Das Computerspiel »Civilization« bekommt endlich Konkurrenz - aber kann Geschichte ein Spiel sein?
Ralf Fischer / Neues Deutschland
Die Freunde von Globalstrategien zum Nachspielen wurden dieses Jahr
gleich mit zwei bemerkenswerten Nischenprodukten außer der Reihe
beschenkt. Nur selten bekommen diese Spezialspiele in dem weit über 100
Milliarden umsetzenden Computerspiel-Business große Aufmerksamkeit.
Einzige Ausnahme bildet der unumstrittene Marktführer »Civilization«.
Doch in diesem Jahr erhielt der seit 30 Jahren allein seine Runden
drehende Branchenprimus mit der Veröffentlichung von »Old World« und
»Humankind« mächtig Konkurrenz.
Mit 33 Millionen verkauften Exemplaren gilt das einst von Sid Meier
gegründete Franchise »Civilization« als Vorbild und Urform für alle
historisch angelegten rundenbasierten Strategiespiele, ob auf PC oder
Konsole. Die Entwicklung der Menschheit von der Jungsteinzeit bis ins
Weltraumzeitalter ist für immer neue Spielergenerationen eine
willkommene Herausforderung. Für die Konkurrenz ist das Segen und Fluch
zugleich. Einerseits gibt es viele Kritikpunkte. Während die historisch
Interessierten die fehlende Flexibilität bemängeln, fällt es
Casualgamern nicht gerade leicht, einen Einstieg in das Spiel zu finden.
Andererseits gibt es derart viele Spielmechaniken, die dem Game eine
Spieltiefe verleihen, die ihresgleichen sucht.
Die einen hatten mit Johnson einen erfahrenen Entwickler von Globalstrategie-Spielen (auch 4X-Strategie genannt) im Team, aber kaum finanziellen Spielraum. In Frankreich dagegen waren die Entwickler zwar mit den notwendigen Mitteln ausgestattet, jedoch mangelte es dort an Expertise unter den Mitarbeitern.
In der jeweiligen Spielerfahrung spiegelt sich das wider. Das unter dem Namen »Humankind« veröffentlichte Videogame der Amplitude Studios beeindruckt mit einer wunderschönen Grafik, innovativen Ideen, wie die wechselnden Kulturen, dynamisch generierten Events auf den Karten und einer im Gegensatz zu »Civilization« weit verbesserten Kampfmechanik. Es scheitert jedoch an der historischen Atmosphäre und dem fehlenden Wiederspielwert. Hat man einmal den Wettlauf der Zivilisationen gewonnen, ist die Motivation, es noch einmal zu versuchen, recht gering.
Die acht in den jeweiligen Zeitalterstufen zur Auswahl stehenden Kulturen sind unaus-gewogen und die immer wiederkehrenden Events im Verlauf der Menschheits-geschichte ermüden auf Dauer. Strategische Entscheidungen haben kaum Auswirkungen und die lieblos zusammengeklöppelte Storyline hält den Spieler auch nicht lange bei der Stange.
In diesem Bereich ist das neu erschienene »Old World« von Mohawk Games der Konkurrenz weit voraus. Das Spiel beschränkt sich zwar auf die Antike, behandelt aber diese Epoche umfassend. Elemente aus »Civilization« und dem Mittelalterspiel »Crusader King« wurden zu einem komplexen, äußerst stimmigen Spielerlebnis verbunden.
Anders als gewohnt regieren hier Spieler nicht als Herrscher über Jahrtausende hinweg. Alle Oberhäupter sind sterblich und die Erben jedes Mal ein bisschen weniger dumm. Es gibt ihn also doch, den Fortschritt. Das darauf aufgebaute Rollenspiel erhöht den Wiederspielwert enorm. Die Variabilität des Spielerlebnisses wird durch die am Anfang der Runde aufpoppenden Zufallsereignisse noch weiter erhöht. Nur zu oft durchkreuzen sie einen der über mehrere Runden penibel ausgetüftelten Pläne.
Welche Religion sich in einem Reich, beziehungsweise Territorium gründet und ob diese dann auch die vorherrschende Staatsreligion wird, das entscheidet zu einem großen Teil der Zufall. Wenn dir das Glück hold ist, erscheint der Religionsstifter Moses schon in Runde 27 in einer deiner Städte. Dass sich aber alle im Reich lebenden Adligen der neuen Glaubensrichtung anschließen, kann man getrost vergessen, ebenso wie die Hoffnung auf dauerhaften Frieden. Zwietracht ist vorprogrammiert.
Das Team um Soren Johnson setzt viele Ideen um, auf die Fans der bisher sechsteiligen Spielereihe »Civilization« seit Jahren sehnlichst gewartet haben. »Old World« bietet vergleichsweise mehr Realismus und eine große Zahl an spielbaren Varianten. Die implementierte Spielmechanik, wonach die Bewegungen aller Einheiten begrenzt sind, kann für dieses Metier als bahnbrechend bezeichnet werden. In den Bereichen Diplomatie, Wirtschaft und Städtebau bietet das Spiel ausreichend Komplexität, um den Spielern einen lang anhaltenden Spielspaß zu garantieren.
Das größte Problem aller rundenbasierten Globalstrategiespiele umschifft »Old World« mit seiner Beschränkung auf das Zeitalter der Antike: wie soll die kapitalistische Moderne dargestellt, beziehungsweise gespielt werden? An diesem Problem ist bislang noch jedes Spiel dieser Kategorie, einschließlich »Humankind« gescheitert, weil die Durchspielbarkeit politische Eindimensionalität impliziert. Während die Auswirkungen des Kolonialismus zumindest in einigen Spielen eine kleine Nebenrolle spielen dürfen, selten in kritischer Manier, wird der nationalsozialistische Massenmord an den europäischen Juden bisher in jedem Spiel dieses Genres gänzlich ausgeblendet.
In vielen 4x-Strategie-Spielen, wie auch »Humankind«, gibt es die Möglichkeit, zwischen fortschrittlichen und reaktionären Regierungspolitiken auszuwählen. Selten muss ein Spieler mit ernsthaften Konsequenzen rechnen. Wer hingegen mit der Natur über die Jahrhunderte Schindluder treibt, kann noch vor Spielende den Untergang der gesamten Welt erleben. Die Wahl einer faschistischen Doktrin hat dagegen keine rein negativen Auswirkungen. Als allgemeine Begründung für diese Leerstelle wird gern die Floskel »Es handelt sich ja schließlich nur um ein Videospiel.« bemüht. Die Antwort darauf kann aber nur lauten: Geschichte ist kein Game.
»Humankind« (Amplitude Studios), ab 49,99 €), »Old World« (Mohawk Games), 32,99 €.
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