Freitag, 9. Juli 2021

Im Sande verlaufen

Die Influencerin Nika Irani warf im Juni auf Instagram dem Rapper Samra vor, sie vergewaltigt zu haben. Der Musiker wies die Anschuldigungen öffentlich zurück. In einem Statement teilte Samra mit, dass er „niemanden vergewaltigt“ habe, „weder die Person, die mich dessen beschuldigt, noch andere Menschen“. Das Label Universal Music Germany verkündete nach dem Bekanntwerden der Vorwürfe, seine Zusammenarbeit mit dem Musiker vorerst ruhen zu lassen. Daraufhin erreichten den Rapper zahlreiche Solidaritätsadressen, hauptsächlich von seinen männlichen Kollegen aus dem Business.

Die Auseinandersetzung mit dem Thema sexualisierte Gewalt in einem solchen Ausmaß ist ein Novum in der Subkultur. Nika Irani erhielt zumindest teilweise Unterstützung aus Szenekreisen. So solidarisierten sich auch die bekannten Rapperinnen Elif und Shirin David mit ihr. In einschlägigen Szenemagazinen sah man sich gezwungen, mit dem Thema zu beschäftigen. Der Tenor war dabei sachlich, teilweise wurde mit Kritik an der eigenen Klientel nicht gespart. Und mit Samra, der bürgerlich Hussein Akkouche heißt, musste erstmals einer der kommerziell erfolgreichsten Rapper in Deutschland mit ernsthaften Konsequenzen innerhalb der eigenen Reihen rechnen.

Schnell hatte sich eine Initiative gefunden, die die Auseinandersetzung mit dem Thema forcierte und unter dem Hashtag „#deutschrapmetoo“ Betroffene auffordert, ihre Erfahrungen mit sexualisierter Gewalt im Deutschrap zu melden. Jedoch in dem Augenblick als die Debatte die bürgerlichen Feuilletons erreichte, kam es bereits zur Resignation in den sozialen Netzwerken „Die ganze #deutschrapmetoo Bewegung und Vorwürfe sind relativ im Sande verlaufen“, schreibt ein User auf Twitter. „Es juckt original niemanden mehr, niemand redet nachhaltig darüber außer zwei Wochen Empörung“, konstatiert er weiter. Mit seiner Enttäuschung über das abflachende Interesse steht er nicht allein.

Die Gründe dafür sind vielfältig. Ein Punkt ist die derzeit kursierende Analyse, wonach Sexismus kein spezifisches Rap-Problem sei, sondern ein „gesamtgesellschaftliches Problem“. Diese Aussage tätigte nicht nur das Kollektiv, welches hinter dem Hashtag #deutschrapmetoo steht, im Interview mit der taz, sondern auch die Bildungsreferentin von Anne Frank, Nava Zarabian, benutzte beinahe wortgleich diese Phrase im Gespräch mit dem Onlinemagazin der Zeit. Abwehrmechanismen gegen die Feststellung, wonach deutschsprachiger Rap womöglich ein größeres Sexismusproblem hat als andere Musikrichtungen, wurden jahrelang eingeübt und auch diesmal wieder routiniert abgespult.

Wenn mit dem Finger auf Deutschrap gezeigt wird, steckt da oft eine Intention dahinter“, raunt die Musikwissenschaftlerin Zarabian. Welche dies genau sein soll, lässt sie im Dunkeln. Aber die Nebelkerze verfängt auf den ersten Blick. Denn selbstverständlich stellt sich die Frage, weshalb ausgerechnet im Rap sexualisierte Gewalt derart thematisiert wird. Die Antwort wird den Liebhabern der adaptierten Subkultur nicht gefallen. „Es gibt Sexismus überall – in unserer Politik, der Gesellschaft und in anderen Musik-Genres. Deutschrap ist allerdings ein Genre, das diesen Sexismus zelebriert“, erklärte die Moderatorin Salwa Houmsi gegenüber dem Spiegel.

Die musikalische Aufwertung des Mannes in einer sich massiv verändernden kapitalistischen Gesellschaft, in der eben nicht mehr automatisch alle Machtpositionen kampflos den Männern überlassen werden, manifestiert sich nirgendwo stärker als im deutschsprachigen Rap. Die Abwertung von Frauen als ständig verfügbares sexuelles Objekt wird garniert mit dem Hass auf Schwule, Metrosexuelle und alle anderen vom männlichen Ideal abweichende Lebensformen. In dieser geballten Form finden sich solche misogynen Hasstiraden und Vergewaltigungsphantasien nirgendwo.

Der in der Debatte immer wieder auftauchende Verweis auf Sexismus in der Rockmusik oder im Heavy Metal dient nicht der besseren Einordnung des Problems, sondern allein als Abwehr gegen die Erkenntnis, Anhänger einer Musikrichtung zu sein, die reaktionär geworden ist. Ähnlich wie bei der Rockmusik, die einst als progressiv galt, geht spätestens mit dem Aufstieg hin zum Mainstream eine Veränderung einher. Allein die Tatsache, dass deutsche Rechtsextremisten wie selbstverständlich – und wie einst den Rock – Rapmusik als Ausdrucksmittel für ihre Propaganda nach jahrzehntelanger Hetze gegen die 'Musik der Schwarzen' nutzen, sollte zum radikalen Umdenken anregen.

Die Tatsache, dass Rap jenseits der Nischen heutzutage größtenteils reaktionär ist, können sich jene, die diese Subkultur als die ihre betrachten, nicht eingestehen. Eine Auswertung deutschsprachiger Raptexte durch den Spiegel brachte erstaunliche Ergebnisse. Seit zwanzig Jahren sind bestimmte sexistische Schlüsselwörter in jedem zehnten veröffentlichten Song zu finden. Von 2002 bis 2019 nutzten zwischen 18 bis 30 Prozent der Lieder explizit sexistische Begriffe. Dass die einst als progressiv missverstandene Musikrichtung seit über zwei Jahrzehnten genau jener Transmissionsriemen ist, mittels dessen die Abwehrhaltung gegenüber gesellschaftlichen Veränderungen gestärkt wird, ignorieren sie einfach gekonnt. Die Unterschiede zwischen dem aktuellen Stand der gesellschaftlichen Debatte und dem Output deutscher Rapper könnten nicht eklatanter sein. Das zu erkennen, braucht es keine große Kenntnis der Szene.

Das Kollektiv hinter dem Hashtag 'deutschrapmetoo' bestreitet dies jedoch in einem Interview mit der taz. Die aus anderen Kontexten altbekannte szenetypische Abwehrhaltung wird auch hier angewandt. Es ist von „Außenstehenden“ die Rede, die das Thema Sexismus im Deutschrap ansprechen würden. Selbst dagegen attestiert man sich einen „differenzierten Blick auf die Szene“. Solche Aussagen dienen entweder dazu, das eigene Standing in der Subkultur nicht zu gefährden oder die Hingabe zur einst auserkorenen Lieblingsmusik nicht zu verlieren. Es wird jedoch das Gegenteil von dem bewirkt, was sich die Initiatoren der Kampagne auf die Fahnen geschrieben haben.

Völlig abstrus wird es dann, wenn – wie Nava Zarabian es versucht – die Kritik am deutschsprachigen Rap als rassistisch abgebügelt wird. Ihr Hinweis, wonach Deutschrap als diverser Raum gilt, „in dem marginalisierte Menschen eine Stimme finden“, ist genauso richtig wie falsch. Als marginalisierte Menschen, die dringend einer Stimme bedürfen, sehen sich nicht nur Migranten, sondern auch Querdenker, Neonazis, Islamisten und Männerrechtsaktivisten. Die Tatsache, dass diese nicht erst gestern die Musikform Rap übernommen haben, sollte eigentlich auch der Bildungsreferentin bekannt sein.

Der von ihr geäußerte Vorwurf der Externalisierung eigener Problemen trifft also einen Punkt. Genauso wie sich der Mainstream genüsslich dem Thema Sexismus im Rap hingibt, verweisen die etwas Schlaueren unter den Rapfans auf die Probleme der Mehrheitsgesellschaft in Bezug auf sexualisierte Gewalt. Beide Seiten behalten dabei Recht. Niemals aber wird so der derzeitige Status Quo ins Wanken geraten. Stattdessen gibt es zwei Wochen lang Empörung, in neun Monaten wieder Songs von Samra, vertrieben von Universal, und auch sonst bleibt alles beim Alten.

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