Mittwoch, 29. Dezember 2021

Revolution oder lieber abhauen?

Das Videospiel des Jahres ist »Road 96«, bei dem man selbst entscheidet: Flucht oder Regierung stürzen

Ralf Fischer / Neues Deutschland

Bei der diesjährigen internationalen Preisverleihung für die Videospiele des Jahres, den Games Awards, im Dezember räumte neben den üblichen Verdächtigen aus der Branche das Spiel »It Takes Two« des schwedischen Entwicklungsstudios Hazelight Studios viele der zu vergebenen Preise ab. Das Game, welches sich hervorragend für den kooperativen Mehrspielermodus eignet, ist aber nicht der einzige Vertreter aus dem Independent-Bereich in diesem Jahr, der Lobpreisungen verdient hat.

Das Spiel »Road 96«, herausgegeben von dem französischen Studio DigixArt, schaffte es nicht einmal in die engere Wahl bei den diesjährigen Game Awards, gehört aber zu den besten Spielen des Jahres. Allein der Soundtrack des prozeduralen Roadtrips hätte es verdient, mit Auszeichnungen nur so überhäuft zu werden. Atmosphärisch ist man als Spieler im letzten Jahrzehnt des letzten Jahrtausends gefangen. Es gilt als entlaufener Teeanger das fiktive Land Petria zu verlassen.

Als Ausreißer mangelt es an allem. Weder mit ausreichend Essen oder Trinken ausgestattet, noch ein Fortbewegungsmittel jenseits der zwei eigenen Beine zur Verfügung und auf der Flucht vor den fiesen Schergen einer Beinahe-Diktatur. Das ist das Setting, in dem der Spieler startet.

Mittwoch, 22. Dezember 2021

Ballern für Palästina

Eine brasilianische Spielefirma greift in den Nahostkonflikt ein – mit allen Klischees

Ralf Fischer / Neues Deutschland

Um die friedlichen Absichten der palästinensischen Befreiungsbewegung einer politisch interessierten Öffentlichkeit näherzubringen, plant die in Brasilien beheimatete Firma Nidal Nijm Games die Veröffentlichung eines Ego-Shooters, in dem die Feinde ohne viel Federlesens aus dem Leben geschossen werden. Diplomatische Optionen sind in dem Game »Fursan al-Aqsa: The Knights of the Al-Aqsa Mosque« ausgeschlossen. Spielziel ist es, mit Messer, Maschinenpistole und Panzer den überall als israelisch markierten Feind gänzlich auszumerzen.

Skurrilerweise behaupten die Herausgeber, das Spiel solle mit den vorherrschenden Stereotypen über den Nahen Osten brechen. Dabei rekurrieren Story und Bildsprache auf genau jene altbekannten Mythen bewaffneter palästinensischer Gruppen. Hier die aus Gründen der Selbstverteidigung handelnden heldenhaften palästinensischen Freiheitskämpfer, die sich lediglich zur Wehr setzen. Auf der anderen Seite die blutrünstigen Israelis, die noch nicht einmal Kinder verschonen. Zwischentöne sucht man vergeblich.

Im Spiel wird die Glorifizierung des bewaffneten Widerstandes als unausweichlicher Akt der Notwehr gleich zu Beginn äußerst dramatisch eingeführt. Der Hauptprotagonist der Geschichte ist der Medizinstudent Ahmed al-Falastini, der zufällig in die Fänge der israelischen Sicherheitsbehörden gerät und trotz erwiesener Unschuld im Gefängnis brutal gefoltert wird.

Statt als Arzt nach der Entlassung das Leid der Menschen zu lindern, entschließt sich al-Falastini, das Werk einer terroristischen Gruppierung zu vollenden. Schließlich hat er nichts mehr zu verlieren, die Eltern kamen während seiner Haft bei einer israelischen Bombardierung ums Leben. So tragisch wie klischeehaft kommt der einstige Pazifist zum Terrorismus. Und die Propaganda zum Gamer.

Anders als die Story ist die Grafik keine propagandistische Herausforderung. Wer als Freund der gepflegten Ballerei dem palästinensischen Pixelfasching länger als drei Minuten frönt, der muss sich entweder schlechten Geschmack oder ideologische Motivation vorwerfen lassen. Weder Gameplay noch Sound können sich mit vergleichbaren Spielen messen. Zumindest nach derzeitigem Stand. Bisher hat Nidal Nijm Games lediglich eine Demoversion des Spiels auf der Steam, der wichtigsten Onlineverkaufsplattform für Videospiele, veröffentlicht. Eine Vollversion soll in Bälde folgen.