Mittwoch, 29. Dezember 2021

Revolution oder lieber abhauen?

Das Videospiel des Jahres ist »Road 96«, bei dem man selbst entscheidet: Flucht oder Regierung stürzen

Ralf Fischer / Neues Deutschland

Bei der diesjährigen internationalen Preisverleihung für die Videospiele des Jahres, den Games Awards, im Dezember räumte neben den üblichen Verdächtigen aus der Branche das Spiel »It Takes Two« des schwedischen Entwicklungsstudios Hazelight Studios viele der zu vergebenen Preise ab. Das Game, welches sich hervorragend für den kooperativen Mehrspielermodus eignet, ist aber nicht der einzige Vertreter aus dem Independent-Bereich in diesem Jahr, der Lobpreisungen verdient hat.

Das Spiel »Road 96«, herausgegeben von dem französischen Studio DigixArt, schaffte es nicht einmal in die engere Wahl bei den diesjährigen Game Awards, gehört aber zu den besten Spielen des Jahres. Allein der Soundtrack des prozeduralen Roadtrips hätte es verdient, mit Auszeichnungen nur so überhäuft zu werden. Atmosphärisch ist man als Spieler im letzten Jahrzehnt des letzten Jahrtausends gefangen. Es gilt als entlaufener Teeanger das fiktive Land Petria zu verlassen.

Als Ausreißer mangelt es an allem. Weder mit ausreichend Essen oder Trinken ausgestattet, noch ein Fortbewegungsmittel jenseits der zwei eigenen Beine zur Verfügung und auf der Flucht vor den fiesen Schergen einer Beinahe-Diktatur. Das ist das Setting, in dem der Spieler startet.

Die politische Situation im Lande erscheint eingangs äußerst undurchsichtig. Es sind zwar Wahlen angesetzt, aber nach einem terroristischen Anschlag regiert der Präsident Tyrak mit einer ungeahnten Machtfülle. Die Grenzen in Richtung Norden sind abgeriegelt, renitente Teenager werden in Arbeitslager verbracht und die Medien wurden auf Linie gebracht. Nun liegt es am Spieler, mit dieser schwierigen Situation umzugehen. Von der gelungenen Grenzüberquerung über die Wahlniederlage Tyraks bis hin zur Revolution ist alles möglich. Der eigene Tod inklusive.

Die jeweiligen persönlichen Entscheidungen während des Abenteuers determinieren letztlich den Ausgang der Geschichte. In Gesprächen können die gut in Szene gesetzten Charaktere, welche man während des Roadtrips kennenlernt, dazu gebracht werden, die Zustände im Land zu verändern oder einem bei der Flucht zu helfen. So verknüpft sich das eigene Schicksal mit fortlaufender Story immer weiter mit den politischen Entwicklungen in Petria. Dieser Effekt wird dadurch verstärkt, dass selbst ein Scheitern des Fluchtversuches nicht das Ende des Spiels bedeutet.

Schwankend zwischen der Herzlichkeit neu gewonnener Bekanntschaften und der harten Realität in Petria – aufgegriffene Jugendliche werden schon mal von den Sicherheitskräften eiskalt erschossen – stolpert der Spieler immer wieder aufs Neue durch die fiktive Welt. Das düstere Szenario wird untermalt durch eine bezaubernde Grafik, die die kleineren Mängel des Spiels mehr als übertüncht. Und die Jagd nach den unzähligen Geheimnissen im Herrschaftsgebiet von Tyrak motiviert auch nach mehreren Fehlschlägen, es dann doch noch einmal mit der Revolution zu versuchen. (Gamer hört die Signale!)

»Road 96«: DigixArt. Bis zum 5. Januar für 14,96 € auf Steam, sonst 19,96 €.

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