Montag, 11. November 2019

Was wollen die Juden überhaupt noch?

Interview mit Pierre-Alexander Richard, Politikwissenschaftler aus Potsdam, über die Rückübertragung von Grundstücken der Jüdischen Landarbeit GmbH an die Jewish Claims Conference (JCC) in Südbrandenburg.

RF: Anfang September hat in der Auseinandersetzung um die Rückübertragung von Grundstücken der Jüdischen Landarbeit GmbH an die Jewish Claims Conference (JCC) im Cottbuser Ortsteil Groß Gaglow die Schlichtung unter dem ehemaligen Präsidenten des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg, Jürgen Kipp, begonnen. Sie haben sich mit dem Streit um die Restitution in Ihrer Bachelorarbeit auseinandergesetzt. Weshalb siedelten Juden 1930 im südlichen Teil von Brandenburg und nicht in Palästina?

P-A.R.: Der ansteigende Antisemitismus der 20er Jahre vor allem in den ländlichen Gebieten im Osten des Deutschen Reiches, wie zum Beispiel Ostpreußen und Pommern, war die ausschlaggebende Motivation hinter der Idee nach Brandenburg zu ziehen. Die meisten Siedler waren Veteranen des 1. Weltkrieges, teilweise hoch dekoriert. Sie wollten unter Beweis stellen, dass Juden Landwirtschaft betreiben können. Bei dem Projekt handelte es sich um ein antizionistisches Projekt. Für die Siedler war es von höchster Wichtigkeit, in Deutschland zu bleiben und andere Juden auszubilden. damit diese in Deutschland Ackerland bewirtschaften können.



Das Land wurde im Juli 1930 erworben und die Einweihungsfeier fand im Juni 1931 statt. Die ersten Siedler zogen direkt nach dem Kauf der Grundstücke im Juli 1930 nach Groß Gaglow. Wer finanzierte das Projekt?

Die Siedlung wurde vom Reichsbund Jüdischer Frontsoldaten, den Jüdischen Gemeinden Berlin, Breslau, Bonn, München und einigen jüdischen Unternehmern finanziert. Interessenten wurden mittels Annoncen in jüdischen Zeitungen und dem Zentralorgan des Reichsbundes Jüdischer Frontsoldaten „Der Schild“ gesucht.

Wie viele Familien siedelten sich in Groß-Gaglow an?

Die genaue Anzahl der Familien ist heute schwer zu ermitteln. Mindestens waren es 29 Familien. Hinzu kommen noch Auszubildende, die bei den Familien untergebracht waren. Da die meisten Familien Kinder hatten, können wir von ca. 100 Personen ausgehen, die dauerhaft in der Siedlung wohnten.

Nach der Machtübernahme durch die NSDAP schielten einige Deutsche auf die Grundstücke ihrer jüdische Nachbarn. Wann und wie wurde die Jüdische Landarbeit GmbH enteignet? Wem wurden die Grundstücke übertragen?

Die Enteignung erfolgte im Mai 1935. Die lokale NSDAP marschierte in der Siedlung ein und gab den Bewohnern 2 Tage, um die Siedlung zu verlassen. Es durfte nur das mitgenommen werden, was auf einen Karren passte. Die Viehbestände mussten auch zurückgelassen werden. Die Siedlung wurde dann einer Treuhandgesellschaft übergeben, welche damit beauftragt wurde, neue „arische Siedler“ zu finden. Die Grundstücke wurden damals unter Wert verkauft. Viele Käufer erlebten durch diesen Kauf einen wahren sozialen Aufstieg. Vom ungelernten Hilfsarbeiter zum Gärtner oder Landwirt mit eigenem Haus, Land und Vieh. Viele der arischen Neusiedler waren Mitglieder der NSDAP oder der lokalen SA.


Wie entschied das Bundesamt für Zentrale Dienste und Offene Vermögensfragen über die ersten Restitutionsanträge?

Zur Situation in Groß-Gaglow muss man wissen, dass es sich nicht um 29 Grundstücke handelt, sondern wie in Deutschland üblich, um Grundstücksflure. Von diesen Fluren gibt es auf dem ehemaligen Gelände der GmbH über 100 Stück. Gerade einmal um die 10 Stück wurden mit Restitutionen oder kleinen Zahlungen entschädigt. Alle anderen Restitutionsanträge wurden abgelehnt. Entweder weil es nach dem Krieg einen Besitzerwechsel gab oder weil das Gericht die Besitzansprüche der ehemaligen Bewohner nicht als gänzlich geklärt ansah.

Wie reagierten die heutigen Anwohner von Groß-Gaglow auf die Restitutionsansprüche durch die Jewish Claims Conference?

Von Seiten der heutigen Bewohner gibt es keinerlei Wille, sich positiv mit den Restitutionsansprüchen auseinanderzusetzen. Ein Angebot, auf Lebenszeit in den Häusern weiter zu wohnen, wurde abgelehnt. Der JCC wird nicht einmal als legitimer Verhandlungspartner angesehen.

Sie selbst gerieten in das Visier der Anwohner. Was haben Sie bei Ihren Aufenthalten vor Ort erlebt?

Während einer Demonstration unter dem Namen „Keine Rückübertragung ehemaliger jüdischer Grundstücke in Groß Gaglow an die Claims Conference (JCC) fiel von einer der Betroffenen der Satz: „Was wollen die Juden überhaupt noch, es gibt doch eh keinem mehr dem man etwas zurückgeben könnte.“ Mir selbst wurde von derselben Person, die heute noch Ortsvorsteher ist, per Email mit einer fiktiven Identitätsfestellungsklage bei der Polizei gedroht, nachdem ich an der Demonstration teilgenommen hatte und mich ganz eindeutig mit meinem Namen als Forscher identifiziert hatte.


Wenn überhaupt wird häufig sehr wohlwollend in der lokalen Presse über das Schicksal der heutigen Bewohner berichtet. Was ist Ihr Eindruck bezüglich der Außenwahrnehmung des Falles?

Sowohl die lokalen Medien wie auch der Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) und Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) zitieren aus den ihnen vom Ortsvorsteher zur Verfügung gestellten Dokumenten und sprechen ihre Solidarität mit den heutigen 'Opfern' aus. Nur selten, in Nebensätzen, wird über die jüdischen Opfer gesprochen und adäquat an sie erinnert.

Vielen Dank für das Gespräch.

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