinsam mit anderen Gefangenen seinen Ausbruch vor. Nach dem ersten Versuch kehrten sie wieder in die Unterkünfte zurück. Doch beim zweiten waren sie zu viert erfolgreich. Es gelang ihnen, über die Kanalisation die Stadt zu verlassen und bis zur Weichsel zu fliehen.

Der Glaube an den Kommunismus sowie ihre patriotischen Gefühle ließen die jungen Männer diese waghalsige Flucht wagen. Fast wäre sie gelungen. Doch hungrig, müde und schmutzig griff sie Kriminalpolizei an der Weichsel auf. Von dort kamen sie in ein Nazi-Lager. Weil die Verhöre keine Ergebnisse brachten, lieferte man die Flüchtlinge in das Gestapo-Gefängnis in Poznan ein.

Weil auch dort alle vier Männer, trotz Folter, nicht verrieten, dass sie eigentlich entflohene Zwangsarbeiter waren, wurden sie zusammen zur Arbeit auf ein Schloss geschickt. Gefesselt mussten sie wenig später nach Groß Rosen. Dort rasierte man ihnen einen Streifen auf den Kopf. Als Erkennungszeichen. Nach einigen Wochen bekam Bellash ein Augenleiden. Es wurde so schlimm, dass er eine Augenbinde tragen musste und arbeitsunfähig wurde. Das war im Frühling 1944.

Von Sachsenhausen nach Bergen-Belsen

Arbeitsunfähigkeit bedeutete Abtransport. Die Richtung entschied der Lagerleiter. Der „Schornstein stand mir bevor“, sagte Bellash wortkarg zu dieser Situation. Warum es das Konzentrationslager Sachsenhausen wurde, kann er sich auch nicht erklären. Auch nicht, wieso er nach einem Monat weiter musste, nach Rechlin, den Flughafen ausbauen.

Die Qualen waren unbeschreiblich. Als unser Gespräch auf die Zeit nach der Zwangsarbeit in Rechlin kam, in der Bellash im KZ Dora arbeiten musste und später sogar noch in das KZ Bergen-Belsen verschleppt wurde, brach er das Gespräch ab. Die Herzlichkeit mit der er erzählte, bekam einen radikalen Bruch, die ahnen lässt, wie entsetzlich diese Zeit gewesen sein muss. Bellash sagte zum Abschied sehr leise: „Vielleicht erzähle ich es ein anderes Mal. Heute nicht mehr.

Freitag, 22. April 2005

Das Rudel tollt, damit der Rubel rollt

Modell der Krisenlösung im deutschen HipHop: Die Beginner gehen mit einer DVD an den Start

Ralf Fischer / Junge Welt

Den meisten wird es längst aufgefallen sein: Es kriselt in der Wirtschaft. Der Druck, sich produktiv verwerten zu müssen ist überall spürbar. Den Fließbandarbeiter bei Opel trifft es ähnlich wie den Musiker und sein Label. Schon vor Jahren brachten die Fantastischen Vier das Problem auf den Punkt: »Das Geld, das du nicht hast, kauft sich das, was du nicht willst.«

Die vier Jungs zogen daraus die Konsequenz, soviel wie möglich davon in ihren Besitz zu bringen, damit sich nie wieder jemand etwas kauft, was er nicht braucht. Bei begrenztem Kohlevorrat bleibt einem immer nur die gleiche Frage: In was investieren? Nicht selten zieht Musik bei der Entscheidung den kürzeren. Dies hat zwei plausible Gründe: Eine CD kann man nicht essen, und Musik läßt sich einfach kostenlos als MP3 aus dem Netz ziehen. Davon kann aber nur die Telekom, vielleicht noch Microsoft leben, aber kein freischaffender Künstler. Locker bleiben in der Krise die wenigsten. Weder die Produzenten noch die Konsumenten. Mit der Furcht vor materieller Armut wächst die geistige. Und das in allen Bereichen des Biz, also auch im HipHop. Während Berliner Rapper mit oder ohne Maske Aggressivität und Gewalt zelebrieren, machen in Hamburg einige bekanntere Rapstars lieber auf Deutschquote statt auf dicke Hose. Komischerweise haben beide damit beim Publikum kommerziellen Erfolg.

Ob Party, Fun oder Gangsta, deutscher Rap ist weiterhin ein gutes Geschäft. Um so mehr verwundert es, daß sich gerade die Hamburger Beginner dafür stark machen, daß eine Quote dafür sorgt, daß zur Hälfte deutschsprachige Musik im Radio gespielt wird. Eißfeldt, DJ Mad und Denyo hätten eigentlich kaum Grund zu klagen. Sie sind seit über einem Jahrzehnt erfolgreich unterwegs und haben mit ihrer letzten CD neben vielen Preisen auch die Charts abgeräumt. Dessen ungeachtet, engagierte sich Eißfeldt im vergangenen Jahr in der Öffentlichkeit unermüdlich für die Deutschquote. Allein die Bündnispartner hätten dem singenden Sohn Stammheims die Augen öffnen müssen: Gemeinsam mit der Berliner Band 2Raumwohnung, Heinz Rudolf Kunze und einigen weiteren Volksmusikern warf er sich in die Bresche. Die Beginner, die ehemaligen Sympathisanten der Autonomen, sind in der Mitte Deutschlands angekommen. Sie verteidigen die deutsche Kultur gegen die Überfremdung und musizieren auch mal gemeinsam mit den Protagonisten der Kampagne »Neu Anfangen«, die in Deutschland den Patriotismus fördern will. Mit Mietze zum Beispiel, der Sängerin von MIA, trällerte er im vergangenen Jahr auf dem Album »Rapper’s Delight«, einer Veröffentlichung der Berliner Produzentin Melbeatz. Langsam kommt zusammen, was deutsch denkt und hören will.

Doch wo Schatten ist, war vielleicht auch mal Licht, was die Beginner nun mit einer DVD belegen. Das Hamburger Rudel tollt, damit der Rubel weiter rollt – wenn man will auf dem eigenen Fernseher. Denyo, DJ Mad und Eißfeldt bringen dem geneigten Zuschauer die Geschichte der Band in bewegten Bildern mit viel Sound gemixt näher. DJ Mad – die coolste Sau im TV – der sich, als der Hype um die Band 1999 begann, entschloß nicht mehr öffentlich aufzutreten, da er keinen Bock auf die Nachteile des Startums hatte ...

Nun erzählt er vor der Kamera mit seinen »friends of good taste« von alten Zeiten, der Gegenwart und einer möglichen Zukunft. Auch die Weggefährten der Beginner wie Main Concept, Samy Deluxe, Tropf oder der Altmeister des deutschen HipHop der Heidelberger Torch dürfen auf der DVD ihre sachkundigen Kommentare zum besten geben. Komplett versammelt: Die Fresh Family on DVD. Entstanden ist so, mittels alter Mitschnitte, gesammelter Erinnerung oder privaten Filmaufnahmen, eine Reise durch einen wichtigen Abschnitt in der Geschichte des deutschsprachigen HipHop.

Man bekommt fast alles zu sehen. Vom Anfang, dem Autonomen-Hip Hop gegen Neonazis, noch gemeinsam mit Live-Schlagzeuger und natürlich, legendär, dem vierten absoluten Beginner: PlatinMadin, über die Entstehungsgeschichte von »ill styles«, Touren durch die Jugendzentren des Landes bis hin zu »Flashnizsm«, der enorme Karrieresprung mit »Bambule«. Ob nun Liebeslied oder nicht, bis zum Flash Crash 2000 stürmten die Jungs aus Hamburg die Herzen, Bühnen und Charts des Landes. Dies ist alles auf der DVD zu sehen und zu hören. Der Break folgte ein Jahr später. Die HipHop-Depression 2000 brachte die Beginner nach eigener Aussage darauf, mal abseits der üblichen Pfade eine Krisenlösung zu suchen. Sie verschwanden für zwei Jahre von der Bühne, stattdessen kam der Guerillatownrocker Jan Delay.

2003 setzten die drei Jungs ihren gemeinsamen Siegeszug fort. Auf der DVD wird die Entstehung der letzten Platte »Blast Action Heros« ausführlich kommentiert und dokumentiert sowie mit einigen Mitschnitten von der letzten Tour aufgelockert. Die »Derbste Band der Welt« macht dabei eine gute Figur.

* Beginner: Derbste Band der Welt. DVD. (Buback/Universal)

Dienstag, 12. April 2005

Gegen die Wand

Auf einem Anti-Graffiti-Kongreß diskutierten Ordnungsfanatiker, mit welchen Mitteln ihr Traum von einer sauberen Stadt umzusetzen sei und ließen Taten folgen

Ralf Fischer / Junge Welt

Vor 25 Jahren fing alles völlig harmlos an. Im Westberlin der 80er Jahre tauchten an der kilometerlangen Mauer immer öfter bunte Schriftzüge auf, die manchmal politisch codiert, aber meistens unpolitisch, via Buchstaben und Charakters die unterschiedlichsten Visionen in den öffentlichen Raum katapultierten. Vorbilder für die Kids im Zonenrandgebiet waren Crews aus den Vorstädten der USA, die neben HipHop, Breakdance auch Graffiti weltweit zum Durchbruch verhalfen. Generationen von Jugendlichen fanden seither Gefallen daran, mittels Aufklebern, Markern oder Spraydosen Wände, Gelände, den eigenen Wohnblock, ja die gesamte Stadt in Besitz zu nehmen, um wenigstens von außen die Verhältnisse ein wenig zum Tanzen zu animieren.

Gegner dieser unkonventionellen Aneignung des öffentlichen Raumes gab es seit ihren Anfängen. Doch über den Kreis der üblichen Verdächtigen – Polizei, konservative Politiker und Hausbesitzer – ging die Allianz der Saubermänner selten hinaus. Ihr Ziel: Die Verschärfung der Gesetze. Doch die Rollen waren immer klar zu ihren Ungunsten verteilt. Ein Großteil der politischen Entscheidungsträger setzte auf andere Strategien. Während die organisierte Sozialdemokratie – Gewerkschaften, Sozialarbeiter und sozialdemokratische Partei selbst – immer das Argument der Kunst im Munde führte und für legale Flächen plädierte, waren sich die radikalen Linken sicher, es bei den Sprayercrews mit natürlichen Verbündeten im Kampf gegen die bestehende Ordnung zu tun zu haben. Beides Trugschlüsse mit Langzeitwirkung.

Die Speerspitze

Kulminieren die gut gepflegten Ressentiments, wie rund um den ersten internationalen Anti-Graffiti–Kongress am 7. April in Berlin, dann wundern sich alle beteiligten Seiten einerseits über die merkwürdigen neu entstandenen Bündniskonstellationen sowie die plötzlich zu Tage tretenden unüberbrückbaren Widersprüche zu alten Freunden. In Berlin kam es in den letzten Tagen ganz verrückt: Radikale Linke mobilisierten im Bündnis mit RTL 2 und SPIEGEL TV gegen die selbsternannte internationale »Anti-Graffiti-Bewegung« rund um NoFitti, den Verein zur Rettung des Berliner Stadtbildes, der den Kongreß ausrichtete.

Die organisierte Speerspitze der Bewegung, bestehend aus CDU-Politikern, Unternehmern aus der Reinigungsbranche und anderen Ordnungsfanatikern, konnte auf ihrer Seite den Bundesinnenminister Otto Schily (SPD), die Senatorin für Justiz des Landes Berlin, Karin Schubert (SPD), und den Berliner Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) aufbieten. Selbst der Bundestagsabgeordnete für Friedrichshain-Kreuzberg Hans Christian Ströbele (Bü90/Die Grünen), obwohl Gegner einer Verschärfung der Gesetze, wünschte dem Kongreß per Fax viel Erfolg. Dagegen ließ sich schwer punkten.

Dementsprechend groß die Schmach der Niederlage auf der anderen Seite der Barrikade. Die radikalen Linken blieben mehr oder weniger unter sich. Bei einer Gegendemonstration am vergangenen Donnerstag fehlte das Lager der Sprayer fast vollständig. Die Kongreßinitiatoren luden zu einem Spaziergang durch das Historische Berlin ein, und Aktivisten aus der Graffitiszene riefen zur eigenen Protestkundgebung auf. Sie wollten nicht gemeinsam mit den »Polit-Rowdies« demonstrieren. Auch kein Erfolg. Vor dem Roten Rathaus versammelten sich nur rund 80 Jugendliche und Supporter der Graffiti-Szene. Nachrichtenwert hatte das Mini-Event trotzdem.

Zum Rundgang von NoFitti erschienen dafür rund 100 Personen. Hauptsächlich ältere Männer im besten Anzug und Alter. Ihr Interesse galt zwar auch den Sprayern, doch viel interessanter für sie war die Besichtigung des Holocaust-Mahnmals, wo sie die Stelen mit dem Anti-Graffiti-Schutz made by Degussa bestaunen konnten. Dr. Sabine Giessler von der Degussa AG, Bereich Aerosil & Silane, war denn auch einen Tag später Rednerin vor über 200 Kongreßteilnehmern. Referenten wie Stephan Schwarz, Präsident der Handelskammer Berlin und geschäftsführender Gesellschafter der GRG Dienstleistungsgruppe, oder Dieter Blümmel, seit 1989 geschäftsführender Gesellschafter des Grundeigentum-Verlages Berlin und Vorstandsmitglied der deutschen Fachpresse im Verband der Zeitschriftenverleger (VDZ), paßten da bestens ins Bild und heizten die Stimmung kräftig an.

Nägel mit Köpfen

Insgesamt gelang es den Organisatoren, ihrem altbackenen Image ein neues, etwas moderneres öffentliches Gewand zu verleihen, indem sie teilweise auch vor laufender Kamera zugestanden, daß vereinzelte Graffitis durchaus Kunst seien. Doch bitte nur legale, schoben sie meist hinterher. Ihr Auftreten als Bürgerbewegung täuscht die Öffentlichkeit darüber hinweg, daß es sich bei ihrem Verein einzig um ein paar Hinterbänkler der CDU handelt, die mit Unterstützung einiger Firmen aus der Reinigungsbranche ihrem ordnungspolitischen Traum einer »sauberen und sicheren« Stadt Ausdruck verleihen.

NoFitti schaffte es, die Forderung nach einer Verschärfung der bisher geltenden Gesetze wieder auf die Tagesordnung der Politik zu bringen. Ihre aus der Luft gegriffene Schlußfolgerung, es könne erst dann richtig sozial werden, wenn es so richtig sauber ist, macht dem amerikanischen Vorbild »Zero Tolerance« alle Ehre und darf auch hierzulande mit einer Mehrheit rechnen. Wer einmal angefangen hat, mittels Sprühdosen die Umwelt zu verändern, so der Tenor auf dem Kongreß, der ist auch anfällig für weitere Straftaten, wie zum Beispiel Drogenkonsum oder Beschaffungskriminalität. Stundenlang wurden Statistiken aus skandinavischen Ländern präsentiert, die beweisen sollten, daß die harte Gangart auch schnelle Resultate zeitigt

Und auf der Straße? Dort eskalierte der Krieg in den letzten Tagen. Eine große Koalition der Hardliner möchte mittels BGS-Hubschrauber der »Graffiti-Seuche« (Wolfgang Bosbach, CDU) gleich bundesweit Einhalt gebieten. Schily, ganz Realpolitiker, machte Nägel mit Köpfen: In Berlin flogen prompt Hubschrauber Patrouille. Unerwarteter Weise jedoch hagelte es massive Proteste von Bürgern gegen den lauten Nachteinsatz der fliegenden Überwachungskameras. Selbst in den noblen Randgebieten Berlins war den Einwohnern ihr Schlaf heiliger als unbefleckte Wände.

Sauberer Traum

Die Umsetzung des Traums der Ordnungsfanatiker von einer sauberen Stadt à la 1984 wird nicht nur Widerstand ernten, sondern auch massive »Kollateralschäden« verursachen. Um eine Jugendkultur zu zerstören sind Einschränkungen der persönlichen Freiheiten und viele Sicherheitskräfte erforderlich. Und ob diese Strategie zum Ziel führt, wo doch gerade das Verbotene den Reiz ausmacht, steht in den Sternen. Die Berliner Polizei könnte davon ein Lied singen, wenn sie wollte. Übereifrige Polizisten überfuhren, nur wenige Stunden nach dem Ende des Anti-Graffiti-Kongresses, auf der Jagd nach einem Sprayer, einen völlig unbeteiligten Motorradfahrer in Marzahn. Der 22jährige starb noch am Unfallort. Dem Sprayer gelang die Flucht.

Ende der Story? Noch lange nicht. Der junge Motorradfahrer wird nicht der letzte Tote im Kampf der »Anti-Graffiti-Bewegung« sein. Beide Seiten werden keinen Zentimeter Wand freiwillig aufgeben ... Das steht fest, und damit auch: Graffiti wird auch noch die nächsten 25 Jahre dafür sorgen, daß Berlin als lebendiges Bilderbuch bezeichnet werden kann.

Mittwoch, 6. April 2005

Mob und Elite

Faschismustheorie neue alte Folge: Eine Broschüre macht die »Gefängnisthesen« des fast vergessenen Heinz Langerhans wieder zugänglich

Ralf Fischer / Junge Welt

Als deutsche Truppen im Mai 1940 nach Belgien einmarschierten, wurden Staatsangehörige der Achsenländer zunächst interniert und anschließend nach Südfrankreich deportiert. Unter ihnen war auch Heinz Langerhans, Marxist der sogenannten Korsch-Gruppe, der sich in Belgien vor den Nazis versteckte. Doch er kam schnell in die USA. Vor allem Mitglieder des exilierten Frankfurter Instituts für Sozialforschung und Karl Korsch setzten sich für ein Visum für die USA ein.

1973 erzählte Langerhans in einem Interview von seiner glücklichen Flucht: »Um die scharfen amerikanischen Einwanderungsbestimmungen, wonach kein organisierter Kommunist ins Land gelassen wird, kam ich herum, da ich ein vom Matteotti-Komitee anerkannter politischer Flüchtling war und Fritz Heine mir in Marseille bestätigte, daß ich ein wackerer Sozialdemokrat sei. Die Fahrt nach Amerika verlief auf Umwegen, denn das erste für mich mögliche Schiff ging nach Martinique, der französischen Kolonie im Karibischen Meer. Unsere ›Mannschaft‹ auf diesem Dampfer war ein recht buntes Gemisch. Da war z. B. Victor Serge, die deutsche Dichterin Anna Seghers, André Breton, der mit uns surrealistische Fragespiele veranstaltete; und natürlich Mitglieder der verschiedensten Oppositionsgruppen. Als ich im Mai 1941 endlich in New York ankam, wartete dort durch Vermittlung von Korsch Dr. Felix Weil vom Institut für Sozialforschung, das mir in der ersten Zeit mit einer Art Stipendium weiterhalf.« Bald ging Langerhans nach Boston, wo Korsch lebte, und belegte an der Harvard-Universität einige Kurse, bis er am Gettysburg College eine Professur erhielt.

Einige Jahre zuvor, im Juli 1934, saß Langerhans in einem Zuchthaus der Nazis, da er eine antifaschistische Zeitung produziert hatte. In der Haft verfaßte er auf Zigarettenpapier seine sogenannten »Gefängnisthesen«, die aus dem Zuchthaus geschmuggelt wurden und ihren Adressaten Korsch schließlich Ende 1934 im dänischen Exil erreichten. Im Mai des darauffolgenden Jahres veröffentlichte Langerhans einen Aufsatz mit dem Titel »The Next World Crisis, the Second World War and the World Revolution« in der von Paul Mattick redigierten International Council Correspondence. Wie auch in den »Gefängnisthesen« entwickelte er den Begriff vom »Staatssubjekt Kapital«. Für Langerhans war die von den Nazis behauptete »Volksgemeinschaft« keine Propagandalüge, sondern eine »große soziale Pazifizierungsaktion«. Ein Bündnis von Mob und Elite, das mit allen Mitteln der »politischen Revolution und der Sozialreform die Arbeiterklasse und alle übrigen Schichten weitgehenden Veränderungen« unterwarf und Klassenkampf stillstellte. Die »Zerschlagung aller Klassenorgane der Arbeiter war seine erste Tat«.

Der Aufstieg der NSDAP resultiert für Langerhans nicht aus der Zerfallsperiode der Weimarer Republik. Die faschistische Epoche beginnt für ihn bereits mit dem Ersten Weltkrieg. Die Produktivkräfte waren zu diesem Zeitpunkt nicht mehr mit dem liberalen System des Konkurrenzkapitalismus kompatibel. Sie drohten schon während des Krieges, »das auf Lohnarbeit und Kapital beruhende Nationalstaatensystem zu zersprengen«. Zwar gelang es in den Nachkriegskrisen, die Produktivkräfte wieder in das Produktionsverhältnis Lohnarbeit-Kapital in den kapitalistischen Rahmen einzufügen, »aber die Kapazität des industriellen Apparats kann auch in der Prosperität nicht voll ausgenutzt werden«. In seinen Thesen prohezeite Langerhans auch den Zweiten Weltkrieg, dessen Beginn er für das Jahr 1940 datierte. Im Interview dreißig Jahre später gibt er zwar zu, mit dieser Einschätzung »Schwein« gehabt zu haben, findet aber hierin seine Theorie über das »Staatssubjekt Kapital« bestätigt.

In der nun vorliegenden Broschüre »Staatssubjekt Kapital« sind neben dem Interview von Michael Buckmiller und Jörg Kammler mit Heinz Langerhans von 1973 die beiden wichtigsten und bisher nur schlecht zugänglichen Texte von Langerhans wiederveröffentlicht: »Die nächste Weltkrise, der zweite Weltkrieg und die Weltrevolution« (1934) sowie »Krieg und Faschismus« von 1929.

Ab 1944 publizierte Langerhans in der antistalinistischen Zeitung Network, die von Ruth Fischer herausgegeben wurde. Die Exvorsitzende der KPD war ebenso wie Langerhans 1926 aus der Partei ausgeschlossen worden. Fischer wegen »ultralinker« Positionen, Langerhans wurde »Korschismus« vorgeworfen.

In der ersten Ausgabe von Network – das Ende des Faschismus ist abzusehen – rief Langerhans die deutschen Emigranten in den USA dazu auf, den Stalinismus als neuen Hauptfeind zu erkennen. Zusammen mit Fischer versuchte er in einer Art Vorgriff auf das Komitee für unamerikanische Umtriebe einige Jahre später, tatsächliche oder vermeintliche Stalinisten und GPU-Agenten zu denunzieren. In dem Interview von 1973 finden sich neben Ausführungen seiner Theorie auch Äußerungen, die an Thesen revisionistischer Historiker erinnern. Der faschistische Terror, führte er beispielsweise aus, habe diejenigen nicht überraschen können, »die im Widerstand gegen die Stalinisierung, wie z. B. die Korsch-Gruppe, alle Methoden schon erfahren und erkannt haben«.

Korsch selbst ging noch zu Kriegszeiten auf Distanz zu Langerhans, während Max Horkheimer vom Institut für Sozialforschung, bei dem Langerhans 1931 promovierte, zumindest Verständnis zeigte: »... sein Geist«, so Horkheimer in einem Brief an Felix Weil, »scheint gestört zu sein. Es ist eine Tatsache, daß die meisten Menschen, die in einem Konzentrationslager festgehalten wurden, die Spuren der Hölle in sich tragen.« Heinz Langerhans starb, eher unbekannt, 1976.

* Heinz Langerhans: Staatssubjekt Kapital – Texte zur Diskussion um Faschismus, Krieg und Krise, Reihe »Materialien zur Aufklärung und Kritik« 1, 50 S., 3 Euro, Broschüre zu bestellen bei shg, PF 110706, 06021 Halle, shg.halle@gmx.de

Donnerstag, 17. März 2005

Verflickste Vergangenheit

Wege zum Glücklichsein: Die »Flick-Collection« und die Berliner Republik

Ralf Fischer / Junge Welt

Die Lebenserfahrung lehrt seine Träger meist nur Einfaches. Zum Beispiel: In Familien werden in aller Regel nur die schlechten Eigenschaften, Charakterzüge und Vorlieben vererbt, die positiven Wesenszüge dagegen leider nur äußerst selten. Meistens handelt es sich ja eh nur um Geld.

So muß man also recht häufig genervt feststellen, daß auch eine eher für einfach gehaltene Transaktion innerhalb der Generationen, das Erben, wie so vieles anderes, wenn man es nicht falsch machen will, entweder gelernt sein will oder einfach immer in die Hose geht. Reduziert sich das Erbe nicht nur auf die massenhaft angehäuften materiellen Werte, sondern auch auf die emotionalen Bedürfnisse und charakterlichen Wesenszüge, dann läßt sich zu recht feststellen: Wie der Vater, so der Sohn. Vor allem der deutsche Apfel fällt anscheinend immer neben den Stamm.

In seinem neuen Buch »Von der Kunst des Erben.« hat sich Peter Kessen, seit 1996 Produzent von Reportagen und Hörfunkfeatures in Berlin, diesem Thema gewidmet und sich eine ganz spezielle Familiengeschichte aus Deutschland vorgenommen: nämlich die Geschichte von Friedrich Christian Flick und seinen Vorfahren.

Sein Großvater war prägend: Ein Industrie- und Rüstungsmagnat sowie verurteilter Kriegsverbrecher, der sich beharrlich weigerte, einen seit 1964 vorliegenden Entschädigungsvertrag und damit seine Schuld anzuerkennen. Ein standhafter Deutscher, wie es auch der Bundeskanzler gerne von seinem Vater denkt. Flick senior verstieß seinen Sohn zugunsten des Enkels Friedrich Christian. Der erbte nicht nur ein Vermögen von rund 500 Millionen Euro, er hält bis heute, anders als seine Geschwister, die Lebenslüge des alten Flick aufrecht, wonach er den Krieg »gehaßt« und natürlich den Naziverbrechen fern gestanden hat.

Friedrich C. Flick zieht die Verweigerung der Zahlung gegenüber ehemaligen Zwangsarbeitern durch, obwohl sogar seine Schwester, Dagmar Ottmann, in einem Brief öffentlich gefordert hatte, daß die Ausstellung im Hamburger Bahnhof solange verschoben werden sollte, bis »die Geschichte des Flick-Konzerns aufgearbeitet« sei. In ihrem offenen Brief an Salomon Korn und Michael Fürst, abgedruckt im Buch, beklagt sie auch die Rolle der Bundesregierung. So schreibt sie mit Bitterkeit, daß »von höchst ministerieller Stelle« behauptet wurde, die Flick-Sammlung »schließe in Berlin die Wunde, die die Nazizeit geschlagen« hat.

Doch genau diese Wunden sind solange noch sichtbar, so lange es noch Menschen wie die aus Ungarn stammende Jüdin Eva Fahidi gibt. Dies ist das große Verdienst von Kessens Buch, den Flicks nebst Erben die Parallelbiographie von Fahidi gegenüberzustellen, die sich bei Dynamit Nobel fast zu Tode schinden mußte und deren Familie in Auschwitz ermordet wurde.

Im Gegensatz zu anderen Autoren, die zu diesem Thema schon so einiges publiziert haben, machte Kessen sich die Mühe der Sklavenarbeit, von der die Flicks während des Nationalsozialismus profitierten, ein Gesicht zu geben. Das Gesicht der ungarischen Jüdin verdeutlicht, warum die Forderung nach sofortiger finanzieller Entschädigung nur ein Tropfen auf den heißen Stein wäre, aber eben wenigstens ein Tropfen.

Der freie Journalist Kessen, Jahrgang 1963 und Absolvent der Deutschen Journalistenschule, geht mit seinem Buch ans Eingemachte. Die Geschichte der Familie Flick ist auch die Geschichte Deutschlands nach 1945. So kann man im Buch auch darüber lesen, daß Flick junior, bevor er Kunstsammler wurde. weltbekannter Jet-Set-Playboy war, der sich durch Aktienspekulationen einen Namen machte. Über die Vergangenheit seiner Familie dachte er erst seit Mitte der 90er Jahre nach. Das Porträt, das Peter Kessen von Friedrich Christian Flick zeichnet, zeigt ihn eben nicht nur als Vermögens-, sondern auch als Geisteserben des Rüstungsmagnaten und verurteilten Kriegsverbrechers Friedrich Flick.

Kessen bemüht sich nicht nur, die Liebe Flicks zur Kunst zu ergründen. Ihm geht es auch darum, den gesellschaftlichen Kontext herauszuarbeiten. So steht auch nicht zufällig der 11. November 2003, als Gerhard Schröder und Kulturstaatsministerin Christina Weiss den Sammler zum Kunsttalk ins Bundeskanzleramt luden, im Zentrum des Buches. Wenn die eigene Geschichte nur Schattenseiten aufzuweisen hat, dann versteht sich schon, warum die Kunst das ausbügeln kann.

Christina Weiss sagt es in drei Worten: »Kunst macht glücklich!« Und Erben der Nazis zu besseren Menschen.

* Peter Kessen: Von der Kunst des Erbens. Die »Flick-Collection« und die Berliner Republik. Mit einem Vorwort von Micha Brumlik. Philo Verlag, Berlin 2004, 171 Seiten, 12,90 Euro

Mittwoch, 16. Februar 2005

Glück oder Depression?

Melissa Logan von Chicks on Speed über ihr neues Album »Press the Spacebar«, den Szenebezirk Berlin-Mitte und andere PR-Katastrophen

Ralf Fischer / Junge Welt

* »Press the Spacebar« heißt das neue Album der drei Chicks on Speed Alex Murray-Leslie, Kiki Moorse und Melissa Logan. Es wurde in Barcelona aufgenommen und enthält mehr Punk- und Trashelemente als die zwei Vorgängeralben. Das Genre Label Elektroclash haben die Chicks verlassen. »Feministische Hausfrau in Zeiten von Karrieretum« feiern sie ab und setzen Madeleine Albright ein satirisches Denkmal. Besondere Erwähnung verdient die Hommage an Courtney Love, »Wax my Anus«. Unbedingt laut hören!


RF: Mit »Press the Spacebar« scheinen Chicks on Speed den Elektroclash-Ansatz endgültig aufzugeben. Die Gruppe hat das neue Album mit dem Produzenten Christian Vogel und der Band The No Heads eingespielt. Soll eine neue Musikrichtung entworfen werden?

ML: Die beste Umschreibung für die Platte kam in einem Brief von einem Jungen aus Großbritannien – seine Art zu schreiben war sehr kindlich. Er schrieb: »Ich mag das neue Album wirklich sehr, obwohl ich mir nicht sicher bin, ob es mich glücklich oder depressiv macht, aber bitte sagt Christian, er hat seinen Job echt gut gemacht!« Wir sind wirklich stolz auf dieses Album, aber es sieht so aus, als hätten viele der Journalisten nicht so viel Spaß daran, es zu besprechen. Es scheint, als würden einige Dinge einfach zu ernst genommen werden, vielleicht wegen des aufgeladenen Inhalts, aber natürlich gibt es wie üblich auch den ganzen banalen, albernen Kram. Das ist nicht unsere neue Richtung, sondern lediglich ein weiterer Teil unseres Projektes, das ja insgesamt ein Experiment darstellt. Natürlich haben wir keine Ahnung, was als nächstes kommt.

Oft wird behauptet, die Platte sei viel politischer als die vorherigen. Muß man glücklich oder depressiv sein, um die Gesellschaft grundlegend verändern zu wollen?

Jeder der im Leben, in der Politik und in zwischenmenschlichen Interaktionen nach der Wahrheit sucht, kann ziemlich schnell deprimiert werden. Unzufriedenheit ist für uns ein sehr wichtiges Mittel, fast ein Werkzeug. Unzufriedenheit motiviert uns und macht uns auf Dinge aufmerksam, die auch andere Leute verstehen. In den letzten zwei Jahren wurde jede weltpolitische Katastrophe zur großen PR-Kampagne, um die Menschen einer Gehirnwäsche zu unterziehen und sie glauben zu machen, daß die Regierungen gut sind und für die Menschen arbeiten. In Wahrheit arbeiten sie nur für das große Geschäft.

Wie kamen Chicks on Speed auf die Idee, dem fertigsten Stadtbezirk von Berlin einen Song zu widmen? »Mitte Bitte« ist ja auch sprachlich eine große Ausnahme auf dem Album. Ist das eine Liebeserklärung?


Das ist eher eine Verarsche von »Ich steh’ auf Berlin« von Ideal. Wir dachten, daß wir das mal modernisieren sollten. Wir leben hier, weil wir finden, daß das hier der beste Ort in der Welt ist. Gut, Alex Murray-Leslie ist in Barcelona geblieben, sogar jetzt, wo das Album fertig ist. Ein Freund sagte, Mitte ist voll von »Kulturtouristen, die herumlaufen, und alle sehen so aus wie ich«. Es ist großartig, so viele witzige Leute um sich zu haben, dann ist man kein Einzelgänger mehr. »Mitte Bitte« handelt von dieser Haß-Liebe-Verwirrung, ist aber grundsätzlich ein alberner Song. Und ich mag die Zeile »schlecht gelaunte Preußen, tut uns leid, tanzt auf den Tischen, zerreiß dein Kleid«

Von allen Deutschen sind die armseligen Preußen wirklich die wehleidigsten, aber mit keiner Begründung. Obwohl es traurig zu sehen ist, daß die östliche Bevölkerung aus der Hauptstadt vertrieben wird. Zur gleichen Zeit braucht die Stadt wirklich diesen Zustrom von Menschen aus anderen Orten, um sie lebhaft zu machen. Ausländer sind erforderlich! Bitte zieht nach Berlin, eröffnet Restaurants, kleine feine Läden, Bitte! Wir wollen nicht nur MiniMals und andere Ketten!

* Chicks on Speed and the No Heads: »Press the Spacebar« (Chicks on Speed Records). Mit The No Heads treten Chicks on Speed heute in der Berliner Volksbühne um 21 Uhr auf

Sonntag, 6. Februar 2005

Die alte Leier

Mit der Mitte in die Zukunft heißt Tradition pur

Ralf Fischer / hagalil.com

Im Wettstreit um Wählerstimmen waren die so genannten demokratischen Parteien in diesem Land noch nie sonderlich zimperlich. Vor allem die CDU/CSU läuft immer wieder zu Höchstform auf, wenn es darum geht, den braunen Sumpf mittels der eigenen braunen Propaganda anzuzapfen.

Das viel zitierte Dogma, dass es rechts neben der CDU/CSU keine demokratische Partei geben kann, ist ein wichtiger Faktor, dass innerhalb der Christdemokraten und -sozialen die rechte Klientel kein Randphänomen bleibt, sondern schon immer die braune Mitte in der Partei darstellt.

Das mal wieder unter Beweis zu stellen, trat im Januar beim 7. politischen Neujahrstreffen der extrem demokratischen Rechten in München das CSU-Mitglied Thomas S. Fischer im Rahmen einer Podiumsdiskussion gemeinsam mit dem NPD- Fraktionsvorsitzenden im Sächsischen Landtag Holger Apfel auf. Ziel der Veranstaltung, so sagte der auch anwesende Vorsitzende der so genannten Deutschen Partei, Ulrich Pätzold gegen über dem ZDF-Magazin Mona Lisa, sei, dass "unsere Nachkommen" ein starkes Vaterland in Zukunft erleben, im Gegensatz zum derzeitigen, dass an "Überfremdung, Überschuldung, Überalterung und an übernationaler Beherrschung" leide.
Bei diesem braunen Stammtischtreffen wollte der CSUler Fischer natürlich nicht hinter die anderen Protagonisten der deutschen Neonazisszene zurückfallen. Im Kampf um die Stimmen des deutschen Volkes erprobt, formulierte er seine Ressentiments ins zahlreich versammelte Publikum: "Wenn Herr Beckstein keine Probleme hat, Michael Friedman zu duzen, dann muss ich mich auch nicht dafür schämen, heute mit Holger Apfel an einem Tisch zu sitzen." Punkt, Satz, Sieg.

Es ist die alte Leier in diesem Land, die Opfer werden zu Tätern gemacht, entweder damit man endlich gegen sie wieder mit Verve vorgehen kann, oder um mit ihren erklärten Feinden ein wenig über eine neue Endlösung plaudern zu können. Früh übt sich eben was ein demokratischer Antisemit sein will. Es bleibt nur noch ein Fazit, geklaut von der Elektropopband Egotronic: "Bekackte Deutsche, nichts hat sich geändert, bekackte Nazis!"

Freitag, 4. Februar 2005

Ängstliches Kokeln

The Teacher versus Pädagogen. Eine Tagung in Weimar

Ralf Fischer / Junge Welt

Ende der 70er Jahre schmissen DJs, Breaker, Sprayer und Skater in US-amerikanischen Vorstädten die ersten Blockpartys. HipHop war sexy und rebellisch. Egal, ob Latino, »Black« oder White Trash – via Sprühdose, Skateboard oder Tanz besetzten vor allem jene Kids, die keine Kohle hatten, während der Reagonomics den tristen Alltag in ihren Ghettos. Nie ging es dabei nur um Party. Viele wollten mehr sein als Teil einer Jugendbewegung. KRS One zum Beispiel, einer der ersten MCs (Rapper) dieses Planeten, kehrte seinem zerrütteten Elternhaus sehr jung den Rücken und lebte fortan auf der Straße. Dies war nicht sein Ende, sondern der Anfang seiner Weltkarriere. And he is also known as »The Teacher«.

KRS One brauchte gerade mal noch Bibliotheken, um zu erkennen, daß sich die Welt nicht so, wie sie eingerichtet ist, weiter drehen darf. Sein politisches Engagement war auf dem eigenen Mist gewachsen, einfach durch intensives Studium der Umgebung, nicht durch die Agitation staatlich bezahlter Sozialpädagogen. Um dies zu verstehen, oder auch nicht, trafen sich am vergangenen Wochenende Sozialpädagogen, unbedarfte Jugendliche, Vertreter der politischen Bildungsarbeit und eine Handvoll Experten aktueller Jugendkulturen in Weimar. Das Desaster dieses Aufeinandertreffens sei hier umrissen.

»Popkultur und Politik« war das Thema der Konferenz, veranstaltet vom Archiv der Jugendkulturen e.V. in Zusammenarbeit mit der Landeszentrale für politische Bildung und der Europäischen Jugendbildungs- und Jugendbegegnungsstätte Weimar. Doch schafften es die Sozialpädagogen und Referenten, das Thema fast komplett unter den Tisch fallen zu lassen. Statt es zu erörtern, geiferten sie nach Konzepten, die mit/über/durch HipHop oder andere Subkulturen ihre Jugendarbeit wieder populär machen könnten. Unbedingt wollten sie die Schäfchen, die sich ihrer Kontrolle entziehen, endlich wieder unter ihre Fittiche, ihre Kontrolle, bekommen. Wo pädagogische Projekte wie Malen nach Zahlen oder Aerobic zu 80er-Jahre-Hits auf ganzer Linie gescheitert sind, ist diese händeringende Suche nach neuen Ansätzen wohl verständlich. Wenn aber für paar Kröten vom Staat nun etwa HipHop-Musicals produziert werden sollen, gehört das nach allen Regeln der Kunst denunziert.

Zur Krönung wußten die versammelten Wohlmeinenden zu berichten, daß der deutsche HipHop-Trend – Aggro Berlin, AZAD, Kool Savas – das Ende der Fahnenstange jeder bislang ach so toleranten Jugendkultur sei. Wer Drogen verherrliche und sich sexistisch oder eindeutig homophob artikuliere, sei ein gesellschaftliches Problem. So die eingängige Argumentation der Jugendarbeiter. Klasse Erkenntnis! Die übergroße Mehrheit der bundesdeutschen Jugendlichen dürfte diese Kriterien erfüllen. Was für ein Potential! Genug Arbeit für Jahrzehnte.

»Each one teach one« war der Leitspruch von KRS One. Einige Sozialarbeiter dagegen zogen ein anderes Motto für ihre Jugendarbeit in Erwägung: Schlage einen, erziehe Hunderte. HipHop will nicht bildungshubermäßig auf Kids einwirken, sondern Möglichkeiten und Schwierigkeiten des Bizz aufzeigen, welches das Leben ist. Die Beats sind, ähnlich wie im Techno, Herzschläge: So geht die Taktfrequenz des Lebens, legal oder illegal. Pädagogen können das nicht mal ansatzweise nachvollziehen. Ihre Taktfrequenz ist vom Staat vorgegeben. Deswegen kann sozialpädagogischer HipHop nur jedem am Arsch vorbeigehen. Schon aufgesetzt sozialkritischer deutscher HipHop erreicht nur das politisch korrekte Publikum. Das »Nein« der HipHop-Rebellen richtet sich gegen jeden gesellschaftlichen Konsens.

Wie konformistisch diese Revolte letztlich ist, konnte in Weimar kaum reflektiert werden, weil die Sozialpädagogen ihren Ressentiments jedesmal ungefragt freien Lauf ließen, wenn es spannend zu werden drohte. Man fühlte sich in die eigene Schulzeit zurückversetzt, in der Musik zum Lebenselixier wurde. Nachdem einem Erzieher übel mitgespielt hatten, brauchte es den emotionalen Sandsack, die weiche Wolke, in die man sich fallen lassen konnte. Damals lernte man, daß Musik und Pädagogik sich zueinander verhalten wie Feuer und Wasser. Deshalb, an alle HipHopper: Paßt auf, daß euer Feuer weiterbrennt und sich die Staatsbüttel ihre Finger verbrennen. Stay Raw! Stay Rebell!

Freitag, 28. Januar 2005

Poplinks in Weimar

Spektakel mit üblichen Verdächtigen

Ralf Fischer / Junge Welt

Auch im 21. Jahrhundert geht die Diskussion weiter, wie es mit der so oft schon verfluchten Popmusik in unseren Abspielgeräten weitergeht. Wie politisch oder unpolitisch diese überhaupt sein kann.

Vielleicht liegt die Hoffnung ja im Thüringer Wald vergraben, in Weimar womöglich. Ab heute wollen dort linke Popper oder/ und Poplinke und solche, die es werden wollen, mal wieder über ihren Fetisch, die Popkultur, diskutieren. Unter dem klassisch-bananigen Titel »Popkultur und Politik« wird über die üblichen Fragen getagt: Sind Jugendkulturen wie HipHop, Techno oder Punk so progressiv wie ihr Ruf? Was ist Interpretation und was Realität? Und vor allem: Wem nützt es außer den Plattenfirmen? Natürlich sitzen die üblichen Verdächtigen auf den Podien; Murat Güngor (Kanak Attak), Martin Büsser (testcard), Jörg Sundermeier (Verbrecher Verlag) und Autoren der Popmagazine Spex und De:Bug. Veranstaltet wird das Spektakel u.a. von recht unspannenden Institutionen wie dem Archiv der Jugendkulturen e.V. sowie der Europäischen Jugendbildungs- und Jugendbegegnungstätte Weimar (EJBW). Und am Samstag abend gibt es Konzert mit den Electrorockern Egotronic und den HipHoppern Koljah&Taiphun. Kopfnicken und Rocken, Sie wissen schon.

* Komplettes Programm unter: www.ejbweimar.de

Montag, 24. Januar 2005

Antifa, der Tanz um den Erfolg?

Fragmente einer Debatte...

Ralf Fischer / Vortrag in Halle

Emma Goldmans Ausspruch davon, dass wenn sie nicht tanzen könne, es auch nicht ihre Revolution sei, wird in vielen Mündern geführt, meist in vulgär-anarchistischen, doch gerade wir, hedonistische oder kosmopolitische Kommunisten, sollten uns dies nicht zum Vorwand werden lassen, diese an genau der richtigen Stelle zugespitzte Formulierung ernst zu nehmen, ja uns zu eigen zu machen...

Führen wir uns doch mal folgenden Umstand vor Augen: Als proisraelische Kommunisten, ecken wir schon ständig an jeder erdenklichen Barriere des im linken Mainstream verbreiteten Denkens an. Bisher führte dies 'nur' dazu das einige bekannte Gesichter geoutet wurden, oder - noch sehr selten - auch körperlich attackiert werden. Interessant dabei ist, dass sich gerade die sie sich selbst als undogmatischen Linken bezeichnenden bei dieser Hetzjagd sich am meisten hervorheben...

Die wirklich revolutionsbegeisterten Deutschen (DKP, SAV, Linksruck, isl, usw.) würden uns sofort, neben einigen anderen, am nächsten Baum aufknüpfen, wenn sie es könnten. Aktuell verhindert dies das Gewaltmonopol des Staates sowie die Unfähigkeit der linksdeutschen Revoluzzer. Doch weder auf das Eine, noch das Andere, möchte mensch sich auf Dauer verlassen müssen.

Unsere Perspektive, ist weder die bolschewistische Revolution oder die derzeitige Elendsverwaltung, noch die soziale Reform. Doch was bedeutet es genau, wenn wir sagen, dass wir weder den ersten, noch den zweiten oder gar den dritten Weg für gangbar halten? Bedeutet es, wie häufig auf dem linken Internetportal Indymedia behauptet wird, dass wir uns in den Elfenbeinturm zurückziehen und ein wenig Theorie pauken, weil wir, laut Verfassungsschutz, den "Antisemitismus der Deutschen" als genetischen Defekt analysiert haben? Und damit auch alle revolutionären Hoffnungen aufgegeben haben?

Eines noch schnell vorweg, es ist sehr wichtig zu erwähnen, in dem Text folge ich der Feststellung des französischen Philosophen Vladimir Jankèlèvitch: "Schau nicht darauf was sie sagen, schau darauf was sie tun." die er in seinem Buch 'Das Verzeihen' als eine der zentralen Formel setzte.

Zuerst das linke Bein nach vorne... 
Die veränderten Tanzformationen - Phase 1

Vor 15 Jahren war die linke Welt zwar nicht mehr in Ordnung, aber für viele noch ein wenig mehr geordneter als heutzutage. Die neonazistische Klientel auf der einen und ihre Gegner, die Antifaschisten, auf der anderen Seite waren leicht am Äußeren zu unterscheiden und die beiderseitige Rollenaufteilung war auch allen weit und breit bekannt. Die Regeln waren auf beiden Seiten vermittelt. Die Trennungslinien auch. Doch was war damals wirklich bekannt? Mehr als Neonazi = Böse und Antifa = Gut war da selten zu hören...

Theoretisch ging es den Antifaschisten Anfang der 90er Jahre beim Kampf gegen Rechts sogar ums Ganze, also den Klassenkampf, die Revolution oder auch wahlweise der gemeinsame Sturm auf die gesamten Bäckerei. Die Grundlage dieses Denkfehlers lieferten die alten Mythen der marxistisch-leninistischen sowie autonomen Ideologie. Die wichtigsten Gralshüter des verwesenden Erbes der Linken waren einerseits die DKP, andererseits die AA/BO.

Beide Organisationen waren der Garant für möglichst flache Inhalte, eine breite antifaschistische Einheitsfront, die bis in das christliche sowie sozialdemokratische Milieu reichte, und ästhetisch natürlich das kleine Schwarze. Wer diese Zeit ein wenig reflektierte, dem war die Konsequenz aus dem Konstruktionsfehler klar: die bundesweite Organisierung AA/BO sowie die regionalen Antifa-Gruppen haben sich in den letzten Jahren in Wohlgefallen aufgelöst weil sie keine inhaltliche Grundlage für eine Zusammenarbeit mehr sahen, einzig die DKP hinkt noch ein wenig dieser Entwicklung hinterher. Doch auch da gibt es ja die ersten positiven Anzeichen für ein Spaltung.

Der wichtigste Faktor der diese 'Bewegung' damals zusammenhielt, war einzig die Erkenntnis, das hinter dem notwendigen Anti-Nazi-Kampf die Streitigkeiten um die richtige Theorie - erst einmal - zurückstehen sollte. Die Defensive der radikalen Linken, nach dem Anschluss der DDR an die BRD, sollte durch Geschlossenheit überwunden werden. Doch erwies sich als fataler Trugschluß. Die Auseinandersetzung um Theorie und Praxis wurden durch die ständigen Aktionen gegen die Neonazis völlig in den Hintergrund verdrängt und in die üblichen Theoriezirkel abgeschoben. Wenn es mal zu Debatten kam, dann sehr sporadisch und selten über den begrenzten Anti-Nazi-Tellerrand hinweg. (Rassismus, Innere Sicherheit und 8. Mai)

Dies führte zu einer Fixierung auf Aktionen, sprich völligen Verblödung innerhalb der antifaschistischen Szene. Exemplarisches Beispiel dafür war der Auftritt der Antifaschistischen Aktion Berlin 1999 in Leipzig auf dem Verstärker-Kongress als ein Vertreter dieser Gruppe anfing die Thesen von Dimitrof vor dem Publikum wieder aufzuwärmen. Und dies obwohl schon Mitte der 90er Jahre das BGR, Veranstalter des Kongress, aus Leipzig gegründet wurde, eine damals wohltuende Entwicklung, und seine Thesen zum rechten Konsens breit zur Diskussion stellte. Anfangs fanden die antinationalen Positionen des BGR regen Zuspruch innerhalb der radikalen Linken, vor allem aber im Osten, weil sie die logische Weiterentwicklung, aus der Situation im Osten heraus, waren. PDS-Politiker die ungeniert mit Neonazis die "kontroverse Debatte" suchten, und dabei feststellten kaum kontroverses gefunden zu haben, gab es zu Hauf in der Zone. CDU oder SPD-Politiker die von "unseren Jungs" sprachen genauso.

Interessanterweise wurde diese Entwicklung hauptsächlich im Osten analysiert, obwohl in nicht wenigen Regionen in Westdeutschland seit Jahrzehnten ähnliche Phänomene zu finden waren (z.B. in Ortschaften in den Bundesländern Hessen, Bayern oder Schleswig-Holstein) und immer noch sind. Vermutung: die ideologischen Scheuklappen waren in der Zonen noch nicht so ausgeprägt wie bei den seit Jahren im antiimperialistischen Kampf geschulten westdeutschen Linken.

Doch nicht nur das BGR war einmal fortschrittlich. Die Antifa Aktion aus Berlin war vor allem in Fragen der Gedenkpolitik sowie antideutscher Interventionen in der Zone noch sehr auf der Höhe ihrer Zeit. Transparente wie 'Ehrenburgs willige Vollstrecker' oder die Unterstützung von antideutschen Demonstration in der ostdeutschen Provinz zur Abstrafung von ganzen Dorf- oder Kleinstadtkollektiven (u.a. Gollwitz, Bernsdorf) standen früher auf dem Programm der nach eigenen Angaben 'größten Antifagruppe aus Deutschland'. Auch die Ansicht via POP-Antifa, weit verbreitet in der AAB, mehr Menschen zu motivieren war in den 90er Jahren nicht die Dümmste. Sie blieb aber nur ein Ansatz modisch nicht mehr um Jahrzehnte hinterher zu hinken, während theoretisch nur auf einem recht lauem Niveau diskutiert wurde. Letztendlich brachte die Debatte kaum etwas, außer der Einsicht, das Subkulturen nicht viel besser sind, als der Mainstream. Und damit die Möglichkeit auch mal Madonna neben Quetschenpaua als Soundtrack auf Demonstrationen abspielen zu können.

Doch wenigsten wurde nach dem Lauch des BGRs sowie den antideutschen Debatten nach dem 8. Mai 1995 gerungen um die Frage, kann Antifa denn wirklich alles sein, oder ist alles ohne Antifa nichts? Die Antworten aus Göttingen, die Zentrale der Bewegung, waren eine bunte Mischung aus allem. Die eh schon wackelige Einheitsfront sollte nicht per Theoriedebatte gesprengt werden. Somit war der Bewegung theoretisch Stillstand verordnet worden, während praktisch genau das Gegenteil lief. Dieser Stillstand implodierte erwartungsgemäß. Recht spät zwar, wahrscheinlich weil die Disziplin und der Wunsch auf eine Lösungsmöglichkeit innerhalb der Struktur bis zu bitteren Ende noch recht hoch in der BO waren.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die meisten der damaligen Antifa-Aktionen allein der Selbstvergewisserung derer, die sie begingen, dienten. Wir sind 'die Guten'. Nur einige wenige Individuen schafften es aus diesem Sumpf ihr eigenes Haupt zu erheben, um endlich das Gehirn einzuschalten. Meistens sind die, die es blickten, heute in kleinen antideutschen Gruppen organisiert, zogen sich ernüchtert ins Private zurück oder sind einfach aus diesem Land ausgewandert.

Dann das rechte Bein nach links...
Mit der Masse auf dem Weg ins geistige Nirvana - Phase 2

Nach dem großen Knall, kam die Landung. Und dazwischen, fast wie aus heiterem Himmel, kam auch noch der Aufstand der Anständigen. Viele, auch außerhalb der AA/BO organisierte autonome Antifaschisten, setzen nun ihre Hoffnungen wie selbstverständlich auf die anschließende Phase der Organisierung. BO kaputt, egal, es geht weiter wie bisher; das war unter der häufig eingeforderten antifaschistischen Kontinuität zu verstehen. Die Fortsetzung der ersten, sozusagen. Die Masse, selbst der organisierten Antifas, hoffte darauf das ihr das Denken, von der vorher schon als Avantgarde akzeptierten, M aus Göttingen, sowie der AAB und dem BGR abgenommen wird. Schon als auf dem zweiten Antifa-Kongreß in Göttingen die ersten Flyer für ein Abonnement der neuen Zeitung 'von der Bewegung für die Bewegung' - Phase 2 - verteilt wurden, hätte klar sein müssen, dass sich die Dummen wieder gefunden hatten, die gleichen alten Fehler noch einmal zu begehen.

Die Flyer waren neben den inhaltlichen Angebote auf dem Kongress die Vorboten einer noch magereren Zeit, die erst noch kommen sollte. Auf dem Kongress versuchten die drei Powergruppen den Vorschlag an die Frau oder den Mann zu bringen, dass es vielleicht möglich wäre mit dem Thema Antiglobalisierung die Krise der Antifa zu überwinden. Widerspruch rief dieses Ansinnen zwar hervor, doch nicht wie vielleicht zu erwarten, mit dem Hinweis, bevor das nächste Abenteuer begonnen wird, wenigstens das zurückliegende ein wenig zu reflektieren, sondern mit dem Vorschlägen sich doch lieber Themen wie Rassismus oder Sexismus mehr zuzuwenden. Einige andere wollten einfach nur 'Sand im Getriebe der kapitalistischen Bestie' sein und viele andere Antifas planten schon wieder die nächste Kampagne.

Die Entwicklung danach war geprägt von der Debatte um den Sommer der anständigen Aufständigen. Die DKP-lastige Antifa, kein Stück reflexionsfähig, verbiss sich in der Annahme endlich in Deutschland die Neonazis gemeinsam mit der wachgerüttelten Zivilgesellschaft wegrocken zu können. Doch mit dieser Annahme blieben sie zum Glück mehr oder weniger allein...

Das BGR, sowie fast alle anderen autonomen Antifagruppen, positionierte sich kritisch gegenüber der neuen deutschen Zivilgesellschaft. Hoffnung keimte in der Ex-AA/BO auf. Doch das verbindende Elemente der gemeinsamen Kritik an der Zivilgesellschaft fing genau in dem Augenblick an zu bröckeln, als mehrere Flugzeuge in den USA via antiimperialistischer Selbstmordkommandos in tödliche Waffen verwandelt wurden und Tausende Menschen in den Tod rissen. Der 11.September 2001 blieb für die Antifa nicht ohne Folgen... Der Anschlag auf das World Trade Center in New York sowie das Verteidigungsministerium in Washington und der Beginn der zweiten Intifada, waren die Knackpunkte, die letztendlich überhaupt dazu führten das sich die bekannten Gruppenzusammenhänge bundesweit nach und nach auflösten (AAB; Antifa K, Antifa M, Autonome Antifa in Kassel...) und eine Reihe neuer Antifagruppen auf der Bildfläche auftauchten. (Bad Weather, A2K2, Mila 26, AANO, ...)

Es ging nicht mehr zusammen, was jahrelang wie Pech und Schwefel zusammenhing. Der Konsens gegen Neonazis reichte nicht mehr als Organisierungsgrund aus. Logisch, wenn 300.000 Menschen, dem Aufruf des Bundeskanzlers Gerhard Schröders folgen und gegen den anwachsenden Rechtsextremismus demonstrieren, also Deutschland einig Antifa ist. Es fiel alles auf einmal zusammen, die extremen Meinungsverschiedenheiten über die aktuelle außenpolitische Lage, sowie die innenpolitische Situation, das nun plötzlich alle anständigen Deutschen gegen die Neonazis waren. Eine Existenzberechtigung für die autonome Antifa schien nicht mehr gegeben zu sein.

Kurzzeitig gab es dann auch so etwas wie eine zweite Phase. Wegen der Brüche quer durch die unterschiedlichen Zusammenhänge mussten sich viele mit ihrem Selbstverständnis als autonome/r Antifa auseinandersetzen. Identitäten brachen auf. Alte Kodexe flogen über Bord, endlich ging es nicht mehr um die sonst übliche Frage ob nun Fleisch oder Tofu, sondern um theoretische Themen die weit darüber hinaus gingen. Doch wer hoffte durch Diskussion über ehemalige Selbstverständlichkeiten endlich den großen Wurf zu landen, wurde schnell enttäuscht; die meisten älteren Antifaschisten entschieden sich recht fix für die Methode Schublade.

Es gab auch Ausnahmen. Antifagruppen, die schon länger sich aus der Aktionsfixierheit gelöst hatten, wie zum Beispiel die Antifa Aktion in Potsdam (AAPO), machte da weiter, wo sie bisher schon aktiv waren. Ihre Schwerpunkte lagen auf der Gedenkpolitik sowie der Kritik der offiziösen, in der Jugendarbeit und im normalen Abwehrkampf gegen die neonazistischen Strukturen in ihrer Hometown. Einige andere Gruppen, mit ähnlichem Background, brauchten noch solche Erfahrungen wie im Dezember 2002 in Kopenhagen als die antizionistische Linke gegen den EU-Gipfel aufmarschierte. Die AANO mobilisierte zwar noch zum Gipfel, machte aber eine Woche vorher einen kompletten Rückzieher, weil sie die antizionistische Dimension der unterschiedlichen Aktionen in Kopenhagen dann doch noch wahrnahm. Die Hallenser Antifaschisten, die sich auf den Weg machten, mussten vor Ort die Prügel von der versammelten antizionistischen europäischen Linken einstecken. Der Skandal war da. Interessierte zwar nur wenige, aber in der antifaschistischen Szene im Osten, war mehr oder weniger klar: Aktionen gegen die EU im europäischen Maßstab sind zukünftig zu unterlassen.

Es setzte sich immer mehr durch, dass jahrelang die Theorie völlig außer acht gelassen wurde, und dementsprechend ein Nachholbedarf besteht. Bisher war die Strategie der AA/BO, wenn etwas nicht mehr genügend Masse mobilisierte auf ein neues Thema aufzuspringen, statt die vergangenen Fehler einmal zu analysieren. Nach dem Aufstand der Anständigen sah es ein wenig anders aus. Die blinden Flecken Antisemitismus und Antiamerikanismus innerhalb der Linken und die deutsche Ideologie allgemein wurden von vielen in dieser Zeit zum ersten Mal wirklich erkannt und offen benannt. Die Phase 2 machte bei dieser Debatte noch eine relativ gute Figur. Einzig lustig zu erwähnen wäre der damalige Standpunkt des BGR, dass die Neonazis nun auch keine Relevanz mehr haben, und deshalb die Antifa ihre übliche Arbeit einzustellen hätte. Gut, dass damals nicht alle diesem Blödsinn folgten...

Doch dies war 2003. Danach folgte 2004. Getreu dem Motto "Aus dem Auge, aus dem Sinn" fing das BGR letztes Jahr mit dem selben Anti-EU-Quatsch an wie andere vor zwei Jahren, zwar nicht auf den üblichen europaweiten Mobilisierungen, aber dafür innerhalb Deutschlands. Ausgerechnet zum 60. Jahrestag des D-Days wollten die Leipziger ernsthaft in Berlin gegen die EU, statt gegen Deutschland, demonstrieren. Zum Glück konnte dies verhindert werden, und wurde dann im Sommer letztendlich nur eine kleine Demonstration in Leipzig.

Nach diesem Debakel für das BGR, lag ja glücklicherweise gleich wieder ein neues Thema vor: Antifa. Als hätte es all die Debatten der letzten Jahre nicht gegeben, einer vom Leipziger ThinkTank nicht selber noch Ende September in der Jungle World erklärt, dass Antifa ausschlafen bedeutet, sprich nicht jeder Neonaziaktion eine Reaktion entgegenzusetzen wäre, waren sie allesamt am 03.Oktober 2004, statt auszuschlafen, oder in Erfurt gegen Deutschland auf die Straße zu gehen, wohl in Connewitz, um ihr linkes Wehrdorf gegen die Bedrohung durch Christian Worch und 140 seiner besten Kameraden zu beschützen.

Nun ist eigentlich nur noch die Frage ob die Materie über den Geist siegte, oder es sich um das alte Phänomen handelt welches immer mit dem Spruch 'links blinken, rechts abbiegen' umschrieben wurde. Aller zwei Jahre, am Beispiel des BGRs, nun sogar fast jedes Jahr, das Betätigungsfeld zu verlegen, weil vorher der Zuspruch zu gering war, ist ein Farce die sich kaum in Worte fassen lässt. Das Schwanken zwischen den Position führt zu völliger Vernebelung und Anbiederung an die linksdeutsche Masse. Vorgestern Antirassismus, gestern Europa und heute die Neonazis zu thematisieren und morgen vielleicht die Feinde des Westens, kann ja noch okay sein, aber jedesmal zu behaupten, die neue linksradikale Innovation am Start zu haben, quasi am Puls der Zeit zu sitzen, macht genau jene erwähnte Farce aus.

Es ist so, wie die "Genossin Susanne" in einem Beitrag für die Jungle World auf die Linke gemünzt sagt "Die Analysen der deutschen Gesellschaft werden immer wieder vergessen, sobald sich ein paar tausend deutsche in vermeintlicher Opposition zum Staat auf die Straße gehen", nur das es ein wenig verändert, der Realität des BGRs angepasst, so klingen müsste: "Die Analysen über die Antifa werden immer wieder vergessen, sobald ein paar Neonazis in ein Länderparlament einziehen, und/oder sich ein paar tausend Linke gegen einen Neonaziaufmarsch mobilisieren lassen."

Gut, nicht nur die Phase2 ist vom Bewegungshopping betroffen. Das beste Beispiel neben der zweiten Phase gibt derzeit die Jungle World aus Berlin. Diese sollte hier nicht unerwähnt bleiben. Gerade sie zeigt auf den ersten Blick, man braucht sich nur die Titelseiten der letzten Jahre anschauen, die linke Beliebigkeit in Höchstform. Vielleicht liegt es ja daran das es Zeitungen sind, die sich in Deutschland verkaufen müssen. Doch dies ist wirklich kein vernünftiger Grund mit der Fahne im Wind auf Abonnentenjagd zu gehen, statt kritische Theorie zu betreiben.

Es sind genauso die alten linken Mythen, wie das Bewegungshopping, der Massefetisch und die noch immer währenden kapitalistischen Sachzwänge auf der einen Seite, aber auch die eigene Borniertheit, Eitelkeit und Selbstzufriedenheit auf der anderen Seite, die Zeitungsprojekte wie Jungle World und Phase 2 zu einer unangenehmen Lektüren werden lassen.

In den Politprojekten BGR und KP Berlin sieht es fast genauso aus. Beiden geht es nur noch darum Themen aufzugreifen, mit denen viele Menschen mobilisiert werden können. Womit die Sache auch beim Namen genannt werden kann: praktischer Opportunismus. Das BGR schafft es dabei noch am besten als das kritische Gewissen der Bewegung aufzutreten. Die KP in Berlin hat spätestens seit der gemeinsam mit Attac und der ALB organisierten Anti-Hartz-Demonstration am 03. Januar 2005, aber eigentlich schon seit dem 03. Oktober 2003, ihre ernsthaften Probleme mit der kritischen Theorie ganz offen zur Schau gestellt.

Ohne Zweifel, lässt sich feststellen, dass das BGR sowie die K&P sich von der eigenen Ohnmacht, und dem eigen politischen Umfeld dumm machen lassen haben, und das Netzwerk der recht kleinen 'antideutsche Antifa' dies nicht nachmachen sollte... Ohne dabei jetzt in Revolutionsromantik zu ergehen, aber die Perspektive durch ständiges Fahne in den Wind halten schneller oder überhaupt zum Kommunismus zu gelangen ist noch geringer, als einzusehen, dass es, gerade in diesem Land eine verdammt unrevolutionäre Zeit ist, in der nur eine einzige Fahne in den Wind gehört...

Und zum Schluß eine Drehung um 180 Grad...
Jetzt oder nie; kritische Praxis und Theorie - Phase 3

Der Tanz um das Volk, oder seine linken Protagonisten, geht immer hin und her; mal wird distanziert kritisch getanzt, mal eng umschlungen. Es ist immer auch ein Tanz um den größten Erfolg. Trennen davon können sich nur die wenigsten. Den Tanz links liegen lassen hielten weder die KP in Berlin, noch das BGR in Leipzig lange durch. Bleibt die Frage: Warum?

Gerade beim BGR verwundert die neueste Trendwende; ihre inhaltliche Intervention vor vier Jahren die Antifa sei nicht mehr der Hebel für linksradikale Politik, sondern neue Themenfeldern seien jetzt zu bearbeiten, war ja nicht gerade eine Eintagsfliege. Doch schon im letzten Jahr bröckelte es in der Argumentation, und vom BGR wurde die Notbremse gezogen. Erst praktisch auf der Straße am 03. Oktober in Connewitz, später dann im sächsischen Pirna, dann, um es plausibel zu machen, theoretisch in der Phase 2 Ausgabe Nummer 14.

Die ewige Quadratur des Kreises:
Wenn nichts mehr hilft, dann helfen die Neonazis...

Die alte Leier; je weiter die Antifa sich versuchte mit anderen Inhalten auseinander zu setzen, die über das: 'Neonazi, den machen wir platt', hinaus ging, wurden es immer weniger Menschen die daran teilnahmen. Mit fundierter Kritik an Deutschland waren in den letzten Jahren nur noch wenige Menschen auf die Straße zu mobilisieren. Selbst mit der als Kritik an der EU getarnten Variante funktionierte die erhoffte Mobilisierung nicht. Doch nun gab es wieder Hoffnung, ein zweiter Aufstand der Anständigen droht, diesmal aber auch von den damaligen Kritikern mit angeschoben.

Bleibt immer noch die Frage nach dem warum? Es ist noch nicht ganz so wie im Sommer 2000, doch der damalige Aufstand musste sich ja auch erst warmlaufen. Diesmal ebenso. Diese Phase wird aber bald vorbei sein, das Ziel ist nämlich beim zweiten Versuch leichter zu durchschauen, oder um es deutlicher auszudrücken, es liegt auf der Hand: Die 60. Jahrestage der Befreiung vom Nationalsozialismus. Und dies in einer Zeit, wo sich Rot-Grün gerade auf allen diplomatischen Wegen um einen ständigen Sitz im UNO-Sicherheitsrat bemüht. Eine Zeit also in der das Ausland auf das Inland schaut, weil nicht wenige glauben in Germany eine Alternative zu den USA zu haben.

Eine Zeit, 60 Jahre nach dem letzten Versuch die Weltherrschaft an sich zu reissen, die industrielle Vernichtung der JüdInnen zu betreiben, sowie viele weitere Schweinereien, jenseits jeglicher Menschlichkeit zu begehen.

Einer Zeit in der sich das Inland normalisiert fühlt, seinen Opfern von der so genannten Vertreibung sowie von den alliierten Bombenattacken vor 60 Jahren offiziell betrauert, und dementsprechend über 60% ihr Unbehagen auf JüdInnen und Israel offen zum Ausdruck bringen und wenigsten 50% die dies ähnlich bei MigrantInnen sehen.

Wir sind eben wer, und kommen nach dem Abzug der Alliierten langsam aber sicher wieder zu uns. Modernisiert und mit neuen Ideen, aber weiterhin den alten Idealen verbunden. Eine logische Konsequenz aus dieser Entwicklung kann nur sein, dass die Nostalgie, dass wir einmal tausende Antifaschisten mobilisieren konnten, schleunigst weg muss. Wurzen liegt fast 10 Jahre zurück. Eine solche Mobilisierung aus autonomen Antifakreisen heraus wird es nach dem 11. September 2001, dem Irakkrieg sowie der innerlinken Nahostdebatte nicht mehr geben. Und, um mit dem regierenden Bürgermeister meiner Mutterstadt zu sprechen, das ist auch gut so.

Was als nicht 'gut' zu bezeichnen wäre, ist die braune Entwicklung in Deutschland. Doch verwundern sollte sie auch nicht. Nach einem rechten Konsens muss eben nicht zwangsläufig ein linker kommen, auch wenn Rot-Grün die Bundesregierung stellt, sondern es kann auch ein neonationalsozialistischer Konsens werden.

Das Fazit daraus wäre, die bürgerliche Gesellschaft, wird immer mehr eine Schimäre in Deutschland, vor allem aber in der Zone. Dies muss man vor Augen haben, bevor man agiert... Denn Antifa ist in einem ganz anderen Sinne, der Kampf ums Ganze, nämlich der Kampf um die Rückgewinnung der Möglichkeit eine soziale Revolution in diesem Land überhaupt machen zu können. Der Kampf gegen die Träger der deutschen Ideologie war anfangs einer gegen die Neonazis, nun, nach vielen Debatten wächst die Erkenntnis, dass es vor allem ein Kampf gegen den ganzen deutschen Mob, auch dem linken, sein muss, um überhaupt Sinn zu machen..

Die Ironie der Geschichte ist, dass viele Antifaschisten in den 90er Jahren unbewusst das Richtige gemacht haben, und als ihnen dies bewusst wurde, schnell umgeschwenkt sind, um das Falsche zu machen. Unter anderem deshalb ist der rechte Konsens in der Zwischenzeit ein deutscher Konsens gegen das Amerika des George W. Bush und das Israel von Ariel Sharon geworden. Dieser zieht sich von radikal links bis extrem rechts und auf der Straße bei unzähligen Friedensdemonstrationen in der Zone wurde er sogar schon erfolgreich erprobt.

Die Antwort auf diese Entwicklung kann nur Kritik und Praxis, aber nicht mehr KP, heißen. Einer Kritik die zuvörderst die alte Praxis schonungslos seziert um überhaupt wieder zu einer neuen zu kommen. Das hat aber leider kaum Zeit. In den nächsten Monaten und Tagen fängt die neue deutsche Welle des Gedenken an die Befreiung und einher gehend die Versuche damit politische Kapital für das 'neue alte' Deutschland zu schlagen. Kanzler Schröder, sein Pinguin Fischer und das Feuilleton werden schon für die richtige Stimmung sorgen.

Es gibt nur wenige die diese Stimmung wirklich vermiesen können. Wir und die Neonazis sind auf jeden Fall zwei davon. (Ein möglicher Irankrieg wäre der Dritte.) Die Neonazis deshalb weil sie der weltweiten Öffentlichkeit, die ja interessiert in jenen Tagen zuschaut, deutlich zeigen was hier in dem Land noch so alles auf die Menschheit wartet. Deshalb wird jetzt schon vorgesorgt. Im konservativen Berliner Lokalfernsehen RBB wurden am letzten Samstag zum Beispiel schon wild getrommelt um am 8. Mai 2005, Tag der Befreiung, den angemeldeten Neonaziaufmarsch am Brandenburger Tor zu verhindern. Diese Schande, Neonazis an diesem Tag unter dem Wahrzeichen der Stadt, muss verhindert werden, tönten einhellig der Trendsetter Ströbele, Sozialdemokraten alà Schily sowie nicht wenige Journalisten.

Wir können aber auch unseren Beitrag leisten, und damit meine ich nicht, dass wir uns in die Ketten der BürgerInnen am 8. Mai in Berlin einreihen sollten. Wir sollten den deutschen Gedenkreigen stören wo wir nur können, und Dresden im Februar kann dabei nur der Anfang sein, sowie die Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus wach halten. Unsere Kritik an Deutschland kann derzeit mit recht geringem Aufwand durch spektakuläre Protestaktionen gerade bei den offiziellen Anlässen deutlich gemacht werden.

Die breite Öffentlichkeit, selbst die linke, wird dabei niemals auf unserer Seite stehen, dass war sie auch immer nur solange, wie wir auch etwas für die Szene, die Kommune oder/und den Staat geleistet, sprich nur die störenden Neonazis bekämpft und damit die linke Einheitsfront und den deutschen Staat in ihren ureigenen Vorhaben unterstützt, haben. Doch dies sollte nicht weiter stören, zwei wichtige Erkenntnisse bleiben: Jugendarbeit, zwar immer der Konjunktur des Themas unterworfen, war das Erfolgsprojekt der Antifa und sollte in Zukunft nicht komplett aufgegeben werden.

Die zweite wichtige Erkenntnis war: Kritische Theorie und Antifa: Man kann das eine tun, ohne das andere zu lassen. Dies sollte für die Zukunft zumindest in unseren Merkheftchen stehen. Dabei können gerne neue Fehler gemacht werden, aber dürfen dabei die alten nicht wiederholen. Doch, wie gesagt, dazu müssen wir diese auch kennen...

Zum Abschluß ein Blick in die etwas weitere Zukunft: Wie die GenossInnen von der Gruppe Bricolage aus Hamburg in der letzten Jungle World forderten, führt kein Weg an der Organisierung kosmopolitischer Kommunistinnen vorbei. Genauso nicht wie an der Suche nach neuen Bündnispartner. Spontan fallen einem dabei immer nur ein Beispiel ein: Die Presse im Ausland.

Und da das alles vielleicht für die Katz sein kann, dies sollte wirklich dringend eingerechnet werden, müssen natürlich auch Fluchtmöglichkeiten ausgebaut werden. Kontakte ins nichtbefreundete Ausland wie mensch als Zonenbewohner sagen würde...