Donnerstag, 26. November 2015

Das Geplapper der Checker

Ein Blick in die sozialen Medien zeigt, dass viele deutsche Rapper den Feind genau kennen. Es gibt sogar Spekulationen, Bushido sei über die Anschläge in Paris informiert gewesen.

Ralf Fischer / Jungle World

Während viele HipHop-Musiker ihre Anteilnahmen zum Ausdruck brachten und die Anschläge in Paris verurteilten, gaben sich die üblichen Verdächtigen der deutschen Rap-Szene eher zynisch oder verstiegen sich gleich in Verschwörungstheorien.

»Mein tiefstes Beileid an die Angehörigen der Opfer in Paris. Es erfüllt mich mit Wut und Trauer, zu sehen, wie kaputt unsere Welt ist«, schrieb der als Kind nach Deutschland geflohene Azad. Cro twitterte das Wort »Trauer«, Prinz Pi »liberté, égalité, fraternité« und Sido die französische Nationalflagge. Viele weitere deutschsprachige Rapper nutzten das Hashtag #prayforparis, um ihre Anteilnahme in den sozialen Netzwerken auszudrücken. Zum Beispiel Animus aus Heidelberg und Nazar aus Wien, die beide einen iranischen Migrationshintergrund haben.

Das weitverbreitete Hashtag wurde aber auch benutzt, um eine verdrehte Sicht der Dinge zu präsentieren: »100 Tote und 260 Verletzte in Paris am gestrigen Abend, Allah yehamiken inshallah (soll Gott ihren Seelen gnädig sein) und jedem Hundesohn sein Leben nehmen, der dafür verantwortlich ist, und gerechte Strafe erfahren lassen, inshallah!!! By the way … in Afrika sterben jede Stunde … 100 Menschen an Hunger … In Kurdistan werden 100 Leute pro Tag exekutiert vor laufender Handykamera. In Palästina wissen 100 Leute pro Quadratmeter nicht, mit was sie im Ramadan ihr Fasten brechen und essen Kieselsteine. Aber ey … was weiß ich schon«, postete der zum Islam konvertierte Ruhrpott-Rapper Manuellsen. Der 36jährige steht in enger Verbindung zum türkischen Chapter der Hells Angels.

Größere Aufmerksamkeit wurde nur Bushido zuteil, der sich als Tabubrecher inszenierte. »Hab erstmal schnell meinen Paris-Pullover ausgezogen«, schrieb er auf Twitter. Gemeint war wohl der Pullover, mit dem er sich nach dem Attentat auf Charlie Hebdo Ende Januar präsentierte. Auch diesmal ließ der Shitstorm nicht auf sich warten. Sogar der private Fernsehsender Pro Sieben reagierte umgehend mit einem Kommentar: »Herr @Bushido, du widerst uns an.«

Im Internet kursiert das Gerücht, Bushido sei über die Anschläge zuvor informiert gewesen. Begründet wird die Spekulation mit einer Textzeile aus »Brot brechen«, seinem jüngsten Video. Bushidos Mitmusiker Shindy rappt dort: »Im November ist alles vorbei wie Oktoberfest/im November wie Chanukkah/dieses Jahr trag ich Camouflage«. Im Video sieht man Bushido an einem mit Kufiyas dekorierten Tisch sitzen, bewaffnete Männer stehen vermummt im Hintergrund. Irgendwann zeigt Bushido den erhobenen Zeigefinger, ein Symbol der Terroristen des sogenannten Islamischen Staats. Fler stellte einmal mehr unter Beweis, dass ihm die genretypische Doppelbödigkeit nicht liegt. Kurz nach den Anschlägen twitterte er: »Joko und Klaas hoffentlich in Paris«. Auf die ablehnende Reaktion eines Followers reagierte der Berliner ungehalten: »Kauf mal bitte nie wieder meine CDs!!!«

Kool Savas, der selbsternannte King of Rap, äußerte sich auf Facebook mit einer ausführlichen Bemerkung. Zuerst drückt er seine Hoffnung aus, dass »wir alle schlau genug« sind, »aus diesen widerlichen, menschenfeindlichen Hinrichtungen kein Anti-Islam-, Anti-Einwanderungs-, Anti-Flüchtlings-Ding zu machen«. Doch was folgt, ist eine Aneinanderreihung altbekannter Ressentiments: »Unsere wahren Feinde sind die Rüstungsindustrie und jene, die von Krieg und Leid profitieren. Es spielt für diese Menschen keine Rolle, ob Kinder sterben, ob Familien zerstört werden, und ob sie einem jegliche Lebensgrundlagen nehmen, solange die nächste Waffenladung bezahlt ist.« Kool Savas ist sich sicher: »Ob am Ende 100 oder 100 Millionen Zivilisten und Soldaten ihr Leben lassen«, habe keine »Bedeutung, solange jemand seine perversen Ziele langfristig umsetzen kann«. Wer dieser jemand ist, weiß Savas genau: »Eine Elite, die ganze Länder, Staaten und Kontinente wie zum Beispiel Afrika ausbluten lässt, die Regierungen in Schulden stürzt, um ihnen dann untilgbare Kredite zu verkaufen, hat niemals unser Wohl im Sinn.« Auf die Reaktion eines Fans, der sein Idol darum bat, doch »bitte kein Illuminaten-Geblubber« von sich zu geben, antwortete der Rapper, sein Kommentar sei »nicht mal im Ansatz ’ne Verschwörungstheorie«.

»Es ist so ekelhaft, den Islam dafür verantwortlich zu machen, da in diesen Ländern fast nur Muslime sterben bei Anschlägen. Die Drahtzieher sind sicher keine Muslime, sondern ganz andere Länder, ihr wisst genau, welche ich meine«, springt der Rapper Sinan-G dem vermeintlichen King of Rap auf Facebook bei. Beide Posts erhielten über 10 000 Likes. Weil das bloße Raunen über den wahren Feind auf Dauer unbefriedigend ist, werden einige Protagonisten der Szene schnell konkreter. »Nachdem 3000 Amerikaner durch ihre eigene Regierung geopfert wurden, um einen Krieg gegen die globale Freiheit zu rechtfertigen, kann man davon ausgehen, dass nach Paris ähnliche Züge auf dem Schachbrett folgen werden«, analysiert der Rapper B-Lash messerscharf und teilt ein Video von Ken Jebsen zum Thema. »Die USA gehören zu den größten Terroristen dieser Welt (…) Wer Waffen herstellt und verkauft, gehört genauso bestraft. Das ist echter Terror«, legt Sinan-G in seinem Kommentarbereich nach. Auch Tage nach dem Anschlag postete der 28jährige immer wieder mehr oder weniger ernstgemeinte Anklagen gegen den amerikanischen Weltfeind.

Wirklich überrascht hat nur die Reaktion des Berliner Rappers Bass Sultan Hengzt. »Ich freu’ mich schon richtig krass auf die Verschwörungstheoretiker … Nicht!« twitterte er.

Donnerstag, 5. November 2015

Für Volk, Reich und Palästina

Die umtriebige rechtsextreme Chemnitzer Ultra-Gruppierung NS-Boys ist Teil eines Netzwerks, zu dem auch Cottbuser, Leipziger und Züricher Kameraden gehören.

Ralf Fischer / Jungle World

Verpixeltes Gesicht, Anglermütze auf dem Kopf und zwei Trommelstöcke in der Hand. So präsentierte sich in den sozialen Netzwerken ein Mitglied der rechtsextremen Chemnitzer Ultragruppierung New Society (NS-Boys) beim Spiel Energie Cottbus gegen Wehen Wiesbaden am 12. Spieltag in der Dritten Liga. Neben der Zaunfahne der Energie-Ultras vom Preußen-Kartell hängt eine neue Zaunfahne der NS-Boys mit dem altbekannten Konterfei eines Hitlerjungen aus den dreißiger Jahren. Das ist eigentlich ein Verstoß gegen die Regeln der Ultras. Es gilt als ungeschriebenes Gesetz, dass ein Fanclub der einmal seine Zaun­fahne verloren hat, sich auflösen muss. Doch die NS-Boys sind weiterhin aktiv.

Zum Verlust der Zaunfahne kam es bei einer Hausdurchsuchung. Im Frühjahr 2014 erließ das sächsische Innenministerium ein Vereinsverbot gegen die Nationalen Sozialisten Chemnitz (NSC). Bei einer Razzia im Vereinsheim der Rechtsextremisten wurden zahlreiche Beweismittel sichergestellt, unter anderem die Fahne der NS-Boys. Doch weder das Vereinsverbot gegen die Nationalen Sozialisten noch das Stadionverbot aus dem Jahre 2006 gegen die NS-Boys sowie einige ihrer Mitglieder zeigten Wirkung. Spielberichte und Fotos ihrer Zaunfahne, die auf ihrem Blog sowie in den sozialen Netzwerken gepostet wurden, zeugen von unzähligen Ausflügen und Stadionbesuchen der vergangenen Jahre. Die in ihren Heimstadien verbotenen Fangruppierungen besuchen häufig Auswärtsspiele der eigenen Mannschaft und Spiele jener Vereine, mit deren Fans sie freundschaftlich verbunden sind. Im Falle der Chemnitzer NS-Boys sind das zumindest zwei Vereine, Energie Cottbus und Grasshopper Zürich.

Engen Kontakt haben die Chemnitzer in Cottbus den Fangruppierungen Inferno Cottbus, WK13 Boys, Collectivo Bianco Rosso 02 sowie dem Preußen-Kartell und in Zürich zu den Blue White Bulldogs. Die personelle Verbindung zwischen diesen Gruppen ist die Grundlage für eine bemwerkenswerte grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen deutschen und schweizerischen Neonazis. Am 15. Februar 2014 marschierten rund 80 Neonazis aus beiden Ländern im schweizerischen Solothurn zu einer unangemeldeten Demonstartion auf. Sie trugen bei dem nächtlichen Umzug Fackeln und vermummten sich mit weißen Theatermasken. »Asylanten raus« stand auf dem Fronttransparent und in einem dazugehörigen Video war zu sehen, wie einer der Demonstranten einen Zettel mit der Aufschrift »Freiheit« über das Straßenschild in der Judengasse klebte. Im Internet jubelten deutsche Neonazis: »Unsterbliche marschieren durch Judengasse«.

Bekannt geworden mit dieser Aktionsform ist die 2012 vom brandenburgischen Innenministerium verbotene »Widerstandsbewegung in Südbrandenburg«. Im Rahmen der Verbotsverfügung kam ans Licht, dass die Behörden den Capo von Inferno Cottbus 1999, William Puder, der »Widerstandsbewegung« zurechnen. Darüber hinaus hatten Razzien in Cottbus und Chemnitz ergeben, dass die sogenannten Unsterblichen aus Deutschland seit einiger Zeit Kontakte nach Zürich pflegen. Ihren Hass auf Juden zeigen die Chemnitzer Fußballfans gern auch im Stadion. Während des Gaza-Krieges im vergangenen Jahr demonstrierten sie ihre Parteinahme eindeutig. Beim Auswärtsspiel des Chemnitzer FC gegen Fortuna Köln im August hing neben der Reichskriegsflagge und ihrer Zaunfahne auch die palästinensische Fahne.

Als Feinde betrachten die Cottbuser und Chemnitzer Kameraden hauptsächlich die Vereine Dynamo Dresden, Erzgebirge Aue und Babelsberg 03 sowie deren Anhänger. Die entsprechenden Spiele sind perfekte Anlässe, um dem Hass freien Lauf zu lassen. Anfang des Jahres veröffentlichten die NS-Boys in den sozialen Netzwerken eine Bildmontage. Sie zeigt den Auswärtsblock von Dynamo Dresden, in den die Flagge Israels hineinmontiert ist. Außerdem wurde der Schriftzug »Ultras Dynamo« auf einem Banner durch »Juden Dynamo« ersetzt und eine antisemitische Karikatur eingearbeitet. Vor dem Spiel Erzgebirge Aue gegen Dynamo Dresden sprühten Chemnitzer Fans 2013 den Schriftzug »Juden SGD« mit einem Davidstern zur Begrüßung der anreisenden Fans. Höhepunkt in den letzten Jahren war aber ein Banner des Cottbuser Anhangs. Beim Landespokalhalbfinale zwischen Babelsberg 03 und Energie Cottbus in Potsdam hing ein kleines Transparent mit der Aufschrift: »ZCKN, ZGNR & JDN« (Szenecode für »Zecken, Zigeuner & Juden«) im Auswärtsblock.

Den Hass auf Linke und Antifaschisten zelebrieren die Chemnitzer Fans gerne in der Öffentlichkeit. So verunglimpfen sie in den sozialen Netzwerken den inhaftierten Antifaschisten und Bremer Ultra Valentin, der am 19. April einen rechten Hooligan verprügelt haben soll. Das in Chemnitz gesprühte Graffiti »Fuck Valentin« wurde auf der Facebook-Seite der NS-Boys zusammen mit einem großen CFC-Bombing hochgeladen, das durch die Sprüche »Nur der CFC – Alle nach DD« sowie mit einem »Fuck Antifa« komplettiert wurde.

Die tiefe Verwurzelung der NS-Boys in der ostdeutschen Neonaziszene zeigte darüber hinaus eine Solidaritätsaktion für den als Unterstützer des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) angeklagten Neonazi Ralf Wohlleben. Beim letzten Heimspiel der Saison 2014/15 des Chemnitzer FC gegen die SG Sonnenhof Großaspach beabsichtigten sie, eine Tapete mit der Aufschrift »Komme was da wolle – Dich kriegen sie nicht klein« im Block zu präsentieren. Da dies nicht möglich war, wurde nach dem Spiel mit rund 40 Personen ein Mobfoto geschossen und später in den sozialen Medien verbreitet. Schon im Dezember vorigen Jahres nutzten die NS-Boys ihre Face­book-Präsenz für einen Gruß an den inhaftierten Neonazi: »Trotz vieler Beamter (an dieser Stelle einen besonderen Gruß an ›Wolle‹) gab es eine kleine Pyroeinlage.« Dass die NS-Boys alle Themen des Neonazismus bedienen, zeigte ein Posting am 5. März anlässlich des Jahrestages der Bombardierung von Chemnitz durch die Alliierten: »Den alliierten Mördern kein Vergeben und kein Vergessen für das, was sie unserem Volk angetan haben!!!« Die bisher alljährlich stattfindende Demonstration der Freie Nationalisten zum Thema fiel zwar aus, stattdessen aber laufen lokale Rechtsextremisten bei den Aufmärschen des Pegida-Ablegers in Chemnitz mit.

Das sächsische Innenministerium zählte bei Cegida regelmäßig rund zehn »New Society«-Mitglieder. So »tauchen bekannte Szene-Angehörige bei den verschiedenen Formen von Anti-Asyl-Protesten auf. Sie sind mehrfach bei Veranstaltungen von ›Chemnitz stellt sich quer‹ bzw. ›Chemnitz wehrt sich‹ und bei öffentlichen Auftritten von Cegida/Erzgida beteiligt gewesen«, bestätigt auch das Kulturbüro Sachsen. Das Cottbus-Chemnitzer Netzwerk fährt zusammen mit Gleichgesinnten auch zu Länderspielen der deutschen Nationalmannschaft, ungeachtet der Tatsache, dass da mittlerweile Spieler mit beispielsweise türkischem Migrationshintergrund das Adlertrikot tragen. Hauptsache Schland.

Donnerstag, 26. März 2015

Wie ein Gallier

Xavier Naidoo versteht sich als »Wahrheitsfinder«, der durchschaut hat, welche Mächte die Welt beherrschen. Mit Verschwörungstheorien will er nichts zu tun haben.


Ralf Fischer / Jungle World

Normalerweise führt ein Auftritt vor NPD-Anhängern, Verschwörungstheoretikern und Antisemiten, wie ihn der Soulsänger Xavier Naidoo im vergangenen Herbst vor dem Reichstag hingelegt hat, schnurstracks in die gesellschaftliche Isolation. Nicht so bei dem 43jährigen. Nach einigen harschen Kritiken in verschiedenen Zeitungen und der obligatorischen Distanzierung der Mannheimer Lokalpolitik legte sich der Sturm der Entrüstung schnell wieder. Der Privatsender Vox teilte Anfang dieses Jahres mit, dass er eine zweite Staffel der Show »Sing meinen Song« mit dem prominenten Mannheimer als Gastgeber produziert. Als Grund für die weitere Zusammenarbeit gab der Sender an, dass Naidoo sich von den Vorwürfen distanziert habe. »Von daher gibt es für uns keinen Anlass, unsere Pläne mit ihm zu ändern.«

Sehr schnell stellte sich die Distanzierung des Sängers jedoch als Lippenbekenntnis heraus. In einem fünfseitigen Interview erklärt der ehemalige Dozent der Mannheimer Popakademie Anfang März gegenüber dem Magazin Stern, warum er nicht glaube, dass der 11. September 2001 »so abgelaufen ist, wie es in den Medien und von der Politik dargestellt wurde«. Außerdem beklagt sich Naidoo erneut darüber, dass »Deutschland kein souveränes Land« sei, weil »die Amerikaner uns überwachen« dürften. »Der Historiker Prof. Dr. Josef Foschepoth ist den geheimen Vereinbarungen zwischen den Amerikanern und der Bundesregierung nachgegangen. Sie existieren wirklich«, raunte er ganz geheimnisvoll. Und der Stern druckte es ab.

Naidoo spult in diesem Interview das gesamte Programm all seiner bekannten Verschwörungstheorien ab. Über die Finanzkrise habe er Jahre zuvor Bescheid gewusst, aus seiner Sicht hätte Deutschland »niemals in dieser Krise stecken müssen«, weil Naidoo bereits 2005 im Song »Abgrund« prophetisch darauf hingewiesen habe. Aber die Politik hatte versäumt, auf den Mannheimer Wahrsager zu hören. Gerne geriert er sich als der große Freiheitskämpfer. Auf die Frage, wieso er im Song »Raus aus dem Reichstag« die jüdische Bankiersfamilie Rothschild als »Füchse« bezeichnet, antwortet er, dass man »gerade als Künstler die Dinge beim Namen nennen« müsse, »wenn Leute weiter ihre Machenschaften treiben«. Er sieht sich keineswegs als »Verschwörungstheoretiker«, sondern bevorzugt lieber die Bezeichnung »Wahrheitsfinder« und beschreibt sein Innenleben als das eines trotzigen Kindes: »Und wenn mir jemand sagt, das darf man nicht sagen, dann mache ich es wahrscheinlich erst recht.«

Der ehemalige Chefredakteur von Rap.de, Marcus Staiger, bezeichnete Naidoo bereits vor einigen Jahren als christlichen Fundamentalisten, dessen gesamtes Werk die Beschwörung »einer gewissen Highlander-Romantik, eines völkischen Heroismus, in dem unentwegt einer aufsteht, einer sich erhebt, eine messianische Lichtgestalt, der eine, der von der Vorsehung Auserwählte, der die Massen mitreißt und in die Schlacht führt und am Ende das Dunkle vernichtet«, durchziehe. Im Interview mit dem Stern bestätigt Naidoo dies einmal mehr. So wusste er frühzeitig, dass »es aufgrund der überwiegend russischstämmigen Bevölkerung in der Ostukraine zu Schwierigkeiten kommen« könne. Er halluziniert sich als David, der »immer gegen die Großen« kämpft, egal ob es sich dabei um »Obama oder die Rockefellers« oder ganz allgemein um »Menschen mit Macht« handelt. Ob Horst Köhler, »die katholische Kirche, die Politiker, die Banker«, niemand ist vor dem Mannheimer Künstler »mit dem Gespür für manche Dinge« sicher.

Die Empörung in der Öffentlichkeit hält sich in Grenzen. 1999 gab Naidoo dem Musikexpress ein aufschlussreiches Interview. Neben allerhand religiösem Erweckungsnonsens antwortet er auf die Frage, ob ein Amerikaner weniger wert sei als ein Mannheimer: »Natürlich nicht. Aber ich muss als erstes sagen: Bevor ihr uns diktiert, was wir zu tun haben, hört erst mal auf, uns mit eurer Musik zuzuscheißen. Alles ist amerikanisiert. Da muss ich doch wie ein Gallier dagegen angehen, gegen diese blinde Verherrlichung Amerikas. Gegen die Art, wie Amerika mit der Welt umgeht. Keine Demut, keine Achtung. Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein. Und als Schwarzer kann ich das ohne irgendwelche Hintergedanken sagen.«

Manisch bezieht er sich auf krude Weltuntergangsphantasien, in denen es beinahe immer um die USA geht. So habe er »konkret aus der Bibel« herausgelesen, dass Amerika untergehe. Aber »nicht nur Amerika. Auch Frankfurt ist Babylon, London und Tokio. Babylon ist überall. Aber Amerika und Tokio sind ganz oben auf der Abschussliste.« Seine grenzenlose Abneigung richtete sich aber nicht nur gegen die Amerikaner. Bevor er »irgendwelchen Tieren oder Ausländern Gutes tue«, lässt sich Naidoo zitieren, »agiere ich lieber für Mannheim«. Er bezeichnete sich damals als »ein Rassist ohne Ansehen der Hautfarbe«. Und schließlich verstieg er sich zu der Aussage: »Ich bin nicht mehr Rassist, als jeder Japaner das auch ist.«

Antiamerikanismus ist keine Ausnahmeerscheinung in diesem musikalischen Genre, sondern unter deutschsprachigen Rappern und Soulsängern verbreitet. Programmatisch steht dafür die EP »Gotting« von Absolute Beginner aus dem Jahre 1993. Damals beklagten sich die Hamburger in ihrem Song »Dies ist nicht Amerika« darüber, dass in deutschen Städten »die dunkle Seite des US-Lebensstandards als Ideal« übernommen werde. Sie sahen »Imitation hier überall« und riefen ihre Mitstreiter aus der deutschen Rapszene dazu auf, »nicht in die USA, sondern nach Europa« zu schauen und bitte ja »kein Gehabe und Gelaber von da drüben« zu klauen. Jan Delay und Denyo waren damals noch nicht volljährig und es mag ihnen vor allem um die »Gangsterscheiße« gegangen sein, die in ihren Augen von deutschen Rappern übernommen wurde. Aber es stand auch »die Frage im Raum, US-Kultur übernehmen oder eine eigene baun« – worunter man sich eine »Mischkultur« vorstellte. Und im Refrain wiederholte sich dann immer wieder die Punchline: »Dies ist nicht Amerika!«

Im selben Jahr, als Xavier Naidoo mit dem Musikexpress sprach, veröffentlichte der Soulsänger Max Herre mit seiner Band Freundeskreis das Album »Esperanto«. Nicht ganz leicht zu verstehen, aber umso aussagekräftiger zwischen den Zeilen, textete er damals im Lied »Revolution der Bärte«: »Das Pentagramm kreuzt den pentagonschen Masterplan, aus den Weiten Kasachstans bis in die Höhen des Golan erklingt die Stimme der Massen righteous wie Rasta-Chants, Philister müssen gehen, sie ham’ zu lange abgesahnt, nehmt Ministern die Diäten, dass sie fasten wie an Ramadan, bald werden Köpfe rollen, weil jetzt andere an die Töpfe wollen, auch aus dem Vollen schöpfen wollen, ihr’n Tribut nicht falschen Götzen zollen, weil der Tanz ums goldene Kalb nicht ungescholten bleibt.«

Die Inszenierung als deutsche Rapper beziehungsweise Soulsänger, die zwar eine amerikanische Subkultur adaptieren, aber sich genau davon distanzieren, endet nicht selten in deutschnationalen Parolen. So rappt das multiethnische Berliner Quartett Zyklon Beatz gegen »MCs, die mit peinlichen Amibeats prollen«, und propagiert dagegen den Dreiklang »deutsche Frauen, deutscher Rap, deutsches Bier«.