Mittwoch, 8. Juni 2022

Täter statt Opfer

Die Logik des Deutschraps in Romanform: »Nullerjahre« von Hendrik Bolz

Ralf Fischer / Neues Deutschland

Im Konkurrenzkampf der marktabhängigen Kulturproduzenten waren in den letzten beiden Jahren Musiker klar im Nachteil. Die unzähligen Absagen von Konzertterminen in der Pandemie schmälerten ihre Einkünfte enorm, weshalb nicht wenige auf die Idee kamen, mit der Veröffentlichung eines Buches diese Verluste finanziell zumindest etwas auszugleichen. So auch Hendrik Bolz, seines Zeichens unter dem Namen Testo Rapper der 2010 gegründeten Gruppe Zugezogen Maskulin. Der 1988 in Leipzig geborene Musiker legt nun mit »Nullerjahre« seinen Debütroman vor.

In dem über 300-seitigen Werk soll es um die Schwierigkeiten eines Heranwachsenden in einem Stralsunder Plattenbauviertel gehen. Das verspricht zumindest der Klappentext. »Vom Austeilen und Auf-die-Fresse-Kriegen: eine Nachwendejugend in Mecklenburg-Vorpommern«, wirbt der Verlag. So kann man es auch nennen. Wie im Rap-Business üblich, wird die leicht delinquente Herkunft von Bolz zu einer vermarktbaren Identität verschmolzen. Herausgekommen ist eine eher unverdauliche Lektüre, gespickt mit unzähligen Verbalinjurien.

Als pubertierender Gymnasiast im Stralsunder Neubauviertel Knieper West aufgewachsen, gehörte Bolz zu jenen aufbegehrenden Jugendlichen, die den als »Opfer« identifizierten Menschen in ihrer Umgebung das Leben ständig zur Hölle machten. Das Weltbild ist so groß wie eine Zigarettenschachtel. Der Hass auf alles, was nicht dem heteronormativen Ideal entspricht, ist größer als der gesamte Planet Erde. Ein jeder ist ein Spießer, der nicht authentisch asozial ist. Wer seine Aggressionen auch nur halbwegs unter Kontrolle hat, gilt als willkommene Zielscheibe. Der Stolz des Protagonisten basiert darauf, die reaktionären Texte seiner Idole Böhse Onkelz und Bushido auswendig zu können.